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Bauller, Johann Jacob: Hell-Polirter Laster-Spiegel. Ulm, 1681.

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vom Argwohn.
erkennen/ daß ihr meine Jünger seyd/ so ihr Liebe unter einander habt. Wel-
ches Gebott der HErr widerholet Joh. 15. Das ist den Jüngern oder Apo-
steln deß HErrn nicht allein gesagt/ sondern es geht auf alle Christen/ wie auch
S. Paulus uns allen zuschreibt. Rom. 13. Seyd niemand nichts schuldig/
denn daß ihr euch unter einander liebet/ dann wer den andern liebet/ der hat das
Gesetz erfüllet. Diese Christliche Liebe hat die Art/ daß sie nicht argwöhnisch
ist/ wie Paulus ihre Eigenschafften beschreibt und sagt: Die Liebe ist langmü-
thig und freundlich/ die Liebe eyfert nicht/ dir Liebe treibt nicht Muthwillen/ sie
blähet sich nicht/ sie stellet sich nicht ungebärdig/ sie suchet nicht das ihre/ sie läst
sich nicht erbittern/ sie trachtet nicht nach Schaden/ sie freuet sich nicht der Un-
gerechtigkeit/ sie freuet sich alle der Warheit/ sie verträgt alles/ sie glaubet al-
les/ sie hoffet alles/ sie duldet alles/ und wird in diesem allem nicht müd. 1. Cor.
13. Die Liebe sey demnach nicht falsch/ hasset das arge/ hanget dem guten an/
die Brüderliche Liebe unter einander sey hertzlich. Rom. 12. Dagegen ist der
Argwohn ein rechtes Gifft der Brüderlichen Liebe und Einigkeit/ und der Sa-
men zu allen Spaltungen und Zwitracht/ dadurch einer ihme/ eigenthätiger
Weise selber einen Feind tichtet und schnitzelt/ da doch kein Feindschafft ist/ hält
den Nechsten für arg/ der doch fromm ist/ neidet den Nächsten als seinen Wi-
dersacher/ der sich ihme doch nie widersetzt hat/ noch zu widerstehen/ nie begehrt/
und offt nicht wissen noch errathen oder dencken kan/ wie er nur in solchen Ver-
dacht kommen können. Da heisst es wol/ wo bleibt die Brüderliche Lieb! Und
noch mehr/ sagt Johannes/ wer seinen Bruder nicht liebet/ den er siehet/ wie
kan er GOTT lieben/ den er nicht sihet. 1. Epist. 4. Weil dann der Arg-
wohn wider die Christliche Liebe streitet/ sollen wir uns billicher Weg da-
vor hüten.

III. Soll ein Christ wider seinen Nächsten in seinem Hertzen kein Arg-III.
Ein arger
Wohn/ und
betrüglich/

wohn fassen/ eben darum/ weil es ein arger Wohn/ und also arg/ böß/ unge-
wiß und betrüglich ist/ darum man im Sprüchwort nicht vergebens sagt:
Der Argwohn ist ein Schalck. Dann hat einer deß Nächsten Wort selber
gehört/ und seine Werck selbsten gesehen/ so kan er wol in seinen Gedancken et-
was davon muthmassen und schliessen/ kan aber aufsolche seine Muthmassun-
gen nicht gewiß fussen/ dann er kan dem Nächsten nicht in sein Hertz sehen/ kan
seine Gedancken nicht erkennen noch ergründen; Sondern allein der/ der das
Wort geredt/ oder der das Werck gethan/ der ist der beste Interpres oder Auß-
leger/ der kan sagen wohin es gemeint und angesehen sey/ was er geredt oder ge-
than hat. Will aber der ander über und wider solche Erklärung deß
Nächsten/ dannoch aufseinen vorgefassten Gedancken beharren/ und von sei-
nem bösen Verdacht nicht lassen/ so thut er wie ein anderer plumper Narr/
urtheilet von deß Nächsten Intention und Meinung/ wie der Blinde von der
Farb/ und betreugt sich nur selber damit. Oder/ hat einer von deß Nächsten

Worten
H h h h h 2

vom Argwohn.
erkennen/ daß ihr meine Juͤnger ſeyd/ ſo ihr Liebe unter einander habt. Wel-
ches Gebott der HErꝛ widerholet Joh. 15. Das iſt den Juͤngern oder Apo-
ſteln deß HErꝛn nicht allein geſagt/ ſondern es geht auf alle Chriſten/ wie auch
S. Paulus uns allen zuſchreibt. Rom. 13. Seyd niemand nichts ſchuldig/
denn daß ihr euch unter einander liebet/ dann wer den andern liebet/ der hat das
Geſetz erfuͤllet. Dieſe Chriſtliche Liebe hat die Art/ daß ſie nicht argwoͤhniſch
iſt/ wie Paulus ihre Eigenſchafften beſchreibt und ſagt: Die Liebe iſt langmuͤ-
thig und freundlich/ die Liebe eyfert nicht/ dir Liebe treibt nicht Muthwillen/ ſie
blaͤhet ſich nicht/ ſie ſtellet ſich nicht ungebaͤrdig/ ſie ſuchet nicht das ihre/ ſie laͤſt
ſich nicht erbittern/ ſie trachtet nicht nach Schaden/ ſie freuet ſich nicht der Un-
gerechtigkeit/ ſie freuet ſich alle der Warheit/ ſie vertraͤgt alles/ ſie glaubet al-
les/ ſie hoffet alles/ ſie duldet alles/ und wird in dieſem allem nicht muͤd. 1. Cor.
13. Die Liebe ſey demnach nicht falſch/ haſſet das arge/ hanget dem guten an/
die Bruͤderliche Liebe unter einander ſey hertzlich. Rom. 12. Dagegen iſt der
Argwohn ein rechtes Gifft der Bruͤderlichen Liebe und Einigkeit/ und der Sa-
men zu allen Spaltungen und Zwitracht/ dadurch einer ihme/ eigenthaͤtiger
Weiſe ſelber einen Feind tichtet und ſchnitzelt/ da doch kein Feindſchafft iſt/ haͤlt
den Nechſten fuͤr arg/ der doch fromm iſt/ neidet den Naͤchſten als ſeinen Wi-
derſacher/ der ſich ihme doch nie widerſetzt hat/ noch zu widerſtehen/ nie begehrt/
und offt nicht wiſſen noch errathen oder dencken kan/ wie er nur in ſolchen Ver-
dacht kommen koͤnnen. Da heiſſt es wol/ wo bleibt die Bruͤderliche Lieb! Und
noch mehr/ ſagt Johannes/ wer ſeinen Bruder nicht liebet/ den er ſiehet/ wie
kan er GOTT lieben/ den er nicht ſihet. 1. Epiſt. 4. Weil dann der Arg-
wohn wider die Chriſtliche Liebe ſtreitet/ ſollen wir uns billicher Weg da-
vor huͤten.

III. Soll ein Chriſt wider ſeinen Naͤchſten in ſeinem Hertzen kein Arg-III.
Ein arger
Wohn/ und
betruͤglich/

wohn faſſen/ eben darum/ weil es ein arger Wohn/ und alſo arg/ boͤß/ unge-
wiß und betruͤglich iſt/ darum man im Spruͤchwort nicht vergebens ſagt:
Der Argwohn iſt ein Schalck. Dann hat einer deß Naͤchſten Wort ſelber
gehoͤrt/ und ſeine Werck ſelbſten geſehen/ ſo kan er wol in ſeinen Gedancken et-
was davon muthmaſſen und ſchlieſſen/ kan aber aufſolche ſeine Muthmaſſun-
gen nicht gewiß fuſſen/ dann er kan dem Naͤchſten nicht in ſein Hertz ſehen/ kan
ſeine Gedancken nicht erkennen noch ergruͤnden; Sondern allein der/ der das
Wort geredt/ oder der das Werck gethan/ der iſt der beſte Interpres oder Auß-
leger/ der kan ſagen wohin es gemeint und angeſehen ſey/ was er geredt oder ge-
than hat. Will aber der ander uͤber und wider ſolche Erklaͤrung deß
Naͤchſten/ dannoch aufſeinen vorgefaſſten Gedancken beharꝛen/ und von ſei-
nem boͤſen Verdacht nicht laſſen/ ſo thut er wie ein anderer plumper Narꝛ/
urtheilet von deß Naͤchſten Intention und Meinung/ wie der Blinde von der
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Worten
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[795/0865] vom Argwohn. erkennen/ daß ihr meine Juͤnger ſeyd/ ſo ihr Liebe unter einander habt. Wel- ches Gebott der HErꝛ widerholet Joh. 15. Das iſt den Juͤngern oder Apo- ſteln deß HErꝛn nicht allein geſagt/ ſondern es geht auf alle Chriſten/ wie auch S. Paulus uns allen zuſchreibt. Rom. 13. Seyd niemand nichts ſchuldig/ denn daß ihr euch unter einander liebet/ dann wer den andern liebet/ der hat das Geſetz erfuͤllet. Dieſe Chriſtliche Liebe hat die Art/ daß ſie nicht argwoͤhniſch iſt/ wie Paulus ihre Eigenſchafften beſchreibt und ſagt: Die Liebe iſt langmuͤ- thig und freundlich/ die Liebe eyfert nicht/ dir Liebe treibt nicht Muthwillen/ ſie blaͤhet ſich nicht/ ſie ſtellet ſich nicht ungebaͤrdig/ ſie ſuchet nicht das ihre/ ſie laͤſt ſich nicht erbittern/ ſie trachtet nicht nach Schaden/ ſie freuet ſich nicht der Un- gerechtigkeit/ ſie freuet ſich alle der Warheit/ ſie vertraͤgt alles/ ſie glaubet al- les/ ſie hoffet alles/ ſie duldet alles/ und wird in dieſem allem nicht muͤd. 1. Cor. 13. Die Liebe ſey demnach nicht falſch/ haſſet das arge/ hanget dem guten an/ die Bruͤderliche Liebe unter einander ſey hertzlich. Rom. 12. Dagegen iſt der Argwohn ein rechtes Gifft der Bruͤderlichen Liebe und Einigkeit/ und der Sa- men zu allen Spaltungen und Zwitracht/ dadurch einer ihme/ eigenthaͤtiger Weiſe ſelber einen Feind tichtet und ſchnitzelt/ da doch kein Feindſchafft iſt/ haͤlt den Nechſten fuͤr arg/ der doch fromm iſt/ neidet den Naͤchſten als ſeinen Wi- derſacher/ der ſich ihme doch nie widerſetzt hat/ noch zu widerſtehen/ nie begehrt/ und offt nicht wiſſen noch errathen oder dencken kan/ wie er nur in ſolchen Ver- dacht kommen koͤnnen. Da heiſſt es wol/ wo bleibt die Bruͤderliche Lieb! Und noch mehr/ ſagt Johannes/ wer ſeinen Bruder nicht liebet/ den er ſiehet/ wie kan er GOTT lieben/ den er nicht ſihet. 1. Epiſt. 4. Weil dann der Arg- wohn wider die Chriſtliche Liebe ſtreitet/ ſollen wir uns billicher Weg da- vor huͤten. III. Soll ein Chriſt wider ſeinen Naͤchſten in ſeinem Hertzen kein Arg- wohn faſſen/ eben darum/ weil es ein arger Wohn/ und alſo arg/ boͤß/ unge- wiß und betruͤglich iſt/ darum man im Spruͤchwort nicht vergebens ſagt: Der Argwohn iſt ein Schalck. Dann hat einer deß Naͤchſten Wort ſelber gehoͤrt/ und ſeine Werck ſelbſten geſehen/ ſo kan er wol in ſeinen Gedancken et- was davon muthmaſſen und ſchlieſſen/ kan aber aufſolche ſeine Muthmaſſun- gen nicht gewiß fuſſen/ dann er kan dem Naͤchſten nicht in ſein Hertz ſehen/ kan ſeine Gedancken nicht erkennen noch ergruͤnden; Sondern allein der/ der das Wort geredt/ oder der das Werck gethan/ der iſt der beſte Interpres oder Auß- leger/ der kan ſagen wohin es gemeint und angeſehen ſey/ was er geredt oder ge- than hat. Will aber der ander uͤber und wider ſolche Erklaͤrung deß Naͤchſten/ dannoch aufſeinen vorgefaſſten Gedancken beharꝛen/ und von ſei- nem boͤſen Verdacht nicht laſſen/ ſo thut er wie ein anderer plumper Narꝛ/ urtheilet von deß Naͤchſten Intention und Meinung/ wie der Blinde von der Farb/ und betreugt ſich nur ſelber damit. Oder/ hat einer von deß Naͤchſten Worten III. Ein arger Wohn/ und betruͤglich/ H h h h h 2

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Zitationshilfe: Bauller, Johann Jacob: Hell-Polirter Laster-Spiegel. Ulm, 1681. , S. 795. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauller_lasterspiegel_1681/865>, abgerufen am 22.11.2024.