sich die Räume mit den interessantesten Persönlichkeiten Berlins. Ein aristokratischer Ton herrschte vor, aber ohne Steifheit. Gräfe wurde von hülfesuchenden Kranken oft vom Tisch abgerufen -- und stets ging er bereitwillig, ohne das geringste Mißvergnügen zu zeigen. So soll er auch die Kranken seines Klinikums äußerst sanft behandeln. Mein Tischnachbar war Herr v. Bredow, alter Freund des Hauses und glühender Patriot. Er erzählte mir charmante Anecdoten vom Könige. So auch diese:
"Finden Sie folgenden Zug seines Charakters nicht rührend -- edel? Ein höherer Offizier, wegen politischer Vergehen zur Festungsstrafe verurtheilt, wendete sich an des Königs Gnade -- um Hülfe für seine Familie zu erflehen. Die Räthe des Königs nannten das Gesuch unverschämt. Der König aber sagte nach einer Pause: "Der Mann ist aber so unglücklich und um so beklagens¬ werther, weil durch eigene Schuld. Seiner Familie -- muß geholfen werden!" und reichliche Unterstützung wurde ihr zu Theil."
Einen sehr genußreichen Abend -- nach der Minna- Alteration -- verlebten wir bei Zelter, dem Freund Goethe's, dem Direktor der Singakademie. Ich lernte diesen herrlichen Greis bei seiner Tochter, der Doktorin Rintel, kennen, und war nicht wenig stolz auf den Ehren¬ platz an seiner Seite. Er liebt es sehr, des Sonntags
zu operiren ... Die Operation glückte nicht ... und Gräfe glaubte dies nicht ertragen zu können. In finsterer Melancholie warf er sein Leben fort. Nur als Leiche kehrte er von Hannover zurück.
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ſich die Räume mit den intereſſanteſten Perſönlichkeiten Berlins. Ein ariſtokratiſcher Ton herrſchte vor, aber ohne Steifheit. Gräfe wurde von hülfeſuchenden Kranken oft vom Tiſch abgerufen — und ſtets ging er bereitwillig, ohne das geringſte Mißvergnügen zu zeigen. So ſoll er auch die Kranken ſeines Klinikums äußerſt ſanft behandeln. Mein Tiſchnachbar war Herr v. Bredow, alter Freund des Hauſes und glühender Patriot. Er erzählte mir charmante Anecdoten vom Könige. So auch dieſe:
»Finden Sie folgenden Zug ſeines Charakters nicht rührend — edel? Ein höherer Offizier, wegen politiſcher Vergehen zur Feſtungsſtrafe verurtheilt, wendete ſich an des Königs Gnade — um Hülfe für ſeine Familie zu erflehen. Die Räthe des Königs nannten das Geſuch unverſchämt. Der König aber ſagte nach einer Pauſe: »Der Mann iſt aber ſo unglücklich und um ſo beklagens¬ werther, weil durch eigene Schuld. Seiner Familie — muß geholfen werden!« und reichliche Unterſtützung wurde ihr zu Theil.«
Einen ſehr genußreichen Abend — nach der Minna- Alteration — verlebten wir bei Zelter, dem Freund Goethe's, dem Direktor der Singakademie. Ich lernte dieſen herrlichen Greis bei ſeiner Tochter, der Doktorin Rintel, kennen, und war nicht wenig ſtolz auf den Ehren¬ platz an ſeiner Seite. Er liebt es ſehr, des Sonntags
zu operiren … Die Operation glückte nicht … und Gräfe glaubte dies nicht ertragen zu können. In finſterer Melancholie warf er ſein Leben fort. Nur als Leiche kehrte er von Hannover zurück.
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ſich die Räume mit den intereſſanteſten Perſönlichkeiten
Berlins. Ein ariſtokratiſcher Ton herrſchte vor, aber
ohne Steifheit. Gräfe wurde von hülfeſuchenden Kranken
oft vom Tiſch abgerufen — und ſtets ging er bereitwillig,
ohne das geringſte Mißvergnügen zu zeigen. So ſoll er
auch die Kranken ſeines Klinikums äußerſt ſanft behandeln.
Mein Tiſchnachbar war Herr v. Bredow, alter Freund
des Hauſes und glühender Patriot. Er erzählte mir
charmante Anecdoten vom Könige. So auch dieſe:
»Finden Sie folgenden Zug ſeines Charakters nicht
rührend — edel? Ein höherer Offizier, wegen politiſcher
Vergehen zur Feſtungsſtrafe verurtheilt, wendete ſich an
des Königs Gnade — um Hülfe für ſeine Familie zu
erflehen. Die Räthe des Königs nannten das Geſuch
unverſchämt. Der König aber ſagte nach einer Pauſe:
»Der Mann iſt aber ſo unglücklich und um ſo beklagens¬
werther, weil durch eigene Schuld. Seiner Familie —
muß geholfen werden!« und reichliche Unterſtützung wurde
ihr zu Theil.«
Einen ſehr genußreichen Abend — nach der Minna-
Alteration — verlebten wir bei Zelter, dem Freund
Goethe's, dem Direktor der Singakademie. Ich lernte
dieſen herrlichen Greis bei ſeiner Tochter, der Doktorin
Rintel, kennen, und war nicht wenig ſtolz auf den Ehren¬
platz an ſeiner Seite. Er liebt es ſehr, des Sonntags
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dies nicht ertragen zu können. In finſterer Melancholie warf er ſein
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/95>, abgerufen am 22.11.2024.
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