pba_094.001 aus die Herrlichkeit der Welt zeigt. Wollte ein Dichter die Verhältnisse, pba_094.002 Zustände und Entwickelungen, die Reflexionen und ethischen Bewegungen, pba_094.003 welche hier in einen einzigen, schnell sich entscheidenden pba_094.004 und leicht zu erfassenden Vorgang zusammengefaßt sind, mit den gewöhnlichen pba_094.005 Mitteln poetischer Nachahmung darstellen, statt durch das pba_094.006 Mittel der Allegorie, so würde dazu jedesmal ein eigenes, in pba_094.007 größerem Maßstabe und auf breiter Grundlage komponiertes Werk pba_094.008 erforderlich sein. Denn hier ist nun in der That Allegorie vorhanden; pba_094.009 die Aehnlichkeit waltet hier nicht ob zwischen dem Darstellungsmittel pba_094.010 und dem Dargestellten (wie fälschlich wohl oft angenommen pba_094.011 wird), nicht also zwischen dem abstrakten Allgemeinen und dem pba_094.012 konkreten Einzelnen -- was ein Unding wäre --, sondern zwischen pba_094.013 zwei gesonderten konkreten Einzelnen, welche jedoch darin pba_094.014 einander ähnlich sind, daß sie beide die Kraft besitzen jenes eine pba_094.015 abstrakte Allgemeine zu vertreten; zwischen diesen beiden aber ist pba_094.016 die Aehnlichkeit selbstverständlich möglich. Jedoch wird der Künstler sich pba_094.017 des allegorischen Darstellungsmittels nur dann bedienen, wenn die pba_094.018 reale, poetische Darstellungsweise unmöglich ist, oder doch an Kürze, pba_094.019 Faßlichkeit und daher auch an Wirkungskraft von jener weit überboten pba_094.020 wird; dann aber ist es ein dem Künstler ganz unentbehrliches Verfahren, pba_094.021 das Geistige, was ihn erfüllt, nicht vermittelst desjenigen Konkreten pba_094.022 nachahmend darzustellen, an welches es ursprünglich geknüpft ist, sondern pba_094.023 durch ein anderes, ähnliches Konkretes, welchem die Fähigkeit beiwohnt pba_094.024 oder erteilt werden kann, auf jenes Urbild hinzudeuten.pba_094.025 Hierin liegt schon mit völliger Deutlichkeit die Bestimmung der Grenzen, pba_094.026 innerhalb deren allein die Allegorie ihren künstlerischen Charakter bewahrt. pba_094.027 Der allegorische Gegenstand oder Vorgang muß, entweder schon pba_094.028 durch sich selbst oder doch durch die Belebung und ethische Beseelung, pba_094.029 deren ihn der Dichter fähig zu machen weiß, imstande sein, auch ganz pba_094.030 ohne die Vergleichung mit seinem realen Gegenbilde, an und für sich pba_094.031 das Ethos zu erzeugen, dessen Nachahmung der Zweck des Gedichtes ist. pba_094.032 Dann ist die Allegorie schön; denn sie erfüllt die Aufgabe der Kunst pba_094.033 schon durch sich selbst, und, indem sie durch die ihr innewohnende Aehnlichkeit pba_094.034 nun obendrein noch die Vorstellung des weit ausgedehnteren pba_094.035 und vielumfassenden realen Urbildes erweckt, wird sie jener Aufgabe pba_094.036 noch in einem ungleich höheren Grade gerecht. Aber jene erste Wirkung pba_094.037 wird gänzlich aufgehoben und damit auch die Möglichkeit der zweiten pba_094.038 von vornherein vernichtet, sobald die Allegorie den ethischen Gehaltpba_094.039 nicht selbständig oder doch nur unvollständig besitzt, sondern ihn erst pba_094.040 durch den äußeren Hinweis auf die Realität, für welche sie eintritt, er-
pba_094.001 aus die Herrlichkeit der Welt zeigt. Wollte ein Dichter die Verhältnisse, pba_094.002 Zustände und Entwickelungen, die Reflexionen und ethischen Bewegungen, pba_094.003 welche hier in einen einzigen, schnell sich entscheidenden pba_094.004 und leicht zu erfassenden Vorgang zusammengefaßt sind, mit den gewöhnlichen pba_094.005 Mitteln poetischer Nachahmung darstellen, statt durch das pba_094.006 Mittel der Allegorie, so würde dazu jedesmal ein eigenes, in pba_094.007 größerem Maßstabe und auf breiter Grundlage komponiertes Werk pba_094.008 erforderlich sein. Denn hier ist nun in der That Allegorie vorhanden; pba_094.009 die Aehnlichkeit waltet hier nicht ob zwischen dem Darstellungsmittel pba_094.010 und dem Dargestellten (wie fälschlich wohl oft angenommen pba_094.011 wird), nicht also zwischen dem abstrakten Allgemeinen und dem pba_094.012 konkreten Einzelnen — was ein Unding wäre —, sondern zwischen pba_094.013 zwei gesonderten konkreten Einzelnen, welche jedoch darin pba_094.014 einander ähnlich sind, daß sie beide die Kraft besitzen jenes eine pba_094.015 abstrakte Allgemeine zu vertreten; zwischen diesen beiden aber ist pba_094.016 die Aehnlichkeit selbstverständlich möglich. Jedoch wird der Künstler sich pba_094.017 des allegorischen Darstellungsmittels nur dann bedienen, wenn die pba_094.018 reale, poetische Darstellungsweise unmöglich ist, oder doch an Kürze, pba_094.019 Faßlichkeit und daher auch an Wirkungskraft von jener weit überboten pba_094.020 wird; dann aber ist es ein dem Künstler ganz unentbehrliches Verfahren, pba_094.021 das Geistige, was ihn erfüllt, nicht vermittelst desjenigen Konkreten pba_094.022 nachahmend darzustellen, an welches es ursprünglich geknüpft ist, sondern pba_094.023 durch ein anderes, ähnliches Konkretes, welchem die Fähigkeit beiwohnt pba_094.024 oder erteilt werden kann, auf jenes Urbild hinzudeuten.pba_094.025 Hierin liegt schon mit völliger Deutlichkeit die Bestimmung der Grenzen, pba_094.026 innerhalb deren allein die Allegorie ihren künstlerischen Charakter bewahrt. pba_094.027 Der allegorische Gegenstand oder Vorgang muß, entweder schon pba_094.028 durch sich selbst oder doch durch die Belebung und ethische Beseelung, pba_094.029 deren ihn der Dichter fähig zu machen weiß, imstande sein, auch ganz pba_094.030 ohne die Vergleichung mit seinem realen Gegenbilde, an und für sich pba_094.031 das Ethos zu erzeugen, dessen Nachahmung der Zweck des Gedichtes ist. pba_094.032 Dann ist die Allegorie schön; denn sie erfüllt die Aufgabe der Kunst pba_094.033 schon durch sich selbst, und, indem sie durch die ihr innewohnende Aehnlichkeit pba_094.034 nun obendrein noch die Vorstellung des weit ausgedehnteren pba_094.035 und vielumfassenden realen Urbildes erweckt, wird sie jener Aufgabe pba_094.036 noch in einem ungleich höheren Grade gerecht. Aber jene erste Wirkung pba_094.037 wird gänzlich aufgehoben und damit auch die Möglichkeit der zweiten pba_094.038 von vornherein vernichtet, sobald die Allegorie den ethischen Gehaltpba_094.039 nicht selbständig oder doch nur unvollständig besitzt, sondern ihn erst pba_094.040 durch den äußeren Hinweis auf die Realität, für welche sie eintritt, er-
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die Aehnlichkeit waltet hier nicht ob zwischen dem Darstellungsmittel pba_094.010
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/112>, abgerufen am 24.11.2024.
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