se met en Allemagne ..." Die gute Mars sah in ihrem grauen, engen, hohen Kleide und dem schmucklosen weißen Häubchen aus wie eine verkümmerte Pfarrerswittwe. Als dann die Gäste kamen, schmückte sie sich mit einem blauen Bande. Aber wie spielten Armand und die Mars in diesem lächerlichen Kostüm! Man vergaß über dem Spiel alles Andere -- sogar die 45 Jahre der Mars. Besonders in der Schlußßene, da hätten deutsche Schau¬ spielerinnen von dieser Französin deutsch denken, fühlen, spielen lernen können. Ich selber weinte und lachte mit ihr, wie ein Kind, als sie nach dem erschütternden Ab¬ schiede von Meinau sich abwendend ihren Knaben erblickt, unter Thränen aufjauchzt und -- Alles um sich her ver¬ gessend -- vor dem Kinde niederkniet und mit seinen Locken spielt ... Da erst verstand man, warum Meinau jetzt -- plötzlich ausruft -- ausrufen muß: "Eulalie, ich verzeihe Dir!" -- Und wie die Mars dann das Kind an die Brust reißt und so in Meinau's Arme taumelt -- im überwältigenden Glück ..."
"Gerade so spielte meine große Bethmann diese Szene!" sagte Tieck lebhaft. Das war das höchste Lob, das er einer Schauspielerin zu spenden vermochte.
Nachdem der Dramaturg mich noch über mein Repertoir befragt hatte, sagte er: "Ich hoffe, Sie in Dresden mit der Zeit auch noch in hochtragischen Rollen zu sehen. Sie haben Leidenschaft, ein sympathisches Organ, edle Gesten ..."
"Aber kein tragisches Gesicht, Herr Hofrath!" fiel ich tragikomisch ein.
se met en Allemagne …« Die gute Mars ſah in ihrem grauen, engen, hohen Kleide und dem ſchmuckloſen weißen Häubchen aus wie eine verkümmerte Pfarrerswittwe. Als dann die Gäſte kamen, ſchmückte ſie ſich mit einem blauen Bande. Aber wie ſpielten Armand und die Mars in dieſem lächerlichen Koſtüm! Man vergaß über dem Spiel alles Andere — ſogar die 45 Jahre der Mars. Beſonders in der Schlußſzene, da hätten deutſche Schau¬ ſpielerinnen von dieſer Franzöſin deutſch denken, fühlen, ſpielen lernen können. Ich ſelber weinte und lachte mit ihr, wie ein Kind, als ſie nach dem erſchütternden Ab¬ ſchiede von Meinau ſich abwendend ihren Knaben erblickt, unter Thränen aufjauchzt und — Alles um ſich her ver¬ geſſend — vor dem Kinde niederkniet und mit ſeinen Locken ſpielt … Da erſt verſtand man, warum Meinau jetzt — plötzlich ausruft — ausrufen muß: »Eulalie, ich verzeihe Dir!« — Und wie die Mars dann das Kind an die Bruſt reißt und ſo in Meinau's Arme taumelt — im überwältigenden Glück …«
»Gerade ſo ſpielte meine große Bethmann dieſe Szene!« ſagte Tieck lebhaft. Das war das höchſte Lob, das er einer Schauſpielerin zu ſpenden vermochte.
Nachdem der Dramaturg mich noch über mein Repertoir befragt hatte, ſagte er: »Ich hoffe, Sie in Dresden mit der Zeit auch noch in hochtragiſchen Rollen zu ſehen. Sie haben Leidenſchaft, ein ſympathiſches Organ, edle Geſten …«
»Aber kein tragiſches Geſicht, Herr Hofrath!« fiel ich tragikomiſch ein.
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se met en Allemagne …« Die gute Mars ſah in ihrem
grauen, engen, hohen Kleide und dem ſchmuckloſen weißen
Häubchen aus wie eine verkümmerte Pfarrerswittwe.
Als dann die Gäſte kamen, ſchmückte ſie ſich mit einem
blauen Bande. Aber wie ſpielten Armand und die Mars
in dieſem lächerlichen Koſtüm! Man vergaß über dem
Spiel alles Andere — ſogar die 45 Jahre der Mars.
Beſonders in der Schlußſzene, da hätten deutſche Schau¬
ſpielerinnen von dieſer Franzöſin deutſch denken, fühlen,
ſpielen lernen können. Ich ſelber weinte und lachte mit
ihr, wie ein Kind, als ſie nach dem erſchütternden Ab¬
ſchiede von Meinau ſich abwendend ihren Knaben erblickt,
unter Thränen aufjauchzt und — Alles um ſich her ver¬
geſſend — vor dem Kinde niederkniet und mit ſeinen
Locken ſpielt … Da erſt verſtand man, warum Meinau
jetzt — plötzlich ausruft — ausrufen muß: »Eulalie,
ich verzeihe Dir!« — Und wie die Mars dann das Kind
an die Bruſt reißt und ſo in Meinau's Arme taumelt
— im überwältigenden Glück …«
»Gerade ſo ſpielte meine große Bethmann dieſe
Szene!« ſagte Tieck lebhaft. Das war das höchſte Lob,
das er einer Schauſpielerin zu ſpenden vermochte.
Nachdem der Dramaturg mich noch über mein Repertoir
befragt hatte, ſagte er: »Ich hoffe, Sie in Dresden mit der
Zeit auch noch in hochtragiſchen Rollen zu ſehen. Sie haben
Leidenſchaft, ein ſympathiſches Organ, edle Geſten …«
»Aber kein tragiſches Geſicht, Herr Hofrath!« fiel
ich tragikomiſch ein.
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/400>, abgerufen am 22.11.2024.
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