Jüngst, am 2. September 1871, feierte ich in meinem Herzen ein schönes Dresdener Bühnenfest mit: den Jubel¬ tag, an dem meine einstige liebe und geniale Collegin, Franziska Berg, vor 40 Jahren als "Königin von 16 Jahren" die Dresdener Hofbühne zum ersten Mal mit glänzendem Erfolge betrat. Wie rangen wir Beide so begeistert und neidlos Jahre hindurch neben einander als erste Liebhaberinnen um die Palme! Und wie freute ich mich, kürzlich von Augenzeugen zu hören, daß Fran¬ ziska Berg noch immer eine der geachtetsten Stützen des Hoftheaters in Dresden ist und als Mutter im "Fechter von Ravenna" und Marfa in Schiller's Tragödie "De¬ metrius", nach Gustav Kühne's trefflicher Bearbeitung, die wohlverdientesten Triumphe feierte. Möchte es der Künstlerin vergönnt sein, in Dresdens neuem Theater, das Meister Semper augenblicklich in unvergleichlicher Schöne aufwachsen läßt, noch lange Jahre die klassische Zeit des alten Komödienhauses zu repräsentiren.
Am Morgen nach der Eröffnung des neuen Hauses, in der Frühe ging ich noch allein in das kleine, alte Komödienhaus, einen stillen, wehmüthigen Abschied zu nehmen von der schmucklosen Bühne, auf der ich meine reichsten sieben Jahre hindurch so blüthenfröhlich und so fruchtbeglückt gespielt -- nein, gelebt hatte! Ich nahm Abschied von meinem traulichen Garderobenzimmerchen, das sonst von Blumenopfern duftete und Abends so oft von übermüthigem Lachen erklang, wenn die liebens¬ würdige Obergarderobiere, Frl. Bertha Heyse, mir bei
Jüngſt, am 2. September 1871, feierte ich in meinem Herzen ein ſchönes Dresdener Bühnenfeſt mit: den Jubel¬ tag, an dem meine einſtige liebe und geniale Collegin, Franziska Berg, vor 40 Jahren als »Königin von 16 Jahren« die Dresdener Hofbühne zum erſten Mal mit glänzendem Erfolge betrat. Wie rangen wir Beide ſo begeiſtert und neidlos Jahre hindurch neben einander als erſte Liebhaberinnen um die Palme! Und wie freute ich mich, kürzlich von Augenzeugen zu hören, daß Fran¬ ziska Berg noch immer eine der geachtetſten Stützen des Hoftheaters in Dresden iſt und als Mutter im »Fechter von Ravenna« und Marfa in Schiller's Tragödie »De¬ metrius«, nach Guſtav Kühne's trefflicher Bearbeitung, die wohlverdienteſten Triumphe feierte. Möchte es der Künſtlerin vergönnt ſein, in Dresdens neuem Theater, das Meiſter Semper augenblicklich in unvergleichlicher Schöne aufwachſen läßt, noch lange Jahre die klaſſiſche Zeit des alten Komödienhauſes zu repräſentiren.
Am Morgen nach der Eröffnung des neuen Hauſes, in der Frühe ging ich noch allein in das kleine, alte Komödienhaus, einen ſtillen, wehmüthigen Abſchied zu nehmen von der ſchmuckloſen Bühne, auf der ich meine reichſten ſieben Jahre hindurch ſo blüthenfröhlich und ſo fruchtbeglückt geſpielt — nein, gelebt hatte! Ich nahm Abſchied von meinem traulichen Garderobenzimmerchen, das ſonſt von Blumenopfern duftete und Abends ſo oft von übermüthigem Lachen erklang, wenn die liebens¬ würdige Obergarderobiere, Frl. Bertha Heyſe, mir bei
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Jüngſt, am 2. September 1871, feierte ich in meinem
Herzen ein ſchönes Dresdener Bühnenfeſt mit: den Jubel¬
tag, an dem meine einſtige liebe und geniale Collegin,
Franziska Berg, vor 40 Jahren als »Königin von
16 Jahren« die Dresdener Hofbühne zum erſten Mal
mit glänzendem Erfolge betrat. Wie rangen wir Beide
ſo begeiſtert und neidlos Jahre hindurch neben einander
als erſte Liebhaberinnen um die Palme! Und wie freute
ich mich, kürzlich von Augenzeugen zu hören, daß Fran¬
ziska Berg noch immer eine der geachtetſten Stützen des
Hoftheaters in Dresden iſt und als Mutter im »Fechter
von Ravenna« und Marfa in Schiller's Tragödie »De¬
metrius«, nach Guſtav Kühne's trefflicher Bearbeitung,
die wohlverdienteſten Triumphe feierte. Möchte es der
Künſtlerin vergönnt ſein, in Dresdens neuem Theater,
das Meiſter Semper augenblicklich in unvergleichlicher
Schöne aufwachſen läßt, noch lange Jahre die klaſſiſche
Zeit des alten Komödienhauſes zu repräſentiren.
Am Morgen nach der Eröffnung des neuen Hauſes,
in der Frühe ging ich noch allein in das kleine, alte
Komödienhaus, einen ſtillen, wehmüthigen Abſchied zu
nehmen von der ſchmuckloſen Bühne, auf der ich meine
reichſten ſieben Jahre hindurch ſo blüthenfröhlich und ſo
fruchtbeglückt geſpielt — nein, gelebt hatte! Ich nahm
Abſchied von meinem traulichen Garderobenzimmerchen,
das ſonſt von Blumenopfern duftete und Abends ſo oft
von übermüthigem Lachen erklang, wenn die liebens¬
würdige Obergarderobiere, Frl. Bertha Heyſe, mir bei
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/470>, abgerufen am 22.11.2024.
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