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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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geführt wurde. Eine gute Fabel kann ja nach Lessing nicht allegorisch pba_101.002
sein. Gewiß nicht, sofern man die allegorische Aehnlichkeit zwischen der pba_101.003
Handlung der Fabel und ihrem allgemeingültigen abstrakten Jnhalt pba_101.004
sucht. Aber jene Aehnlichkeit besteht vielmehr zwischen dieser Handlung pba_101.005
und den eigenen Erlebnissen, die das Ethos der Fabel in dem Dichter pba_101.006
erweckten; und wenn sich hier die ganz speziell den Anlaß gebenden pba_101.007
Beziehungen auch nicht überzeugend nachweisen lassen, so liegt dafür die pba_101.008
Grundbeziehung um so klarer am Tage. Wir wissen, wie schwer der pba_101.009
Dichter an der hier dargestellten ethischen Gemütslage zu tragen hatte. pba_101.010
Für den mit der Goetheschen Dichtungsweise Vertrauten möchte es aber pba_101.011
nicht zweifelhaft sein, daß auch der spezielle Hergang der Handlung in pba_101.012
dem Gedichte nicht lediglich fiktiv ist, sondern den Hinweis auf eine bestimmte pba_101.013
erlebte Situation enthält. Eine Vermutung wird erlaubt sein, pba_101.014
durch welche sicherlich die Auffassung des Gedichtes an Lebendigkeit gewänne. pba_101.015
Man erinnert sich aus Goethes Lebensbeschreibung, wie tief ihn pba_101.016
die reumütige Erinnerung an die Sesenheimer Verlassene niederdrückte, pba_101.017
zu der zurückzukehren er gleichwohl durch einen übermächtigen Zug seiner pba_101.018
innersten Natur sich gehindert fühlte, wie er die schmerzliche Trauer damals pba_101.019
zeitweise als eine Lähmung aller seiner Kraft empfand:

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Zuletzt heilt ihn pba_101.021
Allgegenwärt'ger Balsam pba_101.022
Allheilender Natur.

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Es war nicht lange darnach, als er in Darmstadt ein häufiger pba_101.024
Augenzeuge des idyllischen und sentimental-zärtlichen Liebesgetändels pba_101.025
zwischen Herder und seiner Braut Karoline war; bei dem starken Hange pba_101.026
jener beiden zum Moralisieren und zu einer gewissen tugendstolzen Ueberhebung pba_101.027
wird es an ernsten Vorwürfen und wohlmeinenden Ratschlägen pba_101.028
an den Freund in Bezug auf das ohne Zweifel ihnen bekannte Sesenheimer pba_101.029
Verhältnis schwerlich gefehlt haben: die Empfindungen des Dichters pba_101.030
gegenüber solchen Anmahnungen, die stark ironisch gefärbte Darstellung pba_101.031
derselben, die treffende Abfertigung, nicht nur gegen jene gewandt, sondern pba_101.032
schwererwiegend die Rechtfertigung vor sich selbst, soweit eine solche pba_101.033
möglich, alles das ist vollständig, überzeugend und ergreifend in dem pba_101.034
Gedichte enthalten, welches daher mit vollem Rechte jener allegorischen pba_101.035
Gattung zuzurechnen ist.

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Nun aber noch das Eine, was für diese Gattung, wie in seiner pba_101.037
Weise für jede andere gilt! Dichterisch empfunden und dargestellt würden pba_101.038
alle diese Gedichte sein, auch wenn sie nichts weiter enthielten als in pba_101.039
allegorischem Gewande das Ethos des Dichters, welches den individuellen

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geführt wurde. Eine gute Fabel kann ja nach Lessing nicht allegorisch pba_101.002
sein. Gewiß nicht, sofern man die allegorische Aehnlichkeit zwischen der pba_101.003
Handlung der Fabel und ihrem allgemeingültigen abstrakten Jnhalt pba_101.004
sucht. Aber jene Aehnlichkeit besteht vielmehr zwischen dieser Handlung pba_101.005
und den eigenen Erlebnissen, die das Ethos der Fabel in dem Dichter pba_101.006
erweckten; und wenn sich hier die ganz speziell den Anlaß gebenden pba_101.007
Beziehungen auch nicht überzeugend nachweisen lassen, so liegt dafür die pba_101.008
Grundbeziehung um so klarer am Tage. Wir wissen, wie schwer der pba_101.009
Dichter an der hier dargestellten ethischen Gemütslage zu tragen hatte. pba_101.010
Für den mit der Goetheschen Dichtungsweise Vertrauten möchte es aber pba_101.011
nicht zweifelhaft sein, daß auch der spezielle Hergang der Handlung in pba_101.012
dem Gedichte nicht lediglich fiktiv ist, sondern den Hinweis auf eine bestimmte pba_101.013
erlebte Situation enthält. Eine Vermutung wird erlaubt sein, pba_101.014
durch welche sicherlich die Auffassung des Gedichtes an Lebendigkeit gewänne. pba_101.015
Man erinnert sich aus Goethes Lebensbeschreibung, wie tief ihn pba_101.016
die reumütige Erinnerung an die Sesenheimer Verlassene niederdrückte, pba_101.017
zu der zurückzukehren er gleichwohl durch einen übermächtigen Zug seiner pba_101.018
innersten Natur sich gehindert fühlte, wie er die schmerzliche Trauer damals pba_101.019
zeitweise als eine Lähmung aller seiner Kraft empfand:

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Zuletzt heilt ihn pba_101.021
Allgegenwärt'ger Balsam pba_101.022
Allheilender Natur.

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Es war nicht lange darnach, als er in Darmstadt ein häufiger pba_101.024
Augenzeuge des idyllischen und sentimental-zärtlichen Liebesgetändels pba_101.025
zwischen Herder und seiner Braut Karoline war; bei dem starken Hange pba_101.026
jener beiden zum Moralisieren und zu einer gewissen tugendstolzen Ueberhebung pba_101.027
wird es an ernsten Vorwürfen und wohlmeinenden Ratschlägen pba_101.028
an den Freund in Bezug auf das ohne Zweifel ihnen bekannte Sesenheimer pba_101.029
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schwererwiegend die Rechtfertigung vor sich selbst, soweit eine solche pba_101.033
möglich, alles das ist vollständig, überzeugend und ergreifend in dem pba_101.034
Gedichte enthalten, welches daher mit vollem Rechte jener allegorischen pba_101.035
Gattung zuzurechnen ist.

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Nun aber noch das Eine, was für diese Gattung, wie in seiner pba_101.037
Weise für jede andere gilt! Dichterisch empfunden und dargestellt würden pba_101.038
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/119>, abgerufen am 24.11.2024.