Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

kunst glaubte man die verschiedenen Akteure vor sich auf
der Bühne reden zu sehen. Vor Allem aber entzückte
mich die edle Einfachheit im Vortrage. Da war keine
Spur von hohlem Deklamiren oder Stelzen-Pathos.
Goethe's Wort bewährte sich auch hier: "Die höchste
Kunst ist die veredelte Natur!"

Tieck las schnell. In der ergreifenden Szene, wo
den Prinzen die Angst vor dem offenen Grabe, vor der
schimpflichen Hinrichtung martert, da jagten sich seine
Worte förmlich in Hast und Fieberglut -- wie Gewitter¬
wolken! Um so größer war die Wirkung, als der Himmel
sich klärte -- als der Prinz gefaßt ist, auch sein Leben
dahinzugeben für seine Ueberzeugung. Das floß wie er¬
quickender Sonnenschein von des Lesers Lippen.

Köstlich, wie Thaugefunkel auf Frühlingsblumen,
glänzte die Szene zwischen Natalie und dem Kurfürsten:

"O, dieser Fehltritt, blond, mit blauen Augen" ...

und dann wie kräftig und fröhlich frisch das Wort des
prächtigen Kurfürsten:

"Wenn ich der Bey von Tunis wär'!"

Ja, da verstand man, daß der tapfere Kottwitz für
solch' einen Fürsten freudig in den Tod geht.

... Als ich dem Hofrath für diesen genußreichen
Abend meinen aufrichtigen, begeisterten Dank sagte,
drückte er mir mit seinem bezaubernden Lächeln die
Hand: "Beweisen Sie mir, daß Sie den alten Tieck

kunſt glaubte man die verſchiedenen Akteure vor ſich auf
der Bühne reden zu ſehen. Vor Allem aber entzückte
mich die edle Einfachheit im Vortrage. Da war keine
Spur von hohlem Deklamiren oder Stelzen-Pathos.
Goethe's Wort bewährte ſich auch hier: »Die höchſte
Kunſt iſt die veredelte Natur!«

Tieck las ſchnell. In der ergreifenden Szene, wo
den Prinzen die Angſt vor dem offenen Grabe, vor der
ſchimpflichen Hinrichtung martert, da jagten ſich ſeine
Worte förmlich in Haſt und Fieberglut — wie Gewitter¬
wolken! Um ſo größer war die Wirkung, als der Himmel
ſich klärte — als der Prinz gefaßt iſt, auch ſein Leben
dahinzugeben für ſeine Ueberzeugung. Das floß wie er¬
quickender Sonnenſchein von des Leſers Lippen.

Köſtlich, wie Thaugefunkel auf Frühlingsblumen,
glänzte die Szene zwiſchen Natalie und dem Kurfürſten:

»O, dieſer Fehltritt, blond, mit blauen Augen« …

und dann wie kräftig und fröhlich friſch das Wort des
prächtigen Kurfürſten:

»Wenn ich der Bey von Tunis wär'!«

Ja, da verſtand man, daß der tapfere Kottwitz für
ſolch' einen Fürſten freudig in den Tod geht.

… Als ich dem Hofrath für dieſen genußreichen
Abend meinen aufrichtigen, begeiſterten Dank ſagte,
drückte er mir mit ſeinem bezaubernden Lächeln die
Hand: »Beweiſen Sie mir, daß Sie den alten Tieck

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0407" n="379"/>
kun&#x017F;t glaubte man die ver&#x017F;chiedenen Akteure vor &#x017F;ich auf<lb/>
der Bühne reden zu &#x017F;ehen. Vor Allem aber entzückte<lb/>
mich die edle Einfachheit im Vortrage. Da war keine<lb/>
Spur von hohlem Deklamiren oder Stelzen-Pathos.<lb/>
Goethe's Wort bewährte &#x017F;ich auch hier: »Die höch&#x017F;te<lb/>
Kun&#x017F;t i&#x017F;t die veredelte Natur!«</p><lb/>
        <p>Tieck las &#x017F;chnell. In der ergreifenden Szene, wo<lb/>
den Prinzen die Ang&#x017F;t vor dem offenen Grabe, vor der<lb/>
&#x017F;chimpflichen Hinrichtung martert, da jagten &#x017F;ich &#x017F;eine<lb/>
Worte förmlich in Ha&#x017F;t und Fieberglut &#x2014; wie Gewitter¬<lb/>
wolken! Um &#x017F;o größer war die Wirkung, als der Himmel<lb/>
&#x017F;ich klärte &#x2014; als der Prinz gefaßt i&#x017F;t, auch &#x017F;ein Leben<lb/>
dahinzugeben für &#x017F;eine Ueberzeugung. Das floß wie er¬<lb/>
quickender Sonnen&#x017F;chein von des Le&#x017F;ers Lippen.</p><lb/>
        <p>&#x017F;tlich, wie Thaugefunkel auf Frühlingsblumen,<lb/>
glänzte die Szene zwi&#x017F;chen Natalie und dem Kurfür&#x017F;ten:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l rendition="#c">»O, die&#x017F;er Fehltritt, blond, mit blauen Augen« &#x2026;</l>
        </lg><lb/>
        <p>und dann wie kräftig und fröhlich fri&#x017F;ch das Wort des<lb/>
prächtigen Kurfür&#x017F;ten:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l rendition="#c">»Wenn ich der Bey von Tunis wär'!«</l>
        </lg><lb/>
        <p>Ja, da ver&#x017F;tand man, daß der tapfere Kottwitz für<lb/>
&#x017F;olch' einen Für&#x017F;ten freudig in den Tod geht.</p><lb/>
        <p> &#x2026; Als ich dem Hofrath für die&#x017F;en genußreichen<lb/>
Abend meinen aufrichtigen, begei&#x017F;terten Dank &#x017F;agte,<lb/>
drückte er mir mit &#x017F;einem bezaubernden Lächeln die<lb/>
Hand: »Bewei&#x017F;en Sie mir, daß Sie den alten Tieck<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0407] kunſt glaubte man die verſchiedenen Akteure vor ſich auf der Bühne reden zu ſehen. Vor Allem aber entzückte mich die edle Einfachheit im Vortrage. Da war keine Spur von hohlem Deklamiren oder Stelzen-Pathos. Goethe's Wort bewährte ſich auch hier: »Die höchſte Kunſt iſt die veredelte Natur!« Tieck las ſchnell. In der ergreifenden Szene, wo den Prinzen die Angſt vor dem offenen Grabe, vor der ſchimpflichen Hinrichtung martert, da jagten ſich ſeine Worte förmlich in Haſt und Fieberglut — wie Gewitter¬ wolken! Um ſo größer war die Wirkung, als der Himmel ſich klärte — als der Prinz gefaßt iſt, auch ſein Leben dahinzugeben für ſeine Ueberzeugung. Das floß wie er¬ quickender Sonnenſchein von des Leſers Lippen. Köſtlich, wie Thaugefunkel auf Frühlingsblumen, glänzte die Szene zwiſchen Natalie und dem Kurfürſten: »O, dieſer Fehltritt, blond, mit blauen Augen« … und dann wie kräftig und fröhlich friſch das Wort des prächtigen Kurfürſten: »Wenn ich der Bey von Tunis wär'!« Ja, da verſtand man, daß der tapfere Kottwitz für ſolch' einen Fürſten freudig in den Tod geht. … Als ich dem Hofrath für dieſen genußreichen Abend meinen aufrichtigen, begeiſterten Dank ſagte, drückte er mir mit ſeinem bezaubernden Lächeln die Hand: »Beweiſen Sie mir, daß Sie den alten Tieck

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/407
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/407>, abgerufen am 22.11.2024.