künstlerin zu berathen. Die meisten Stimmen waren für die Frau in "Belisario". -- "Aber warum wollen Sie zum letzten Mal in einer so grausigen Rolle, als Büßerin und mit schmerzzerrissenen Zügen vor ein Publikum treten, das Sie liebt? Ich würde die lieb¬ liche Lucia von Lammermoor wählen!" wagte ich ein¬ zuwenden. -- "Nicht effektvoll, nicht großartig genug für die gerade so hervorragende dramatische Schöpfungsmacht unserer Freundin!" -- sagten die Verehrer der Künstlerin. Sie wählte die unselige Frau Belisario's und leider als vorletzte Rolle Norma -- diese Glanzpartie unserer Schröder-Devrient. Diese saß während der Norma- Aufführung unter den Zuschauern, und die Freunde der Sabatier verübelten es ihr sehr, daß sie unter den Bei¬ fallsstürmen des Publikums allein wie theilnahmlos ge¬ blieben, mit keiner Wimper gezuckt, keine Hand zum Beifall gerührt habe.
Aber Wilhelmine Schröder-Devrient war eine zu ehrliche, aufrichtige Natur. Sie hätte an dem Abende heucheln müssen. Norma's Stimme klang scharf und reichte einige Mal nicht mehr aus für die hohen Töne. Sie überschlug sich.
Daß aber Niemandem Mißgunst oder gar kleinlicher Neid ferner liege, als Wilhelmine Schröder-Devrient, sollten die Dresdener im Belisario erfahren. Die glän¬ zendsten Ovationen waren vorbereitet, die Sabatier wurde den ganzen Abend in ihrer wirklick großartigen drama¬ tischen Gestaltung von Belisario's Frau mit Beifall,
künſtlerin zu berathen. Die meiſten Stimmen waren für die Frau in »Beliſario«. — »Aber warum wollen Sie zum letzten Mal in einer ſo grauſigen Rolle, als Büßerin und mit ſchmerzzerriſſenen Zügen vor ein Publikum treten, das Sie liebt? Ich würde die lieb¬ liche Lucia von Lammermoor wählen!« wagte ich ein¬ zuwenden. — »Nicht effektvoll, nicht großartig genug für die gerade ſo hervorragende dramatiſche Schöpfungsmacht unſerer Freundin!« — ſagten die Verehrer der Künſtlerin. Sie wählte die unſelige Frau Beliſario's und leider als vorletzte Rolle Norma — dieſe Glanzpartie unſerer Schröder-Devrient. Dieſe ſaß während der Norma- Aufführung unter den Zuſchauern, und die Freunde der Sabatier verübelten es ihr ſehr, daß ſie unter den Bei¬ fallsſtürmen des Publikums allein wie theilnahmlos ge¬ blieben, mit keiner Wimper gezuckt, keine Hand zum Beifall gerührt habe.
Aber Wilhelmine Schröder-Devrient war eine zu ehrliche, aufrichtige Natur. Sie hätte an dem Abende heucheln müſſen. Norma's Stimme klang ſcharf und reichte einige Mal nicht mehr aus für die hohen Töne. Sie überſchlug ſich.
Daß aber Niemandem Mißgunſt oder gar kleinlicher Neid ferner liege, als Wilhelmine Schröder-Devrient, ſollten die Dresdener im Beliſario erfahren. Die glän¬ zendſten Ovationen waren vorbereitet, die Sabatier wurde den ganzen Abend in ihrer wirklick großartigen drama¬ tiſchen Geſtaltung von Beliſario's Frau mit Beifall,
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künſtlerin zu berathen. Die meiſten Stimmen waren
für die Frau in »Beliſario«. — »Aber warum wollen
Sie zum letzten Mal in einer ſo grauſigen Rolle, als
Büßerin und mit ſchmerzzerriſſenen Zügen vor ein
Publikum treten, das Sie liebt? Ich würde die lieb¬
liche Lucia von Lammermoor wählen!« wagte ich ein¬
zuwenden. — »Nicht effektvoll, nicht großartig genug für
die gerade ſo hervorragende dramatiſche Schöpfungsmacht
unſerer Freundin!« — ſagten die Verehrer der Künſtlerin.
Sie wählte die unſelige Frau Beliſario's und leider als
vorletzte Rolle Norma — dieſe Glanzpartie unſerer
Schröder-Devrient. Dieſe ſaß während der Norma-
Aufführung unter den Zuſchauern, und die Freunde der
Sabatier verübelten es ihr ſehr, daß ſie unter den Bei¬
fallsſtürmen des Publikums allein wie theilnahmlos ge¬
blieben, mit keiner Wimper gezuckt, keine Hand zum
Beifall gerührt habe.
Aber Wilhelmine Schröder-Devrient war eine zu
ehrliche, aufrichtige Natur. Sie hätte an dem Abende
heucheln müſſen. Norma's Stimme klang ſcharf und
reichte einige Mal nicht mehr aus für die hohen Töne.
Sie überſchlug ſich.
Daß aber Niemandem Mißgunſt oder gar kleinlicher
Neid ferner liege, als Wilhelmine Schröder-Devrient,
ſollten die Dresdener im Beliſario erfahren. Die glän¬
zendſten Ovationen waren vorbereitet, die Sabatier wurde
den ganzen Abend in ihrer wirklick großartigen drama¬
tiſchen Geſtaltung von Beliſario's Frau mit Beifall,
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/474>, abgerufen am 25.11.2024.
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