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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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geliebt hatte! Wohl ihr, daß sie eine gläubige Christin war,
eine strenge Katholikin, sonst hätte Wahnsinn sie erfassen
müssen -- bei all' dem Furchtbaren, was sie gelitten!

Die Dichter suchen so oft nach Stoffen für Tra¬
gödien ... Sollte das Schicksal dieser Märtyrerin nicht
eine dankbare Aufgabe für die Feder -- die Phantasie
-- -- das Herz eines dramatischen Schriftstellers sein?

Auch das Begräbniß des Großfürsten wurde ver¬
gessen, die Cholera ließ nach in ihrem Wüthen und die
Theater wurden wieder geöffnet ... Und eines Tages
verkündeten Kanonensalven von der Festung aus auch --
die Einnahme Warschau's! Endlich!

Das gesellige Leben bewegte sich wieder in gewohnter
froher und geräuschvoller Weise, die Theater wurden
mehr denn je besucht -- -- und Ueberraschung, ja Er¬
staunen erregten die sonst so wenig beachteten deutschen
Vorstellungen! Ein reiches Repertoir wurde entfaltet.
Emilie Galotti, König Enzio, Elise von Valberg, Pauline,
Schein und Sein, Der Müller und sein Kind, Die
Braut vom Kynast, Die Lichtensteiner, Marie Louise
von Orleans, Friedrich August in Madrid, Pfefferrösel ...
alle damals neuen und gern gesehenen Lustspiele wurden
mit Lust und Leben dargestellt. Nach Verlauf eines
Jahres konnte Fürst Gagarin einen Ueberschuß aufweisen,
-- den ersten von den kaiserlichen Bühnen in Petersburg
überhaupt, und zwar -- vom deutschen Theater erzielt.

Hätte der Hof nur einige Male die Vorstellungen
mit seiner Gegenwart beehrt, die vornehmen russischen

geliebt hatte! Wohl ihr, daß ſie eine gläubige Chriſtin war,
eine ſtrenge Katholikin, ſonſt hätte Wahnſinn ſie erfaſſen
müſſen — bei all' dem Furchtbaren, was ſie gelitten!

Die Dichter ſuchen ſo oft nach Stoffen für Tra¬
gödien … Sollte das Schickſal dieſer Märtyrerin nicht
eine dankbare Aufgabe für die Feder — die Phantaſie
— — das Herz eines dramatiſchen Schriftſtellers ſein?

Auch das Begräbniß des Großfürſten wurde ver¬
geſſen, die Cholera ließ nach in ihrem Wüthen und die
Theater wurden wieder geöffnet … Und eines Tages
verkündeten Kanonenſalven von der Feſtung aus auch —
die Einnahme Warſchau's! Endlich!

Das geſellige Leben bewegte ſich wieder in gewohnter
froher und geräuſchvoller Weiſe, die Theater wurden
mehr denn je beſucht — — und Ueberraſchung, ja Er¬
ſtaunen erregten die ſonſt ſo wenig beachteten deutſchen
Vorſtellungen! Ein reiches Repertoir wurde entfaltet.
Emilie Galotti, König Enzio, Eliſe von Valberg, Pauline,
Schein und Sein, Der Müller und ſein Kind, Die
Braut vom Kynaſt, Die Lichtenſteiner, Marie Louiſe
von Orleans, Friedrich Auguſt in Madrid, Pfefferröſel …
alle damals neuen und gern geſehenen Luſtſpiele wurden
mit Luſt und Leben dargeſtellt. Nach Verlauf eines
Jahres konnte Fürſt Gagarin einen Ueberſchuß aufweiſen,
— den erſten von den kaiſerlichen Bühnen in Petersburg
überhaupt, und zwar — vom deutſchen Theater erzielt.

Hätte der Hof nur einige Male die Vorſtellungen
mit ſeiner Gegenwart beehrt, die vornehmen ruſſiſchen

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[210/0238] geliebt hatte! Wohl ihr, daß ſie eine gläubige Chriſtin war, eine ſtrenge Katholikin, ſonſt hätte Wahnſinn ſie erfaſſen müſſen — bei all' dem Furchtbaren, was ſie gelitten! Die Dichter ſuchen ſo oft nach Stoffen für Tra¬ gödien … Sollte das Schickſal dieſer Märtyrerin nicht eine dankbare Aufgabe für die Feder — die Phantaſie — — das Herz eines dramatiſchen Schriftſtellers ſein? Auch das Begräbniß des Großfürſten wurde ver¬ geſſen, die Cholera ließ nach in ihrem Wüthen und die Theater wurden wieder geöffnet … Und eines Tages verkündeten Kanonenſalven von der Feſtung aus auch — die Einnahme Warſchau's! Endlich! Das geſellige Leben bewegte ſich wieder in gewohnter froher und geräuſchvoller Weiſe, die Theater wurden mehr denn je beſucht — — und Ueberraſchung, ja Er¬ ſtaunen erregten die ſonſt ſo wenig beachteten deutſchen Vorſtellungen! Ein reiches Repertoir wurde entfaltet. Emilie Galotti, König Enzio, Eliſe von Valberg, Pauline, Schein und Sein, Der Müller und ſein Kind, Die Braut vom Kynaſt, Die Lichtenſteiner, Marie Louiſe von Orleans, Friedrich Auguſt in Madrid, Pfefferröſel … alle damals neuen und gern geſehenen Luſtſpiele wurden mit Luſt und Leben dargeſtellt. Nach Verlauf eines Jahres konnte Fürſt Gagarin einen Ueberſchuß aufweiſen, — den erſten von den kaiſerlichen Bühnen in Petersburg überhaupt, und zwar — vom deutſchen Theater erzielt. Hätte der Hof nur einige Male die Vorſtellungen mit ſeiner Gegenwart beehrt, die vornehmen ruſſiſchen

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/238>, abgerufen am 25.11.2024.