kunst glaubte man die verschiedenen Akteure vor sich auf der Bühne reden zu sehen. Vor Allem aber entzückte mich die edle Einfachheit im Vortrage. Da war keine Spur von hohlem Deklamiren oder Stelzen-Pathos. Goethe's Wort bewährte sich auch hier: "Die höchste Kunst ist die veredelte Natur!"
Tieck las schnell. In der ergreifenden Szene, wo den Prinzen die Angst vor dem offenen Grabe, vor der schimpflichen Hinrichtung martert, da jagten sich seine Worte förmlich in Hast und Fieberglut -- wie Gewitter¬ wolken! Um so größer war die Wirkung, als der Himmel sich klärte -- als der Prinz gefaßt ist, auch sein Leben dahinzugeben für seine Ueberzeugung. Das floß wie er¬ quickender Sonnenschein von des Lesers Lippen.
Köstlich, wie Thaugefunkel auf Frühlingsblumen, glänzte die Szene zwischen Natalie und dem Kurfürsten:
"O, dieser Fehltritt, blond, mit blauen Augen" ...
und dann wie kräftig und fröhlich frisch das Wort des prächtigen Kurfürsten:
"Wenn ich der Bey von Tunis wär'!"
Ja, da verstand man, daß der tapfere Kottwitz für solch' einen Fürsten freudig in den Tod geht.
... Als ich dem Hofrath für diesen genußreichen Abend meinen aufrichtigen, begeisterten Dank sagte, drückte er mir mit seinem bezaubernden Lächeln die Hand: "Beweisen Sie mir, daß Sie den alten Tieck
kunſt glaubte man die verſchiedenen Akteure vor ſich auf der Bühne reden zu ſehen. Vor Allem aber entzückte mich die edle Einfachheit im Vortrage. Da war keine Spur von hohlem Deklamiren oder Stelzen-Pathos. Goethe's Wort bewährte ſich auch hier: »Die höchſte Kunſt iſt die veredelte Natur!«
Tieck las ſchnell. In der ergreifenden Szene, wo den Prinzen die Angſt vor dem offenen Grabe, vor der ſchimpflichen Hinrichtung martert, da jagten ſich ſeine Worte förmlich in Haſt und Fieberglut — wie Gewitter¬ wolken! Um ſo größer war die Wirkung, als der Himmel ſich klärte — als der Prinz gefaßt iſt, auch ſein Leben dahinzugeben für ſeine Ueberzeugung. Das floß wie er¬ quickender Sonnenſchein von des Leſers Lippen.
Köſtlich, wie Thaugefunkel auf Frühlingsblumen, glänzte die Szene zwiſchen Natalie und dem Kurfürſten:
»O, dieſer Fehltritt, blond, mit blauen Augen« …
und dann wie kräftig und fröhlich friſch das Wort des prächtigen Kurfürſten:
»Wenn ich der Bey von Tunis wär'!«
Ja, da verſtand man, daß der tapfere Kottwitz für ſolch' einen Fürſten freudig in den Tod geht.
… Als ich dem Hofrath für dieſen genußreichen Abend meinen aufrichtigen, begeiſterten Dank ſagte, drückte er mir mit ſeinem bezaubernden Lächeln die Hand: »Beweiſen Sie mir, daß Sie den alten Tieck
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kunſt glaubte man die verſchiedenen Akteure vor ſich auf
der Bühne reden zu ſehen. Vor Allem aber entzückte
mich die edle Einfachheit im Vortrage. Da war keine
Spur von hohlem Deklamiren oder Stelzen-Pathos.
Goethe's Wort bewährte ſich auch hier: »Die höchſte
Kunſt iſt die veredelte Natur!«
Tieck las ſchnell. In der ergreifenden Szene, wo
den Prinzen die Angſt vor dem offenen Grabe, vor der
ſchimpflichen Hinrichtung martert, da jagten ſich ſeine
Worte förmlich in Haſt und Fieberglut — wie Gewitter¬
wolken! Um ſo größer war die Wirkung, als der Himmel
ſich klärte — als der Prinz gefaßt iſt, auch ſein Leben
dahinzugeben für ſeine Ueberzeugung. Das floß wie er¬
quickender Sonnenſchein von des Leſers Lippen.
Köſtlich, wie Thaugefunkel auf Frühlingsblumen,
glänzte die Szene zwiſchen Natalie und dem Kurfürſten:
»O, dieſer Fehltritt, blond, mit blauen Augen« …
und dann wie kräftig und fröhlich friſch das Wort des
prächtigen Kurfürſten:
»Wenn ich der Bey von Tunis wär'!«
Ja, da verſtand man, daß der tapfere Kottwitz für
ſolch' einen Fürſten freudig in den Tod geht.
… Als ich dem Hofrath für dieſen genußreichen
Abend meinen aufrichtigen, begeiſterten Dank ſagte,
drückte er mir mit ſeinem bezaubernden Lächeln die
Hand: »Beweiſen Sie mir, daß Sie den alten Tieck
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/407>, abgerufen am 22.11.2024.
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