Fremden zu bieten hatte, durfte auf den gemüthlichen Bällen bei Hanfstängls nicht fehlen.
Mir ist besonders ein solcher Ball unvergeßlich, im Winter 1838, weil ich an diesem Abende zuerst Julius Mosen's persönliche Bekanntschaft machte. Denn zu Tieck's Vorleseabenden kam er schon längst nicht mehr. Auch er gehörte deswegen bereits zu den in Ungnade Gefallenen. Mosen sagte mir später oft, wie um mich über die untergehende Gnadensonne des alten Drama¬ turgen zu trösten: "Tieck ist ein großer Dichter -- aber er hat kein Herz. Nennen Sie mir einen jungen Dich¬ ter, dem er die Hand zum Beistande reichte, ja, den er nur neben sich duldete? Er ist der größte Egoist, den ich kenne, und förmlich von seinen Vorurtheilen einge¬ sponnen. Auch ich habe redlich versucht, als Schüler zu seinen Füßen zu sitzen, von ihm zu lernen und bewun¬ dernd zu ihm aufzuschauen. Aber ich bin nicht blind und keine herzlose Sprechmaschine, kein Automat wie die Gräfin Finkenstein, die nach Tieck's aufziehendem Schlüssel tanzt und weint und lacht und Ja oder Nein sagt. Ich kann, ich will nicht gegen meine Ueberzeu¬ gung sprechen. Darum habe ich lieber das Eckhaus am Altmarkt gemieden, um eine bittere Erfahrung reicher ..."
Emil Devrient und ich kamen als die letzten Ball¬ gäste, denn wir hatten an dem Abende mit einander in "Noch ist es Zeit" Komödie zu spielen. Als der schöne erste Liebhaber in den Saal trat, ging es wie ein Flüstern der befriedigten Erwartung durch die Reihen der Tänze¬
Fremden zu bieten hatte, durfte auf den gemüthlichen Bällen bei Hanfſtängls nicht fehlen.
Mir iſt beſonders ein ſolcher Ball unvergeßlich, im Winter 1838, weil ich an dieſem Abende zuerſt Julius Moſen's perſönliche Bekanntſchaft machte. Denn zu Tieck's Vorleſeabenden kam er ſchon längſt nicht mehr. Auch er gehörte deswegen bereits zu den in Ungnade Gefallenen. Moſen ſagte mir ſpäter oft, wie um mich über die untergehende Gnadenſonne des alten Drama¬ turgen zu tröſten: »Tieck iſt ein großer Dichter — aber er hat kein Herz. Nennen Sie mir einen jungen Dich¬ ter, dem er die Hand zum Beiſtande reichte, ja, den er nur neben ſich duldete? Er iſt der größte Egoiſt, den ich kenne, und förmlich von ſeinen Vorurtheilen einge¬ ſponnen. Auch ich habe redlich verſucht, als Schüler zu ſeinen Füßen zu ſitzen, von ihm zu lernen und bewun¬ dernd zu ihm aufzuſchauen. Aber ich bin nicht blind und keine herzloſe Sprechmaſchine, kein Automat wie die Gräfin Finkenſtein, die nach Tieck's aufziehendem Schlüſſel tanzt und weint und lacht und Ja oder Nein ſagt. Ich kann, ich will nicht gegen meine Ueberzeu¬ gung ſprechen. Darum habe ich lieber das Eckhaus am Altmarkt gemieden, um eine bittere Erfahrung reicher …«
Emil Devrient und ich kamen als die letzten Ball¬ gäſte, denn wir hatten an dem Abende mit einander in »Noch iſt es Zeit« Komödie zu ſpielen. Als der ſchöne erſte Liebhaber in den Saal trat, ging es wie ein Flüſtern der befriedigten Erwartung durch die Reihen der Tänze¬
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Fremden zu bieten hatte, durfte auf den gemüthlichen
Bällen bei Hanfſtängls nicht fehlen.
Mir iſt beſonders ein ſolcher Ball unvergeßlich, im
Winter 1838, weil ich an dieſem Abende zuerſt Julius
Moſen's perſönliche Bekanntſchaft machte. Denn zu
Tieck's Vorleſeabenden kam er ſchon längſt nicht mehr.
Auch er gehörte deswegen bereits zu den in Ungnade
Gefallenen. Moſen ſagte mir ſpäter oft, wie um mich
über die untergehende Gnadenſonne des alten Drama¬
turgen zu tröſten: »Tieck iſt ein großer Dichter — aber
er hat kein Herz. Nennen Sie mir einen jungen Dich¬
ter, dem er die Hand zum Beiſtande reichte, ja, den er
nur neben ſich duldete? Er iſt der größte Egoiſt, den
ich kenne, und förmlich von ſeinen Vorurtheilen einge¬
ſponnen. Auch ich habe redlich verſucht, als Schüler zu
ſeinen Füßen zu ſitzen, von ihm zu lernen und bewun¬
dernd zu ihm aufzuſchauen. Aber ich bin nicht blind
und keine herzloſe Sprechmaſchine, kein Automat wie
die Gräfin Finkenſtein, die nach Tieck's aufziehendem
Schlüſſel tanzt und weint und lacht und Ja oder Nein
ſagt. Ich kann, ich will nicht gegen meine Ueberzeu¬
gung ſprechen. Darum habe ich lieber das Eckhaus am
Altmarkt gemieden, um eine bittere Erfahrung reicher …«
Emil Devrient und ich kamen als die letzten Ball¬
gäſte, denn wir hatten an dem Abende mit einander in
»Noch iſt es Zeit« Komödie zu ſpielen. Als der ſchöne
erſte Liebhaber in den Saal trat, ging es wie ein Flüſtern
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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