gegenseitig keine Schande zu machen. "Lina, wenn es doch ein Lustspiel wäre!" -- dieser Seufzer der Mutter klang schon in das bunte Summen hinein, das uns beim Ablegen der Ueberkleider im Entree durch die Saal¬ thür umrauschte. "Wohl große Gesellschaft?" fragte ich die alte, freundliche Dienerin. "O, nur dreißig Personen!" war ihre würdevolle Antwort. Es lag in diesen "nur" der echte, prächtige Dienstbotenstolz: "Ja, aufgeschaut und allen Respekt! Wir sind sehr gesuchte, berühmte Leute!"
Der Saal war brillant erleuchtet. Stattlich, freund¬ lich trat uns Ludwig Tieck im schwarzen Frack und weißen Halstuch entgegen. Er führte uns zu einem Sopha am Ende des Saales und stellte uns einer winzigen alten Dame vor, deren schmales Gesichtchen vor lauter Tüll¬ rüschen und weißen Spitzentüchelchen vollends verschwand: -- Gräfin Finkenstein. Die Mutter mußte neben ihr Platz nehmen. Mich führte der Hofrath zu seinen Töchtern Dorothea und Agnes, zwei liebenswürdigen Mädchen mit sanften, klugen Augen und herzenswarmem Hände¬ druck. Dann kam mein bei meinen Freunden so be¬ rühmtes und bei andern Leuten auch wohl etwas be¬ rüchtigtes Spießruthen-Vorstellungs-Halbkompliment zur vollsten Geltung: "Baronin Friesen -- Frl. von Brunnow -- Frau von Bülow -- Frl. Reinhold -- Hofrath Ca¬ rus -- Herr von Bandissin nebst (bildschöner) Tochter" ... und so ging es noch eine Weile fort, bis Dorothea mich in einen stillen Winkel zu ihrer Mutter und zu
gegenſeitig keine Schande zu machen. »Lina, wenn es doch ein Luſtſpiel wäre!« — dieſer Seufzer der Mutter klang ſchon in das bunte Summen hinein, das uns beim Ablegen der Ueberkleider im Entree durch die Saal¬ thür umrauſchte. »Wohl große Geſellſchaft?« fragte ich die alte, freundliche Dienerin. »O, nur dreißig Perſonen!« war ihre würdevolle Antwort. Es lag in dieſen »nur« der echte, prächtige Dienſtbotenſtolz: »Ja, aufgeſchaut und allen Reſpekt! Wir ſind ſehr geſuchte, berühmte Leute!«
Der Saal war brillant erleuchtet. Stattlich, freund¬ lich trat uns Ludwig Tieck im ſchwarzen Frack und weißen Halstuch entgegen. Er führte uns zu einem Sopha am Ende des Saales und ſtellte uns einer winzigen alten Dame vor, deren ſchmales Geſichtchen vor lauter Tüll¬ rüſchen und weißen Spitzentüchelchen vollends verſchwand: — Gräfin Finkenſtein. Die Mutter mußte neben ihr Platz nehmen. Mich führte der Hofrath zu ſeinen Töchtern Dorothea und Agnes, zwei liebenswürdigen Mädchen mit ſanften, klugen Augen und herzenswarmem Hände¬ druck. Dann kam mein bei meinen Freunden ſo be¬ rühmtes und bei andern Leuten auch wohl etwas be¬ rüchtigtes Spießruthen-Vorſtellungs-Halbkompliment zur vollſten Geltung: »Baronin Frieſen — Frl. von Brunnow — Frau von Bülow — Frl. Reinhold — Hofrath Ca¬ rus — Herr von Bandiſſin nebſt (bildſchöner) Tochter« … und ſo ging es noch eine Weile fort, bis Dorothea mich in einen ſtillen Winkel zu ihrer Mutter und zu
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0403"n="375"/>
gegenſeitig keine Schande zu machen. »Lina, wenn es<lb/>
doch ein Luſtſpiel wäre!« — dieſer Seufzer der Mutter<lb/>
klang ſchon in das bunte Summen hinein, das uns<lb/>
beim Ablegen der Ueberkleider im Entree durch die Saal¬<lb/>
thür umrauſchte. »Wohl große Geſellſchaft?« fragte ich<lb/>
die alte, freundliche Dienerin. »O, <hirendition="#g">nur</hi> dreißig Perſonen!«<lb/>
war ihre würdevolle Antwort. Es lag in dieſen »<hirendition="#g">nur</hi>«<lb/>
der echte, prächtige Dienſtbotenſtolz: »Ja, aufgeſchaut<lb/>
und allen Reſpekt! Wir ſind ſehr geſuchte, berühmte<lb/>
Leute!«</p><lb/><p>Der Saal war brillant erleuchtet. Stattlich, freund¬<lb/>
lich trat uns Ludwig Tieck im ſchwarzen Frack und weißen<lb/>
Halstuch entgegen. Er führte uns zu einem Sopha am<lb/>
Ende des Saales und ſtellte uns einer winzigen alten<lb/>
Dame vor, deren ſchmales Geſichtchen vor lauter Tüll¬<lb/>
rüſchen und weißen Spitzentüchelchen vollends verſchwand:<lb/>— Gräfin Finkenſtein. Die Mutter mußte neben ihr<lb/>
Platz nehmen. Mich führte der Hofrath zu ſeinen Töchtern<lb/>
Dorothea und Agnes, zwei liebenswürdigen Mädchen<lb/>
mit ſanften, klugen Augen und herzenswarmem Hände¬<lb/>
druck. Dann kam mein bei meinen Freunden ſo be¬<lb/>
rühmtes und bei andern Leuten auch wohl etwas be¬<lb/>
rüchtigtes Spießruthen-Vorſtellungs-Halbkompliment zur<lb/>
vollſten Geltung: »Baronin Frieſen — Frl. von Brunnow<lb/>— Frau von Bülow — Frl. Reinhold — Hofrath Ca¬<lb/>
rus — Herr von Bandiſſin nebſt (bildſchöner) Tochter«<lb/>… und ſo ging es noch eine Weile fort, bis Dorothea<lb/>
mich in einen ſtillen Winkel zu ihrer Mutter und zu<lb/></p></div></body></text></TEI>
[375/0403]
gegenſeitig keine Schande zu machen. »Lina, wenn es
doch ein Luſtſpiel wäre!« — dieſer Seufzer der Mutter
klang ſchon in das bunte Summen hinein, das uns
beim Ablegen der Ueberkleider im Entree durch die Saal¬
thür umrauſchte. »Wohl große Geſellſchaft?« fragte ich
die alte, freundliche Dienerin. »O, nur dreißig Perſonen!«
war ihre würdevolle Antwort. Es lag in dieſen »nur«
der echte, prächtige Dienſtbotenſtolz: »Ja, aufgeſchaut
und allen Reſpekt! Wir ſind ſehr geſuchte, berühmte
Leute!«
Der Saal war brillant erleuchtet. Stattlich, freund¬
lich trat uns Ludwig Tieck im ſchwarzen Frack und weißen
Halstuch entgegen. Er führte uns zu einem Sopha am
Ende des Saales und ſtellte uns einer winzigen alten
Dame vor, deren ſchmales Geſichtchen vor lauter Tüll¬
rüſchen und weißen Spitzentüchelchen vollends verſchwand:
— Gräfin Finkenſtein. Die Mutter mußte neben ihr
Platz nehmen. Mich führte der Hofrath zu ſeinen Töchtern
Dorothea und Agnes, zwei liebenswürdigen Mädchen
mit ſanften, klugen Augen und herzenswarmem Hände¬
druck. Dann kam mein bei meinen Freunden ſo be¬
rühmtes und bei andern Leuten auch wohl etwas be¬
rüchtigtes Spießruthen-Vorſtellungs-Halbkompliment zur
vollſten Geltung: »Baronin Frieſen — Frl. von Brunnow
— Frau von Bülow — Frl. Reinhold — Hofrath Ca¬
rus — Herr von Bandiſſin nebſt (bildſchöner) Tochter«
… und ſo ging es noch eine Weile fort, bis Dorothea
mich in einen ſtillen Winkel zu ihrer Mutter und zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/403>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.