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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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Mutter dabei ganz schwindlig wird, -- eine Pleureuse
läßt ihren butterweichen Gefühlen und salzigen Thränen
freiesten Lauf, -- eine solide Buchdruckersfrau hat nur
die praktische Seite des Lebens im Auge und auf der
Zunge, -- eine Schulmeisterin docirt Lebensweisheit ...
und zuletzt, als Knalleffekt, treten drei Schwestern ein,
die stets zu gleicher Zeit auf die Wöchnerin einsprechen ...
Wie Tieck das fertig brachte, daß man wirklich drei ver¬
schiedene Stimmen und zu gleicher Zeit zu hören glaubte,
das ist mir noch heute ein Räthsel. Hier wurde aus
dem Stimmkünstler fast ein Stimmzauberer. Aber die
Wirkung war auch eine glänzende. Wir lachten nicht
mehr, wir schrieen förmlich wie übermüthige, glückselige
Kinder, und selbst die kranke Hofräthin stimmte herzlich
mit ein. Das kleine, vertrocknete Gesicht der Gräfin
Finkenstein aber strahlte aus ihren tausend Tüllrüschen
hervor, wie eitel Sonnenschein. Ihr Tieck hatte ja
diese Wirkung hervorgebracht. Alles Andere war ihr
Nebensache.

Wollte Tieck aber aus seinen eigenen Dichtungen
vorlesen, so wurden alle Stammgäste schon einige Tage
vorher förmlich dazu eingeladen, und im Saal, Neben-
und Vorzimmer versammelten sich gewöhnlich gegen
50 Personen. Es wurde im Eckhause des Altmarkts
übel notirt, wenn man sich entschuldigen ließ. Mit einer
gewissen Feierlichkeit wurden wir empfangen, mit Thee
und festlicheren Kuchen bewirthet. Die Wachslichte
waren dicker, Tieck trug seinen besten Frack und feier¬

Mutter dabei ganz ſchwindlig wird, — eine Pleureuſe
läßt ihren butterweichen Gefühlen und ſalzigen Thränen
freieſten Lauf, — eine ſolide Buchdruckersfrau hat nur
die praktiſche Seite des Lebens im Auge und auf der
Zunge, — eine Schulmeiſterin docirt Lebensweisheit …
und zuletzt, als Knalleffekt, treten drei Schweſtern ein,
die ſtets zu gleicher Zeit auf die Wöchnerin einſprechen …
Wie Tieck das fertig brachte, daß man wirklich drei ver¬
ſchiedene Stimmen und zu gleicher Zeit zu hören glaubte,
das iſt mir noch heute ein Räthſel. Hier wurde aus
dem Stimmkünſtler faſt ein Stimmzauberer. Aber die
Wirkung war auch eine glänzende. Wir lachten nicht
mehr, wir ſchrieen förmlich wie übermüthige, glückſelige
Kinder, und ſelbſt die kranke Hofräthin ſtimmte herzlich
mit ein. Das kleine, vertrocknete Geſicht der Gräfin
Finkenſtein aber ſtrahlte aus ihren tauſend Tüllrüſchen
hervor, wie eitel Sonnenſchein. Ihr Tieck hatte ja
dieſe Wirkung hervorgebracht. Alles Andere war ihr
Nebenſache.

Wollte Tieck aber aus ſeinen eigenen Dichtungen
vorleſen, ſo wurden alle Stammgäſte ſchon einige Tage
vorher förmlich dazu eingeladen, und im Saal, Neben-
und Vorzimmer verſammelten ſich gewöhnlich gegen
50 Perſonen. Es wurde im Eckhauſe des Altmarkts
übel notirt, wenn man ſich entſchuldigen ließ. Mit einer
gewiſſen Feierlichkeit wurden wir empfangen, mit Thee
und feſtlicheren Kuchen bewirthet. Die Wachslichte
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[400/0428] Mutter dabei ganz ſchwindlig wird, — eine Pleureuſe läßt ihren butterweichen Gefühlen und ſalzigen Thränen freieſten Lauf, — eine ſolide Buchdruckersfrau hat nur die praktiſche Seite des Lebens im Auge und auf der Zunge, — eine Schulmeiſterin docirt Lebensweisheit … und zuletzt, als Knalleffekt, treten drei Schweſtern ein, die ſtets zu gleicher Zeit auf die Wöchnerin einſprechen … Wie Tieck das fertig brachte, daß man wirklich drei ver¬ ſchiedene Stimmen und zu gleicher Zeit zu hören glaubte, das iſt mir noch heute ein Räthſel. Hier wurde aus dem Stimmkünſtler faſt ein Stimmzauberer. Aber die Wirkung war auch eine glänzende. Wir lachten nicht mehr, wir ſchrieen förmlich wie übermüthige, glückſelige Kinder, und ſelbſt die kranke Hofräthin ſtimmte herzlich mit ein. Das kleine, vertrocknete Geſicht der Gräfin Finkenſtein aber ſtrahlte aus ihren tauſend Tüllrüſchen hervor, wie eitel Sonnenſchein. Ihr Tieck hatte ja dieſe Wirkung hervorgebracht. Alles Andere war ihr Nebenſache. Wollte Tieck aber aus ſeinen eigenen Dichtungen vorleſen, ſo wurden alle Stammgäſte ſchon einige Tage vorher förmlich dazu eingeladen, und im Saal, Neben- und Vorzimmer verſammelten ſich gewöhnlich gegen 50 Perſonen. Es wurde im Eckhauſe des Altmarkts übel notirt, wenn man ſich entſchuldigen ließ. Mit einer gewiſſen Feierlichkeit wurden wir empfangen, mit Thee und feſtlicheren Kuchen bewirthet. Die Wachslichte waren dicker, Tieck trug ſeinen beſten Frack und feier¬

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/428>, abgerufen am 25.11.2024.