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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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Einige Wochen später, als ich das Mozart'sche Con¬
cert gespielt hatte, langte ein großer Brief mit mächtigem
Siegel an. "Poststempel Eisenach?" sagte die Mutter,
"dort kenne ich Niemand, als meine Stiefschwester." --
Als sie den Inhalt überflogen, sank sie todtenblaß auf's
Sopha ... Die Stiefschwester hatte eine gerichtliche
Klage wegen der Erbschaft vom seligen Großvater an¬
gestrengt. Sie beanspruchte die Hälfte von Allem, was
meine Großmutter zur Zeit erhalten.

Verlor die Mutter den Prozeß und mußte heraus¬
zahlen, so blieb ihr nur die mäßige Pension als Ritt¬
meisterswittwe. Unsere Erziehung und die Kriegsjahre
hatten große Opfer gefordert. -- Der berühmteste Advokat
wußte auch keinen besseren Trost: "Im schlimmsten Falle
müssen Sie das Geld erst nach einem Jahr herauszahlen."

Sogleich war mein Entschluß gefaßt. Als wir
allein waren und die Mutter blaß und angegriffen ihr
Herz durch Thränen erleichterte, fiel ich ihr um den
Hals -- und fröhlich, zuversichlich rief ich aus: "Sei
ruhig! -- in einem Jahre nehme ich Dir alle Sorgen
ab! Mutter, laß die kleine Komödiantin Schauspie¬
lerin werden -- ich fühle: es soll so sein -- gewiß,
ich habe Talent. Weshalb wählte Kirchenrath Kazner
mich, um das Gebet vor der Konfirmation zu sprechen,
mich von sechszig vornehmeren, reicheren und begabteren
Mädchen! -- Weshalb? -- -- Weil er voraussetzte, daß
ich es am besten vortragen würde ... Und hat man
nicht in der großen Kirche jedes Wort verstanden? Weinten

Einige Wochen ſpäter, als ich das Mozart'ſche Con¬
cert geſpielt hatte, langte ein großer Brief mit mächtigem
Siegel an. »Poſtſtempel Eiſenach?« ſagte die Mutter,
»dort kenne ich Niemand, als meine Stiefſchweſter.« —
Als ſie den Inhalt überflogen, ſank ſie todtenblaß auf's
Sopha … Die Stiefſchweſter hatte eine gerichtliche
Klage wegen der Erbſchaft vom ſeligen Großvater an¬
geſtrengt. Sie beanſpruchte die Hälfte von Allem, was
meine Großmutter zur Zeit erhalten.

Verlor die Mutter den Prozeß und mußte heraus¬
zahlen, ſo blieb ihr nur die mäßige Penſion als Ritt¬
meiſterswittwe. Unſere Erziehung und die Kriegsjahre
hatten große Opfer gefordert. — Der berühmteſte Advokat
wußte auch keinen beſſeren Troſt: »Im ſchlimmſten Falle
müſſen Sie das Geld erſt nach einem Jahr herauszahlen.«

Sogleich war mein Entſchluß gefaßt. Als wir
allein waren und die Mutter blaß und angegriffen ihr
Herz durch Thränen erleichterte, fiel ich ihr um den
Hals — und fröhlich, zuverſichlich rief ich aus: »Sei
ruhig! — in einem Jahre nehme ich Dir alle Sorgen
ab! Mutter, laß die kleine Komödiantin Schauſpie¬
lerin werden — ich fühle: es ſoll ſo ſein — gewiß,
ich habe Talent. Weshalb wählte Kirchenrath Kazner
mich, um das Gebet vor der Konfirmation zu ſprechen,
mich von ſechszig vornehmeren, reicheren und begabteren
Mädchen! — Weshalb? — — Weil er vorausſetzte, daß
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[6/0034] Einige Wochen ſpäter, als ich das Mozart'ſche Con¬ cert geſpielt hatte, langte ein großer Brief mit mächtigem Siegel an. »Poſtſtempel Eiſenach?« ſagte die Mutter, »dort kenne ich Niemand, als meine Stiefſchweſter.« — Als ſie den Inhalt überflogen, ſank ſie todtenblaß auf's Sopha … Die Stiefſchweſter hatte eine gerichtliche Klage wegen der Erbſchaft vom ſeligen Großvater an¬ geſtrengt. Sie beanſpruchte die Hälfte von Allem, was meine Großmutter zur Zeit erhalten. Verlor die Mutter den Prozeß und mußte heraus¬ zahlen, ſo blieb ihr nur die mäßige Penſion als Ritt¬ meiſterswittwe. Unſere Erziehung und die Kriegsjahre hatten große Opfer gefordert. — Der berühmteſte Advokat wußte auch keinen beſſeren Troſt: »Im ſchlimmſten Falle müſſen Sie das Geld erſt nach einem Jahr herauszahlen.« Sogleich war mein Entſchluß gefaßt. Als wir allein waren und die Mutter blaß und angegriffen ihr Herz durch Thränen erleichterte, fiel ich ihr um den Hals — und fröhlich, zuverſichlich rief ich aus: »Sei ruhig! — in einem Jahre nehme ich Dir alle Sorgen ab! Mutter, laß die kleine Komödiantin Schauſpie¬ lerin werden — ich fühle: es ſoll ſo ſein — gewiß, ich habe Talent. Weshalb wählte Kirchenrath Kazner mich, um das Gebet vor der Konfirmation zu ſprechen, mich von ſechszig vornehmeren, reicheren und begabteren Mädchen! — Weshalb? — — Weil er vorausſetzte, daß ich es am beſten vortragen würde … Und hat man nicht in der großen Kirche jedes Wort verſtanden? Weinten

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/34>, abgerufen am 21.11.2024.