"Soll ich etwa in alten Schuhen vor Ihren Maje¬ stäten in Petersburg spielen? -- oder dort erst Schuhe anmessen lassen? Verdolmetschen Sie ihm das, ich bitte, Wort für Wort."
Das half, es wurde weiter ausgepackt, etwas schneller, da hörte ich plötzlich hinter mir Ohrfeigen austheilen und heftig reden. Ich wandte mich um und sah einen Knirps von Beamten, kaum 18 Jahr alt, einen alten, ehr¬ würdigen Bauer mit schneeweißem Haar und langem Bart, der verlegen seine Mütze drehte und leise Entschuldi¬ gungen stammelte, rechts und links heftig ohrfeigen! Entrüstet stellte ich mich rasch vor den Greis, und ihn mit ausgebreiteten Armen schützend, rief ich ganz außer mir, ohne daran zu denken, daß meine Worte nicht ver¬ standen würden: "Hat er gefehlt, so wird er gestraft werden, aber nicht durch Sie, junger Mensch! Ehren Sie das Alter! Ohrfeigt man einen Greis, der mit einem Fuß schon im Grabe steht?"
Nun wurde es lebendig in dem dumpfen Zimmer. Die Juden schrie'n, die Beamten traten auf uns zu, die Wache stürzte herein und unser Bedienter rief, Alle über¬ tönend: "Wir stehen unter preußischem Schutz! Wir sind Preußen! Die arme Mutter war auf einen Stuhl ge¬ sunken, kaum im Stande, unser Hündchen zurückzuhalten, welches wie rasend bellte und mich vertheidigen wollte. Der winzige Beamte ballte die Faust und suchte dem
»Was fragt der Unhöfliche?«
»Warum Sie neue Schuhe mit ſich führen?«
»Soll ich etwa in alten Schuhen vor Ihren Maje¬ ſtäten in Petersburg ſpielen? — oder dort erſt Schuhe anmeſſen laſſen? Verdolmetſchen Sie ihm das, ich bitte, Wort für Wort.«
Das half, es wurde weiter ausgepackt, etwas ſchneller, da hörte ich plötzlich hinter mir Ohrfeigen austheilen und heftig reden. Ich wandte mich um und ſah einen Knirps von Beamten, kaum 18 Jahr alt, einen alten, ehr¬ würdigen Bauer mit ſchneeweißem Haar und langem Bart, der verlegen ſeine Mütze drehte und leiſe Entſchuldi¬ gungen ſtammelte, rechts und links heftig ohrfeigen! Entrüſtet ſtellte ich mich raſch vor den Greis, und ihn mit ausgebreiteten Armen ſchützend, rief ich ganz außer mir, ohne daran zu denken, daß meine Worte nicht ver¬ ſtanden würden: »Hat er gefehlt, ſo wird er geſtraft werden, aber nicht durch Sie, junger Menſch! Ehren Sie das Alter! Ohrfeigt man einen Greis, der mit einem Fuß ſchon im Grabe ſteht?«
Nun wurde es lebendig in dem dumpfen Zimmer. Die Juden ſchrie'n, die Beamten traten auf uns zu, die Wache ſtürzte herein und unſer Bedienter rief, Alle über¬ tönend: »Wir ſtehen unter preußiſchem Schutz! Wir ſind Preußen! Die arme Mutter war auf einen Stuhl ge¬ ſunken, kaum im Stande, unſer Hündchen zurückzuhalten, welches wie raſend bellte und mich vertheidigen wollte. Der winzige Beamte ballte die Fauſt und ſuchte dem
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»Was fragt der Unhöfliche?«
»Warum Sie neue Schuhe mit ſich führen?«
»Soll ich etwa in alten Schuhen vor Ihren Maje¬
ſtäten in Petersburg ſpielen? — oder dort erſt Schuhe
anmeſſen laſſen? Verdolmetſchen Sie ihm das, ich bitte,
Wort für Wort.«
Das half, es wurde weiter ausgepackt, etwas ſchneller,
da hörte ich plötzlich hinter mir Ohrfeigen austheilen und
heftig reden. Ich wandte mich um und ſah einen Knirps
von Beamten, kaum 18 Jahr alt, einen alten, ehr¬
würdigen Bauer mit ſchneeweißem Haar und langem
Bart, der verlegen ſeine Mütze drehte und leiſe Entſchuldi¬
gungen ſtammelte, rechts und links heftig ohrfeigen!
Entrüſtet ſtellte ich mich raſch vor den Greis, und ihn
mit ausgebreiteten Armen ſchützend, rief ich ganz außer
mir, ohne daran zu denken, daß meine Worte nicht ver¬
ſtanden würden: »Hat er gefehlt, ſo wird er geſtraft
werden, aber nicht durch Sie, junger Menſch! Ehren
Sie das Alter! Ohrfeigt man einen Greis, der mit einem
Fuß ſchon im Grabe ſteht?«
Nun wurde es lebendig in dem dumpfen Zimmer.
Die Juden ſchrie'n, die Beamten traten auf uns zu, die
Wache ſtürzte herein und unſer Bedienter rief, Alle über¬
tönend: »Wir ſtehen unter preußiſchem Schutz! Wir ſind
Preußen! Die arme Mutter war auf einen Stuhl ge¬
ſunken, kaum im Stande, unſer Hündchen zurückzuhalten,
welches wie raſend bellte und mich vertheidigen wollte.
Der winzige Beamte ballte die Fauſt und ſuchte dem
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/208>, abgerufen am 22.11.2024.
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