O, wenn ich nur wenigstens wüßte, was für ein Stück er wählt! ... Ich schwebe schon jetzt in Todesangst, daß er einen Shakespeare'schen Heinrich oder gar den entsetzlichen Richard lesen wird ... Dann sind meine Nerven verloren ..."
"Trinken Sie nur kurz vorher recht starken schwar¬ zen Kaffee," rief Maltitz ernsthaft, -- "der hält wach und erfrischt die Nerven -- wenigstens für einige Zeit. Mir hat der Kaffee bei Tieck schon manches Mal durch¬ geholfen. Mit der Zeit bin ich aber so nervös gewor¬ den, daß auch dies Mittel nicht mehr wirkt. Meine langen Arme geriethen zuletzt in so bedenkliche Zuckungen, daß in den Vorlesungen Niemand mehr neben mir sitzen wollte -- der lieben Selbsterhaltung wegen!"
Wir lachten. Mit tragikomischem Seufzen setzte die Mutter hinzu:
"O Lina, wenn wir doch schon in Berlin das Rettungsmittel gekannt und vor dem Lesen von "Alexan¬ der und Darius" schwarzen Kaffee getrunken hätten ..."
Maltitz sah uns fragend an. Ich erklärte, nicht ohne Pathos und mimisch-plastisches Zubehör:
"Ich war noch nicht lange bei der königlichen Bühne in Berlin engagirt, als mein Kollege und Gevatter, Hof¬ schauspieler Krüger, die Mutter und mich einlud, der Vorlesung des neuen, soeben der Intendanz zur Auf¬ führung eingereichten Trauerspiels des Baron Uechtritz: "Alexander und Darius" in seiner Wohnung beizuwoh¬ nen. Es sollte zugleich auf Wunsch des Grafen Brühl
O, wenn ich nur wenigſtens wüßte, was für ein Stück er wählt! … Ich ſchwebe ſchon jetzt in Todesangſt, daß er einen Shakeſpeare'ſchen Heinrich oder gar den entſetzlichen Richard leſen wird … Dann ſind meine Nerven verloren …«
»Trinken Sie nur kurz vorher recht ſtarken ſchwar¬ zen Kaffee,« rief Maltitz ernſthaft, — »der hält wach und erfriſcht die Nerven — wenigſtens für einige Zeit. Mir hat der Kaffee bei Tieck ſchon manches Mal durch¬ geholfen. Mit der Zeit bin ich aber ſo nervös gewor¬ den, daß auch dies Mittel nicht mehr wirkt. Meine langen Arme geriethen zuletzt in ſo bedenkliche Zuckungen, daß in den Vorleſungen Niemand mehr neben mir ſitzen wollte — der lieben Selbſterhaltung wegen!«
Wir lachten. Mit tragikomiſchem Seufzen ſetzte die Mutter hinzu:
»O Lina, wenn wir doch ſchon in Berlin das Rettungsmittel gekannt und vor dem Leſen von »Alexan¬ der und Darius« ſchwarzen Kaffee getrunken hätten …«
Maltitz ſah uns fragend an. Ich erklärte, nicht ohne Pathos und mimiſch-plaſtiſches Zubehör:
»Ich war noch nicht lange bei der königlichen Bühne in Berlin engagirt, als mein Kollege und Gevatter, Hof¬ ſchauſpieler Krüger, die Mutter und mich einlud, der Vorleſung des neuen, ſoeben der Intendanz zur Auf¬ führung eingereichten Trauerſpiels des Baron Uechtritz: »Alexander und Darius« in ſeiner Wohnung beizuwoh¬ nen. Es ſollte zugleich auf Wunſch des Grafen Brühl
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O, wenn ich nur wenigſtens wüßte, was für ein Stück
er wählt! … Ich ſchwebe ſchon jetzt in Todesangſt,
daß er einen Shakeſpeare'ſchen Heinrich oder gar den
entſetzlichen Richard leſen wird … Dann ſind meine
Nerven verloren …«
»Trinken Sie nur kurz vorher recht ſtarken ſchwar¬
zen Kaffee,« rief Maltitz ernſthaft, — »der hält wach
und erfriſcht die Nerven — wenigſtens für einige Zeit.
Mir hat der Kaffee bei Tieck ſchon manches Mal durch¬
geholfen. Mit der Zeit bin ich aber ſo nervös gewor¬
den, daß auch dies Mittel nicht mehr wirkt. Meine
langen Arme geriethen zuletzt in ſo bedenkliche Zuckungen,
daß in den Vorleſungen Niemand mehr neben mir ſitzen
wollte — der lieben Selbſterhaltung wegen!«
Wir lachten. Mit tragikomiſchem Seufzen ſetzte die
Mutter hinzu:
»O Lina, wenn wir doch ſchon in Berlin das
Rettungsmittel gekannt und vor dem Leſen von »Alexan¬
der und Darius« ſchwarzen Kaffee getrunken hätten …«
Maltitz ſah uns fragend an. Ich erklärte, nicht
ohne Pathos und mimiſch-plaſtiſches Zubehör:
»Ich war noch nicht lange bei der königlichen Bühne
in Berlin engagirt, als mein Kollege und Gevatter, Hof¬
ſchauſpieler Krüger, die Mutter und mich einlud, der
Vorleſung des neuen, ſoeben der Intendanz zur Auf¬
führung eingereichten Trauerſpiels des Baron Uechtritz:
»Alexander und Darius« in ſeiner Wohnung beizuwoh¬
nen. Es ſollte zugleich auf Wunſch des Grafen Brühl
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/375>, abgerufen am 25.11.2024.
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