denn zuerst am Nordthurm: "Louis! wie geht's Dir da oben?" -- Ein blasses, feines Gesicht sah zum kleinen Fenster heraus: "Ganz gut, Linchen!" -- "Hast Du Hunger?" -- "Nein! gieb es dem Karl, der hat immer Hunger; lebe wohl! grüß' die Mutter." -- Dann eilte ich nach dem Südthurm: "Karl, wie geht's Dir in Deinem Krähennest?" -- Das runde, sonst so über¬ müthig lustige Gesicht meines ältesten Bruders sah weh¬ müthig nieder. "Nicht gut, Lina." -- "Willst Du Obst und Brod?" -- "Gewiß! ich habe Hunger," und der Wärter trug ihm meine Schätze hinauf ...
Wir zogen 1814 nach Karlsruhe, Louis kam in eine Pension, um sich zum Kaufmann auszubilden, Karl in die Junkerschule, um Offizier zu werden. Die Mutter trennte sich ungern von Bruchsal, sie hatte mit unserm Vater, der beim Dragoner-Regiment Heimrot stand, dort glückliche Jahre verlebt. Auch meiner Erziehung wegen ging sie nach Karlsruhe. Die Knabenkleidung ward be¬ seitigt; und ich erschien schon weniger häßlich als Mäd¬ chen; die Nase hielt glücklicherweise im Wachsthum inne und mich schmückte blühendste Gesundheit.
In Karlsruhe ging mir ein neues Leben auf -- und vor Allem ein Ahnen von der Bedeutung des Wortes "Komödiantin", nachdem ich im großherzoglichen Theater einige Vorstellungen gesehen hatte. Nichts vermochte mich so zu beseligen, als wenn ich das Theater besuchen durfte; mit nichts wurde mein Fleiß mehr angespornt, als durch das Versprechen: "Du darfst dann auch morgen in's
denn zuerſt am Nordthurm: »Louis! wie geht's Dir da oben?« — Ein blaſſes, feines Geſicht ſah zum kleinen Fenſter heraus: »Ganz gut, Linchen!« — »Haſt Du Hunger?« — »Nein! gieb es dem Karl, der hat immer Hunger; lebe wohl! grüß' die Mutter.« — Dann eilte ich nach dem Südthurm: »Karl, wie geht's Dir in Deinem Krähenneſt?« — Das runde, ſonſt ſo über¬ müthig luſtige Geſicht meines älteſten Bruders ſah weh¬ müthig nieder. »Nicht gut, Lina.« — »Willſt Du Obſt und Brod?« — »Gewiß! ich habe Hunger,« und der Wärter trug ihm meine Schätze hinauf …
Wir zogen 1814 nach Karlsruhe, Louis kam in eine Penſion, um ſich zum Kaufmann auszubilden, Karl in die Junkerſchule, um Offizier zu werden. Die Mutter trennte ſich ungern von Bruchſal, ſie hatte mit unſerm Vater, der beim Dragoner-Regiment Heimrot ſtand, dort glückliche Jahre verlebt. Auch meiner Erziehung wegen ging ſie nach Karlsruhe. Die Knabenkleidung ward be¬ ſeitigt; und ich erſchien ſchon weniger häßlich als Mäd¬ chen; die Naſe hielt glücklicherweiſe im Wachsthum inne und mich ſchmückte blühendſte Geſundheit.
In Karlsruhe ging mir ein neues Leben auf — und vor Allem ein Ahnen von der Bedeutung des Wortes »Komödiantin«, nachdem ich im großherzoglichen Theater einige Vorſtellungen geſehen hatte. Nichts vermochte mich ſo zu beſeligen, als wenn ich das Theater beſuchen durfte; mit nichts wurde mein Fleiß mehr angeſpornt, als durch das Verſprechen: »Du darfſt dann auch morgen in's
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denn zuerſt am Nordthurm: »Louis! wie geht's Dir
da oben?« — Ein blaſſes, feines Geſicht ſah zum kleinen
Fenſter heraus: »Ganz gut, Linchen!« — »Haſt Du
Hunger?« — »Nein! gieb es dem Karl, der hat immer
Hunger; lebe wohl! grüß' die Mutter.« — Dann eilte
ich nach dem Südthurm: »Karl, wie geht's Dir in
Deinem Krähenneſt?« — Das runde, ſonſt ſo über¬
müthig luſtige Geſicht meines älteſten Bruders ſah weh¬
müthig nieder. »Nicht gut, Lina.« — »Willſt Du Obſt
und Brod?« — »Gewiß! ich habe Hunger,« und der
Wärter trug ihm meine Schätze hinauf …
Wir zogen 1814 nach Karlsruhe, Louis kam in eine
Penſion, um ſich zum Kaufmann auszubilden, Karl in
die Junkerſchule, um Offizier zu werden. Die Mutter
trennte ſich ungern von Bruchſal, ſie hatte mit unſerm
Vater, der beim Dragoner-Regiment Heimrot ſtand, dort
glückliche Jahre verlebt. Auch meiner Erziehung wegen
ging ſie nach Karlsruhe. Die Knabenkleidung ward be¬
ſeitigt; und ich erſchien ſchon weniger häßlich als Mäd¬
chen; die Naſe hielt glücklicherweiſe im Wachsthum inne
und mich ſchmückte blühendſte Geſundheit.
In Karlsruhe ging mir ein neues Leben auf — und
vor Allem ein Ahnen von der Bedeutung des Wortes
»Komödiantin«, nachdem ich im großherzoglichen Theater
einige Vorſtellungen geſehen hatte. Nichts vermochte mich
ſo zu beſeligen, als wenn ich das Theater beſuchen durfte;
mit nichts wurde mein Fleiß mehr angeſpornt, als durch
das Verſprechen: »Du darfſt dann auch morgen in's
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/32>, abgerufen am 21.11.2024.
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