Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

zehn Jahre mehr, als ich) -- so werden Sie gerechter
über mein jetziges Benehmen denken und sagen: die
Stich hatte vollkommen Recht -- sie konnte nicht anders
handeln ... Also, ohne Groll, liebes Fräulein!" --
und sie reichte mir ehrlich die Hand und ich schlug
eben so ehrlich ein ... und vermochte ihr später ihre
Gegnerschaft nicht nachzutragen -- ihre Aufrichtig¬
keit
hatte mich entwaffnet.

Ich sehe auch heute noch ein, daß die Stich voll¬
kommen Recht hatte, so zu sprechen ... Aber ich habe
doch von ihr nicht gelernt, später -- als ich eine ähn¬
liche Stellung auf der Bühne als erste Liebhaberin ein¬
nahm -- ebenso zu sprechen ... noch viel weniger danach
zu handeln. Es ist eben nicht Jedem gegeben: eisig kalt
berechnend seinen Weg zu verfolgen ... Vernunft und
Herz sind zwei so ganz verschiedene Dinge ...

Frau Stich blieb ihrem Wort getreu; sie intriguirte
niemals gegen mich -- -- aber sie überließ mir auch
nur gezwungen für sie und ihr Alter unpassend gewor¬
dene Rollen. Sogar die "Afanasia" in "Graf Benjowsky",
deren Rolle ich schon in Händen hatte, mußte ich wieder
herausgeben, denn Graf Brühl schrieb mir: "Ich kann
nicht anders, mein blonder Schützling -- die Stich ist
außer sich -- und ich darf sie nicht erzürnen ... Seien Sie
ein gutes Kind und geben Sie mir die Rolle wieder ..."
und ich übergab die geliebte Rolle, auf die ich mich
schon so lange gefreut, an der ich schon so fleißig studirt
hatte, mit heißen Thränen in die Hände des alten guten

zehn Jahre mehr, als ich) — ſo werden Sie gerechter
über mein jetziges Benehmen denken und ſagen: die
Stich hatte vollkommen Recht — ſie konnte nicht anders
handeln … Alſo, ohne Groll, liebes Fräulein!« —
und ſie reichte mir ehrlich die Hand und ich ſchlug
eben ſo ehrlich ein … und vermochte ihr ſpäter ihre
Gegnerſchaft nicht nachzutragen — ihre Aufrichtig¬
keit
hatte mich entwaffnet.

Ich ſehe auch heute noch ein, daß die Stich voll¬
kommen Recht hatte, ſo zu ſprechen … Aber ich habe
doch von ihr nicht gelernt, ſpäter — als ich eine ähn¬
liche Stellung auf der Bühne als erſte Liebhaberin ein¬
nahm — ebenſo zu ſprechen … noch viel weniger danach
zu handeln. Es iſt eben nicht Jedem gegeben: eiſig kalt
berechnend ſeinen Weg zu verfolgen … Vernunft und
Herz ſind zwei ſo ganz verſchiedene Dinge …

Frau Stich blieb ihrem Wort getreu; ſie intriguirte
niemals gegen mich — — aber ſie überließ mir auch
nur gezwungen für ſie und ihr Alter unpaſſend gewor¬
dene Rollen. Sogar die »Afanaſia« in »Graf Benjowsky«,
deren Rolle ich ſchon in Händen hatte, mußte ich wieder
herausgeben, denn Graf Brühl ſchrieb mir: »Ich kann
nicht anders, mein blonder Schützling — die Stich iſt
außer ſich — und ich darf ſie nicht erzürnen … Seien Sie
ein gutes Kind und geben Sie mir die Rolle wieder …«
und ich übergab die geliebte Rolle, auf die ich mich
ſchon ſo lange gefreut, an der ich ſchon ſo fleißig ſtudirt
hatte, mit heißen Thränen in die Hände des alten guten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0198" n="170"/>
zehn Jahre mehr, als ich) &#x2014; &#x017F;o werden Sie gerechter<lb/>
über mein jetziges Benehmen denken und &#x017F;agen: die<lb/>
Stich hatte vollkommen Recht &#x2014; &#x017F;ie konnte nicht anders<lb/>
handeln &#x2026; Al&#x017F;o, ohne Groll, liebes Fräulein!« &#x2014;<lb/>
und &#x017F;ie reichte mir ehrlich die Hand und ich &#x017F;chlug<lb/>
eben &#x017F;o ehrlich ein &#x2026; und vermochte ihr &#x017F;päter ihre<lb/><hi rendition="#g">Gegner&#x017F;chaft</hi> nicht nachzutragen &#x2014; ihre <hi rendition="#g">Aufrichtig¬<lb/>
keit</hi> hatte mich entwaffnet.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;ehe auch heute noch ein, daß die Stich voll¬<lb/>
kommen Recht hatte, &#x017F;o zu &#x017F;prechen &#x2026; Aber ich habe<lb/>
doch von ihr nicht gelernt, &#x017F;päter &#x2014; als ich eine ähn¬<lb/>
liche Stellung auf der Bühne als <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> Liebhaberin ein¬<lb/>
nahm &#x2014; eben&#x017F;o zu &#x017F;prechen &#x2026; noch viel weniger danach<lb/>
zu handeln. Es i&#x017F;t eben nicht Jedem gegeben: ei&#x017F;ig kalt<lb/>
berechnend &#x017F;einen Weg zu verfolgen &#x2026; Vernunft und<lb/>
Herz &#x017F;ind zwei &#x017F;o ganz ver&#x017F;chiedene Dinge &#x2026;</p><lb/>
        <p>Frau Stich blieb ihrem Wort getreu; &#x017F;ie intriguirte<lb/>
niemals gegen mich &#x2014; &#x2014; aber &#x017F;ie überließ mir auch<lb/>
nur gezwungen für &#x017F;ie und ihr Alter unpa&#x017F;&#x017F;end gewor¬<lb/>
dene Rollen. Sogar die »Afana&#x017F;ia« in »Graf Benjowsky«,<lb/>
deren Rolle ich &#x017F;chon in Händen hatte, mußte ich wieder<lb/>
herausgeben, denn Graf Brühl &#x017F;chrieb mir: »Ich kann<lb/>
nicht anders, mein blonder Schützling &#x2014; die Stich i&#x017F;t<lb/>
außer &#x017F;ich &#x2014; und ich darf &#x017F;ie nicht erzürnen &#x2026; Seien Sie<lb/>
ein gutes Kind und geben Sie mir die Rolle wieder &#x2026;«<lb/>
und ich übergab die geliebte Rolle, auf die ich mich<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;o lange gefreut, an der ich &#x017F;chon &#x017F;o fleißig &#x017F;tudirt<lb/>
hatte, mit heißen Thränen in die Hände des alten guten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0198] zehn Jahre mehr, als ich) — ſo werden Sie gerechter über mein jetziges Benehmen denken und ſagen: die Stich hatte vollkommen Recht — ſie konnte nicht anders handeln … Alſo, ohne Groll, liebes Fräulein!« — und ſie reichte mir ehrlich die Hand und ich ſchlug eben ſo ehrlich ein … und vermochte ihr ſpäter ihre Gegnerſchaft nicht nachzutragen — ihre Aufrichtig¬ keit hatte mich entwaffnet. Ich ſehe auch heute noch ein, daß die Stich voll¬ kommen Recht hatte, ſo zu ſprechen … Aber ich habe doch von ihr nicht gelernt, ſpäter — als ich eine ähn¬ liche Stellung auf der Bühne als erſte Liebhaberin ein¬ nahm — ebenſo zu ſprechen … noch viel weniger danach zu handeln. Es iſt eben nicht Jedem gegeben: eiſig kalt berechnend ſeinen Weg zu verfolgen … Vernunft und Herz ſind zwei ſo ganz verſchiedene Dinge … Frau Stich blieb ihrem Wort getreu; ſie intriguirte niemals gegen mich — — aber ſie überließ mir auch nur gezwungen für ſie und ihr Alter unpaſſend gewor¬ dene Rollen. Sogar die »Afanaſia« in »Graf Benjowsky«, deren Rolle ich ſchon in Händen hatte, mußte ich wieder herausgeben, denn Graf Brühl ſchrieb mir: »Ich kann nicht anders, mein blonder Schützling — die Stich iſt außer ſich — und ich darf ſie nicht erzürnen … Seien Sie ein gutes Kind und geben Sie mir die Rolle wieder …« und ich übergab die geliebte Rolle, auf die ich mich ſchon ſo lange gefreut, an der ich ſchon ſo fleißig ſtudirt hatte, mit heißen Thränen in die Hände des alten guten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/198
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/198>, abgerufen am 22.11.2024.