es sich bis zu 21/2 Stunden. Keine Spur von Konver¬ sationston, kein Humor! Der große, starke Barlow als General sprach nicht, er deklamirte. Das "Guten Morgen, liebe Agnes!" trug er vor wie: "Geh' in ein Kloster, Ophelia!" Wiebe, der den jugendlichen Liebhaber gab, spielte ernst und sprach monoton langsam, wie ein Büßen¬ der; sein Lächeln war gezwungen, als kostete es ihm ent¬ setzliche Muskelanstrengung. Von sämmtlichen Beschäftigten wurde jedes Wort angstvoll dem Souffleur abgelauscht ... genug, ich kam aus der Probe völlig entmuthigt zu Hause an. Verzweiflungsvoll klagte ich der Mutter meine Noth und Angst wegen der Vorstellung. Die Ueber¬ zeugung, daß die hohen Herrschaften sich langweilen müßten, und das Bewußtsein, daß ich Unglückliche die Veranlassung zu dieser Aufführung sei, benahmen mir Muth und Heiterkeit. Ich wollte sogar zu Wolkonski eilen, ihm Alles sagen und auf die Vorstellung vor dem Hofe verzichten. Aber dann hätte ich auch nicht mehr am deutschen Theater in Petersburg gastiren können, denn die Schauspieler hätten ja den Grund meiner jetzigen Weigerung, vor dem Hofe aufzutreten, erfahren, und der Zweck der kostspieligen und mühsamen Reise wäre verfehlt gewesen. Mit betrübterem Herzen konnte kaum einer Auszeichnung entgegengesehen werden.
Ehe die Ouverture begann, sah ich durch ein Löwen¬ auge des Vorhanges und betrachtete das schön und reich geschmückte vornehme Publikum. Der Prinz von Preußen (der jetzige Kaiser) war zum Besuche bei seiner erlauchten
es ſich bis zu 2½ Stunden. Keine Spur von Konver¬ ſationston, kein Humor! Der große, ſtarke Barlow als General ſprach nicht, er deklamirte. Das »Guten Morgen, liebe Agnes!« trug er vor wie: »Geh' in ein Kloſter, Ophelia!« Wiebe, der den jugendlichen Liebhaber gab, ſpielte ernſt und ſprach monoton langſam, wie ein Büßen¬ der; ſein Lächeln war gezwungen, als koſtete es ihm ent¬ ſetzliche Muskelanſtrengung. Von ſämmtlichen Beſchäftigten wurde jedes Wort angſtvoll dem Souffleur abgelauſcht … genug, ich kam aus der Probe völlig entmuthigt zu Hauſe an. Verzweiflungsvoll klagte ich der Mutter meine Noth und Angſt wegen der Vorſtellung. Die Ueber¬ zeugung, daß die hohen Herrſchaften ſich langweilen müßten, und das Bewußtſein, daß ich Unglückliche die Veranlaſſung zu dieſer Aufführung ſei, benahmen mir Muth und Heiterkeit. Ich wollte ſogar zu Wolkonski eilen, ihm Alles ſagen und auf die Vorſtellung vor dem Hofe verzichten. Aber dann hätte ich auch nicht mehr am deutſchen Theater in Petersburg gaſtiren können, denn die Schauſpieler hätten ja den Grund meiner jetzigen Weigerung, vor dem Hofe aufzutreten, erfahren, und der Zweck der koſtſpieligen und mühſamen Reiſe wäre verfehlt geweſen. Mit betrübterem Herzen konnte kaum einer Auszeichnung entgegengeſehen werden.
Ehe die Ouverture begann, ſah ich durch ein Löwen¬ auge des Vorhanges und betrachtete das ſchön und reich geſchmückte vornehme Publikum. Der Prinz von Preußen (der jetzige Kaiſer) war zum Beſuche bei ſeiner erlauchten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0225"n="197"/>
es ſich bis zu 2½ Stunden. Keine Spur von Konver¬<lb/>ſationston, kein Humor! Der große, ſtarke Barlow als<lb/>
General ſprach nicht, er deklamirte. Das »Guten Morgen,<lb/>
liebe Agnes!« trug er vor wie: »Geh' in ein Kloſter,<lb/>
Ophelia!« Wiebe, der den jugendlichen Liebhaber gab,<lb/>ſpielte ernſt und ſprach monoton langſam, wie ein Büßen¬<lb/>
der; ſein Lächeln war gezwungen, als koſtete es ihm ent¬<lb/>ſetzliche Muskelanſtrengung. Von ſämmtlichen Beſchäftigten<lb/>
wurde jedes Wort angſtvoll dem Souffleur abgelauſcht …<lb/>
genug, ich kam aus der Probe völlig entmuthigt zu<lb/>
Hauſe an. Verzweiflungsvoll klagte ich der Mutter meine<lb/>
Noth und Angſt wegen der Vorſtellung. Die Ueber¬<lb/>
zeugung, daß die hohen Herrſchaften ſich langweilen<lb/>
müßten, und das Bewußtſein, daß ich Unglückliche die<lb/>
Veranlaſſung zu dieſer Aufführung ſei, benahmen mir<lb/>
Muth und Heiterkeit. Ich wollte ſogar zu Wolkonski<lb/>
eilen, ihm Alles ſagen und auf die Vorſtellung vor dem<lb/>
Hofe verzichten. Aber dann hätte ich auch nicht mehr<lb/>
am deutſchen Theater in Petersburg gaſtiren können,<lb/>
denn die Schauſpieler hätten ja den Grund meiner jetzigen<lb/>
Weigerung, vor dem Hofe aufzutreten, erfahren, und<lb/>
der Zweck der koſtſpieligen und mühſamen Reiſe wäre<lb/>
verfehlt geweſen. Mit betrübterem Herzen konnte kaum<lb/>
einer Auszeichnung entgegengeſehen werden.</p><lb/><p>Ehe die Ouverture begann, ſah ich durch ein Löwen¬<lb/>
auge des Vorhanges und betrachtete das ſchön und reich<lb/>
geſchmückte vornehme Publikum. Der Prinz von Preußen<lb/>
(der jetzige Kaiſer) war zum Beſuche bei ſeiner erlauchten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[197/0225]
es ſich bis zu 2½ Stunden. Keine Spur von Konver¬
ſationston, kein Humor! Der große, ſtarke Barlow als
General ſprach nicht, er deklamirte. Das »Guten Morgen,
liebe Agnes!« trug er vor wie: »Geh' in ein Kloſter,
Ophelia!« Wiebe, der den jugendlichen Liebhaber gab,
ſpielte ernſt und ſprach monoton langſam, wie ein Büßen¬
der; ſein Lächeln war gezwungen, als koſtete es ihm ent¬
ſetzliche Muskelanſtrengung. Von ſämmtlichen Beſchäftigten
wurde jedes Wort angſtvoll dem Souffleur abgelauſcht …
genug, ich kam aus der Probe völlig entmuthigt zu
Hauſe an. Verzweiflungsvoll klagte ich der Mutter meine
Noth und Angſt wegen der Vorſtellung. Die Ueber¬
zeugung, daß die hohen Herrſchaften ſich langweilen
müßten, und das Bewußtſein, daß ich Unglückliche die
Veranlaſſung zu dieſer Aufführung ſei, benahmen mir
Muth und Heiterkeit. Ich wollte ſogar zu Wolkonski
eilen, ihm Alles ſagen und auf die Vorſtellung vor dem
Hofe verzichten. Aber dann hätte ich auch nicht mehr
am deutſchen Theater in Petersburg gaſtiren können,
denn die Schauſpieler hätten ja den Grund meiner jetzigen
Weigerung, vor dem Hofe aufzutreten, erfahren, und
der Zweck der koſtſpieligen und mühſamen Reiſe wäre
verfehlt geweſen. Mit betrübterem Herzen konnte kaum
einer Auszeichnung entgegengeſehen werden.
Ehe die Ouverture begann, ſah ich durch ein Löwen¬
auge des Vorhanges und betrachtete das ſchön und reich
geſchmückte vornehme Publikum. Der Prinz von Preußen
(der jetzige Kaiſer) war zum Beſuche bei ſeiner erlauchten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/225>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.