Elisa noch bei ihm, friedlich seinen Lebensabend be¬ schließen kann. Stets sind ein alter Freund oder eine Freundin bei ihm, die ihn pflegen und an Geburts- und anderen festlichen Erinnerungstagen kleine Gesellschaften veranstalten -- ganz wie zu Lebzeiten Elisa's ..."
Und so fand ich auch das alte Haus und in einem altmodischen, freundlichen Zimmer eine Gesellschaft von uralten, verschollenen Herren und Damen und in einem Lehnstuhl den 82jährigen Dichter. Er wollte sich erhe¬ ben -- aber ich hielt ihn sanft in seinem Sessel zurück und küßte gerührt seine Hand und schaute innig in sein gutes, altes wehmüthig-freundliches Gesicht und in sein mildes, kindliches, braunes Auge auf. Sanft streichelte er mir die Locken -- ich hielt stumm seine andere Hand -- so saß ich zu seinen Füßen.
Es war mir fast zu Muth, als erlebte ich ein Mär¬ chen. In dem Zimmer war es feierlich still; nur die Uhr an der Wand tickte leise und der Sonnenschein und die Schatten der Baumblätter vor den Fenstern spielten auf dem Fußboden und an den Wänden auf den Por¬ träts von der todten Elisa und den todten Jugendfreun¬ den: Göcking, Gleim, Clamer-Schmidt, Hölty, Voß, Bürger und den Stolbergen ... und auf den verstaub¬ ten Wachsfiguren-Gesichtern der altmodischen Herren und der alten, vergilbten Damen in den engen Keil¬ röcken mit breiten Gürteln und großen Schnallen, win¬ zigen silbernen Löckchen unter kolossalen weißen Hauben und mit verblaßtem Lächeln und farblosen Augen ...
Eliſa noch bei ihm, friedlich ſeinen Lebensabend be¬ ſchließen kann. Stets ſind ein alter Freund oder eine Freundin bei ihm, die ihn pflegen und an Geburts- und anderen feſtlichen Erinnerungstagen kleine Geſellſchaften veranſtalten — ganz wie zu Lebzeiten Eliſa's …«
Und ſo fand ich auch das alte Haus und in einem altmodiſchen, freundlichen Zimmer eine Geſellſchaft von uralten, verſchollenen Herren und Damen und in einem Lehnſtuhl den 82jährigen Dichter. Er wollte ſich erhe¬ ben — aber ich hielt ihn ſanft in ſeinem Seſſel zurück und küßte gerührt ſeine Hand und ſchaute innig in ſein gutes, altes wehmüthig-freundliches Geſicht und in ſein mildes, kindliches, braunes Auge auf. Sanft ſtreichelte er mir die Locken — ich hielt ſtumm ſeine andere Hand — ſo ſaß ich zu ſeinen Füßen.
Es war mir faſt zu Muth, als erlebte ich ein Mär¬ chen. In dem Zimmer war es feierlich ſtill; nur die Uhr an der Wand tickte leiſe und der Sonnenſchein und die Schatten der Baumblätter vor den Fenſtern ſpielten auf dem Fußboden und an den Wänden auf den Por¬ träts von der todten Eliſa und den todten Jugendfreun¬ den: Göcking, Gleim, Clamer-Schmidt, Hölty, Voß, Bürger und den Stolbergen … und auf den verſtaub¬ ten Wachsfiguren-Geſichtern der altmodiſchen Herren und der alten, vergilbten Damen in den engen Keil¬ röcken mit breiten Gürteln und großen Schnallen, win¬ zigen ſilbernen Löckchen unter koloſſalen weißen Hauben und mit verblaßtem Lächeln und farbloſen Augen …
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Eliſa noch bei ihm, friedlich ſeinen Lebensabend be¬
ſchließen kann. Stets ſind ein alter Freund oder eine
Freundin bei ihm, die ihn pflegen und an Geburts- und
anderen feſtlichen Erinnerungstagen kleine Geſellſchaften
veranſtalten — ganz wie zu Lebzeiten Eliſa's …«
Und ſo fand ich auch das alte Haus und in einem
altmodiſchen, freundlichen Zimmer eine Geſellſchaft von
uralten, verſchollenen Herren und Damen und in einem
Lehnſtuhl den 82jährigen Dichter. Er wollte ſich erhe¬
ben — aber ich hielt ihn ſanft in ſeinem Seſſel zurück
und küßte gerührt ſeine Hand und ſchaute innig in ſein
gutes, altes wehmüthig-freundliches Geſicht und in ſein
mildes, kindliches, braunes Auge auf. Sanft ſtreichelte
er mir die Locken — ich hielt ſtumm ſeine andere Hand
— ſo ſaß ich zu ſeinen Füßen.
Es war mir faſt zu Muth, als erlebte ich ein Mär¬
chen. In dem Zimmer war es feierlich ſtill; nur die
Uhr an der Wand tickte leiſe und der Sonnenſchein und
die Schatten der Baumblätter vor den Fenſtern ſpielten
auf dem Fußboden und an den Wänden auf den Por¬
träts von der todten Eliſa und den todten Jugendfreun¬
den: Göcking, Gleim, Clamer-Schmidt, Hölty, Voß,
Bürger und den Stolbergen … und auf den verſtaub¬
ten Wachsfiguren-Geſichtern der altmodiſchen Herren
und der alten, vergilbten Damen in den engen Keil¬
röcken mit breiten Gürteln und großen Schnallen, win¬
zigen ſilbernen Löckchen unter koloſſalen weißen Hauben
und mit verblaßtem Lächeln und farbloſen Augen …
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/385>, abgerufen am 22.11.2024.
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