Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

auge wäre vor ihren gräflichen Nägeln sicher. Und diese
kleine, alte, zarte, kränkliche Gräfin, die aussieht, als
könnte man sie umblasen, als müßte sie Krämpfe be¬
kommen, wenn eine Stricknadel auf die Erde klirrt --
dies Schattenwesen hört nun schon seit dreißig Jahren
Abend für Abend Heinriche, Richarde, Othellos und erst
die furchtbaren Spanier ohne ein Wimperzucken heroisch
mit an, während mich der eine Richard schon beinahe
umbrachte ... Räthselhaft! unfaßlich! Wahrhaftig, die
Gräfin Finkenstein verdiente das achte Weltwunder --
das Nervenwunder genannt zu werden ..."

"Aber Tieck verehrt, schätzt Sie so hoch, theure
Freundin ..."

"Ich ihn ja auch -- aber hübsch in der Ferne,
oder wenn er keine Richarde liest. Ein kleines Lust¬
spiel hält meine Verehrung auch noch aus -- doch
bei einem fünfaktigen Shakespeare schlagen die Nerven
sie todt!"

Ich mußte herzlich lachen. "Auch mein Bruder,
der Rittmeister, der Nerven wie Stahl hat und den
ich eines heißen Augustnachmittags mit zu Tieck vor
sein Richard-Tribunal schleppte und der Zucken in Händen
und Füßen bekam und große Angsttropfen schwitzte, wäh¬
rend die Gräfin ihm ihre triumphirendsten Blicke zuwarf,
als wollte sie sagen: Nicht wahr? so hast Du noch nie
vorlesen hören! ... mein Bruder sagte mir beim Nach¬
hauseschwanken: "Alles kann ich Dir verzeihen, Lina,
daß Du unter die Komödianten gegangen bist und mit

auge wäre vor ihren gräflichen Nägeln ſicher. Und dieſe
kleine, alte, zarte, kränkliche Gräfin, die ausſieht, als
könnte man ſie umblaſen, als müßte ſie Krämpfe be¬
kommen, wenn eine Stricknadel auf die Erde klirrt —
dies Schattenweſen hört nun ſchon ſeit dreißig Jahren
Abend für Abend Heinriche, Richarde, Othellos und erſt
die furchtbaren Spanier ohne ein Wimperzucken heroiſch
mit an, während mich der eine Richard ſchon beinahe
umbrachte … Räthſelhaft! unfaßlich! Wahrhaftig, die
Gräfin Finkenſtein verdiente das achte Weltwunder —
das Nervenwunder genannt zu werden …«

»Aber Tieck verehrt, ſchätzt Sie ſo hoch, theure
Freundin …«

»Ich ihn ja auch — aber hübſch in der Ferne,
oder wenn er keine Richarde lieſt. Ein kleines Luſt¬
ſpiel hält meine Verehrung auch noch aus — doch
bei einem fünfaktigen Shakeſpeare ſchlagen die Nerven
ſie todt!«

Ich mußte herzlich lachen. »Auch mein Bruder,
der Rittmeiſter, der Nerven wie Stahl hat und den
ich eines heißen Auguſtnachmittags mit zu Tieck vor
ſein Richard-Tribunal ſchleppte und der Zucken in Händen
und Füßen bekam und große Angſttropfen ſchwitzte, wäh¬
rend die Gräfin ihm ihre triumphirendſten Blicke zuwarf,
als wollte ſie ſagen: Nicht wahr? ſo haſt Du noch nie
vorleſen hören! … mein Bruder ſagte mir beim Nach¬
hauſeſchwanken: »Alles kann ich Dir verzeihen, Lina,
daß Du unter die Komödianten gegangen biſt und mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0424" n="396"/>
auge wäre vor ihren gräflichen Nägeln &#x017F;icher. Und die&#x017F;e<lb/>
kleine, alte, zarte, kränkliche Gräfin, die aus&#x017F;ieht, als<lb/>
könnte man &#x017F;ie umbla&#x017F;en, als müßte &#x017F;ie Krämpfe be¬<lb/>
kommen, wenn eine Stricknadel auf die Erde klirrt &#x2014;<lb/>
dies Schattenwe&#x017F;en hört nun &#x017F;chon &#x017F;eit dreißig Jahren<lb/>
Abend für Abend Heinriche, Richarde, Othellos und er&#x017F;t<lb/>
die furchtbaren Spanier ohne ein Wimperzucken heroi&#x017F;ch<lb/>
mit an, während mich der eine Richard &#x017F;chon beinahe<lb/>
umbrachte &#x2026; Räth&#x017F;elhaft! unfaßlich! Wahrhaftig, die<lb/>
Gräfin Finken&#x017F;tein verdiente das achte Weltwunder &#x2014;<lb/>
das Nervenwunder genannt zu werden &#x2026;«</p><lb/>
        <p>»Aber Tieck verehrt, &#x017F;chätzt Sie &#x017F;o hoch, theure<lb/>
Freundin &#x2026;«</p><lb/>
        <p>»Ich ihn ja auch &#x2014; aber hüb&#x017F;ch in der Ferne,<lb/>
oder wenn er keine Richarde lie&#x017F;t. Ein kleines Lu&#x017F;<lb/>
&#x017F;piel hält meine Verehrung auch noch aus &#x2014; doch<lb/>
bei einem fünfaktigen Shake&#x017F;peare &#x017F;chlagen die Nerven<lb/>
&#x017F;ie todt!«</p><lb/>
        <p>Ich mußte herzlich lachen. »Auch mein Bruder,<lb/>
der Rittmei&#x017F;ter, der Nerven wie Stahl hat und den<lb/>
ich eines heißen Augu&#x017F;tnachmittags mit zu Tieck vor<lb/>
&#x017F;ein Richard-Tribunal &#x017F;chleppte und der Zucken in Händen<lb/>
und Füßen bekam und große Ang&#x017F;ttropfen &#x017F;chwitzte, wäh¬<lb/>
rend die Gräfin ihm ihre triumphirend&#x017F;ten Blicke zuwarf,<lb/>
als wollte &#x017F;ie &#x017F;agen: Nicht wahr? &#x017F;o ha&#x017F;t Du noch nie<lb/>
vorle&#x017F;en hören! &#x2026; mein Bruder &#x017F;agte mir beim Nach¬<lb/>
hau&#x017F;e&#x017F;chwanken: »Alles kann ich Dir verzeihen, Lina,<lb/>
daß Du unter die Komödianten gegangen bi&#x017F;t und mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0424] auge wäre vor ihren gräflichen Nägeln ſicher. Und dieſe kleine, alte, zarte, kränkliche Gräfin, die ausſieht, als könnte man ſie umblaſen, als müßte ſie Krämpfe be¬ kommen, wenn eine Stricknadel auf die Erde klirrt — dies Schattenweſen hört nun ſchon ſeit dreißig Jahren Abend für Abend Heinriche, Richarde, Othellos und erſt die furchtbaren Spanier ohne ein Wimperzucken heroiſch mit an, während mich der eine Richard ſchon beinahe umbrachte … Räthſelhaft! unfaßlich! Wahrhaftig, die Gräfin Finkenſtein verdiente das achte Weltwunder — das Nervenwunder genannt zu werden …« »Aber Tieck verehrt, ſchätzt Sie ſo hoch, theure Freundin …« »Ich ihn ja auch — aber hübſch in der Ferne, oder wenn er keine Richarde lieſt. Ein kleines Luſt¬ ſpiel hält meine Verehrung auch noch aus — doch bei einem fünfaktigen Shakeſpeare ſchlagen die Nerven ſie todt!« Ich mußte herzlich lachen. »Auch mein Bruder, der Rittmeiſter, der Nerven wie Stahl hat und den ich eines heißen Auguſtnachmittags mit zu Tieck vor ſein Richard-Tribunal ſchleppte und der Zucken in Händen und Füßen bekam und große Angſttropfen ſchwitzte, wäh¬ rend die Gräfin ihm ihre triumphirendſten Blicke zuwarf, als wollte ſie ſagen: Nicht wahr? ſo haſt Du noch nie vorleſen hören! … mein Bruder ſagte mir beim Nach¬ hauſeſchwanken: »Alles kann ich Dir verzeihen, Lina, daß Du unter die Komödianten gegangen biſt und mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/424
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/424>, abgerufen am 16.07.2024.