Die Schwester litt an nicht zu besiegendem Trübsinn, seit sie der Bühne entsagen mußte. Monate lang wan¬ derte ich jeden Vormittag zu ihrer abgelegenen Wohnung, und meine Anwesenheit belebte dann die sonst so stillen Räume. Sie hallten wieder vom "Kampf mit dem Drachen" -- "Ein frommer Knecht war Fridolin" -- und als das Einstudiren der Margarethe in den Hage¬ stolzen von Iffland begann, da glaubte ich das glücklichste Geschöpf der Welt zu sein! Wie ein Feenland lag die Zukunft vor mir! Nichts schien mir zu schwer. Ich ge¬ lobte mir, Alles zu erreichen durch beharrlichen Fleiß und begeistertes Streben. Da ich auch groß für mein Alter war, glaubte meine Lehrerin, ich könne den ersten Versuch bald wagen. Drei Monate, bevor ich 14 Jahr wurde, stand auf dem Theaterzettel: "Die Hagestolzen, Schauspiel von Iffland ... Margarethe -- Mlle. Karo¬ line Bauer, als erster Versuch!" Aus besonderer Rück¬ sicht für mich fanden zwei Proben von dem oft gege¬ benen Stück statt, damit ich mit der Bühne, dem Pro¬ scenium, dem Kommen und Abgehen bekannt werde. Der große altväterische Theaterwagen, den ich so oft sehnsüchtig betrachtet hatte, brachte mich mit Mlle. Demmer an's Schauspielhaus. Diese wollte im Zu¬ schauerraum der Probe beiwohnen, um zu hören, ob ich laut genug spräche, und mir überhaupt noch manche Winke geben.
Ein unbeschreibliches Gefühl erfaßte mich, als ich an der Hand meiner Lehrerin auf meine die Welt bedeutenden
Die Schweſter litt an nicht zu beſiegendem Trübſinn, ſeit ſie der Bühne entſagen mußte. Monate lang wan¬ derte ich jeden Vormittag zu ihrer abgelegenen Wohnung, und meine Anweſenheit belebte dann die ſonſt ſo ſtillen Räume. Sie hallten wieder vom »Kampf mit dem Drachen« — »Ein frommer Knecht war Fridolin« — und als das Einſtudiren der Margarethe in den Hage¬ ſtolzen von Iffland begann, da glaubte ich das glücklichſte Geſchöpf der Welt zu ſein! Wie ein Feenland lag die Zukunft vor mir! Nichts ſchien mir zu ſchwer. Ich ge¬ lobte mir, Alles zu erreichen durch beharrlichen Fleiß und begeiſtertes Streben. Da ich auch groß für mein Alter war, glaubte meine Lehrerin, ich könne den erſten Verſuch bald wagen. Drei Monate, bevor ich 14 Jahr wurde, ſtand auf dem Theaterzettel: »Die Hageſtolzen, Schauſpiel von Iffland … Margarethe — Mlle. Karo¬ line Bauer, als erſter Verſuch!« Aus beſonderer Rück¬ ſicht für mich fanden zwei Proben von dem oft gege¬ benen Stück ſtatt, damit ich mit der Bühne, dem Pro¬ ſcenium, dem Kommen und Abgehen bekannt werde. Der große altväteriſche Theaterwagen, den ich ſo oft ſehnſüchtig betrachtet hatte, brachte mich mit Mlle. Demmer an's Schauſpielhaus. Dieſe wollte im Zu¬ ſchauerraum der Probe beiwohnen, um zu hören, ob ich laut genug ſpräche, und mir überhaupt noch manche Winke geben.
Ein unbeſchreibliches Gefühl erfaßte mich, als ich an der Hand meiner Lehrerin auf meine die Welt bedeutenden
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Die Schweſter litt an nicht zu beſiegendem Trübſinn,
ſeit ſie der Bühne entſagen mußte. Monate lang wan¬
derte ich jeden Vormittag zu ihrer abgelegenen Wohnung,
und meine Anweſenheit belebte dann die ſonſt ſo ſtillen
Räume. Sie hallten wieder vom »Kampf mit dem
Drachen« — »Ein frommer Knecht war Fridolin« —
und als das Einſtudiren der Margarethe in den Hage¬
ſtolzen von Iffland begann, da glaubte ich das glücklichſte
Geſchöpf der Welt zu ſein! Wie ein Feenland lag die
Zukunft vor mir! Nichts ſchien mir zu ſchwer. Ich ge¬
lobte mir, Alles zu erreichen durch beharrlichen Fleiß
und begeiſtertes Streben. Da ich auch groß für mein
Alter war, glaubte meine Lehrerin, ich könne den erſten
Verſuch bald wagen. Drei Monate, bevor ich 14 Jahr
wurde, ſtand auf dem Theaterzettel: »Die Hageſtolzen,
Schauſpiel von Iffland … Margarethe — Mlle. Karo¬
line Bauer, als erſter Verſuch!« Aus beſonderer Rück¬
ſicht für mich fanden zwei Proben von dem oft gege¬
benen Stück ſtatt, damit ich mit der Bühne, dem Pro¬
ſcenium, dem Kommen und Abgehen bekannt werde.
Der große altväteriſche Theaterwagen, den ich ſo oft
ſehnſüchtig betrachtet hatte, brachte mich mit Mlle.
Demmer an's Schauſpielhaus. Dieſe wollte im Zu¬
ſchauerraum der Probe beiwohnen, um zu hören, ob
ich laut genug ſpräche, und mir überhaupt noch manche
Winke geben.
Ein unbeſchreibliches Gefühl erfaßte mich, als ich an
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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