wird die Gräfin brennende Sehnsucht empfinden, an Ihrer Stelle sein zu können, wenn sie Ihre herrliche Leistung bewundern muß!" -- "Sie haben Recht!" rief die Schröder freundlichst. "Wer weiß, ob sie uns nicht beneidet, frei, unabhängig der göttlichen Kunst leben zu können!" Und mich umarmend flüsterte sie, ganz fröh¬ lich geworden, noch: "Aber singen, singen will ich -- wie noch nie!" Sie hielt Wort und übertraf sich selbst. Ich bemerkte, wie die Sontag aufmerksam zuhörte, immer blässer wurde, im vierten Akt oft Thränen trocknete und hingerissen applaudirte. Die Schröder vernahm das mit größter Genugthuung.
Graf Rossi war als Gesandter von Petersburg nach Berlin versetzt. Seine Gattin hielt sich auf der Durchreise einige Zeit in Dresden auf.
Graf Rossi hatte der "schönen Henriette" seine Liebe in etwas extravaganter Weise zu erkennen gegeben. Als die Sontag eines Abends aus der Oper nach Hause fuhr, öffnete ihr Graf Rossi -- in Kutscherlivree und mit der stattlichsten seiner sieben berühmten Perrücken, deren Haar von verschiedener Länge war, um das -- Wachsen desselben nachzuahmen -- den Wagenschlag. So wurde sie die Gesandtin Gräfin Rossi Excellenz!
Wilhelmine Schröder erlebte es noch, daß Gräfin Rossi zum "Theatervolk" zurückkehrte. Man behauptete: durch Verhältnisse dazu gezwungen. Wer aber Gelegen¬ heit hatte, ihre Leistungen, welche ja stets den Stempel der Begeisterung trugen, zu bewundern, der war gewiß
wird die Gräfin brennende Sehnſucht empfinden, an Ihrer Stelle ſein zu können, wenn ſie Ihre herrliche Leiſtung bewundern muß!« — »Sie haben Recht!« rief die Schröder freundlichſt. »Wer weiß, ob ſie uns nicht beneidet, frei, unabhängig der göttlichen Kunſt leben zu können!« Und mich umarmend flüſterte ſie, ganz fröh¬ lich geworden, noch: »Aber ſingen, ſingen will ich — wie noch nie!« Sie hielt Wort und übertraf ſich ſelbſt. Ich bemerkte, wie die Sontag aufmerkſam zuhörte, immer bläſſer wurde, im vierten Akt oft Thränen trocknete und hingeriſſen applaudirte. Die Schröder vernahm das mit größter Genugthuung.
Graf Roſſi war als Geſandter von Petersburg nach Berlin verſetzt. Seine Gattin hielt ſich auf der Durchreiſe einige Zeit in Dresden auf.
Graf Roſſi hatte der »ſchönen Henriette« ſeine Liebe in etwas extravaganter Weiſe zu erkennen gegeben. Als die Sontag eines Abends aus der Oper nach Hauſe fuhr, öffnete ihr Graf Roſſi — in Kutſcherlivrée und mit der ſtattlichſten ſeiner ſieben berühmten Perrücken, deren Haar von verſchiedener Länge war, um das — Wachſen deſſelben nachzuahmen — den Wagenſchlag. So wurde ſie die Geſandtin Gräfin Roſſi Excellenz!
Wilhelmine Schröder erlebte es noch, daß Gräfin Roſſi zum »Theatervolk« zurückkehrte. Man behauptete: durch Verhältniſſe dazu gezwungen. Wer aber Gelegen¬ heit hatte, ihre Leiſtungen, welche ja ſtets den Stempel der Begeiſterung trugen, zu bewundern, der war gewiß
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0178"n="150"/>
wird die Gräfin brennende Sehnſucht empfinden, an<lb/>
Ihrer Stelle ſein zu können, wenn ſie Ihre herrliche<lb/>
Leiſtung bewundern muß!« — »Sie haben Recht!« rief<lb/>
die Schröder freundlichſt. »Wer weiß, ob ſie uns nicht<lb/>
beneidet, frei, unabhängig der göttlichen Kunſt leben zu<lb/>
können!« Und mich umarmend flüſterte ſie, ganz fröh¬<lb/>
lich geworden, noch: »Aber ſingen, ſingen will ich —<lb/>
wie noch nie!« Sie hielt Wort und übertraf ſich ſelbſt.<lb/>
Ich bemerkte, wie die Sontag aufmerkſam zuhörte,<lb/>
immer bläſſer wurde, im vierten Akt oft Thränen trocknete<lb/>
und hingeriſſen applaudirte. Die Schröder vernahm<lb/>
das mit größter Genugthuung.</p><lb/><p>Graf Roſſi war als Geſandter von Petersburg<lb/>
nach Berlin verſetzt. Seine Gattin hielt ſich auf der<lb/>
Durchreiſe einige Zeit in Dresden auf.</p><lb/><p>Graf Roſſi hatte der »ſchönen Henriette« ſeine Liebe<lb/>
in etwas extravaganter Weiſe zu erkennen gegeben.<lb/>
Als die Sontag eines Abends aus der Oper nach<lb/>
Hauſe fuhr, öffnete ihr Graf Roſſi — in Kutſcherlivr<hirendition="#aq">é</hi>e<lb/>
und mit der ſtattlichſten ſeiner ſieben berühmten Perrücken,<lb/>
deren Haar von verſchiedener Länge war, um das —<lb/>
Wachſen deſſelben nachzuahmen — den Wagenſchlag.<lb/>
So wurde ſie die Geſandtin Gräfin Roſſi Excellenz!</p><lb/><p>Wilhelmine Schröder erlebte es noch, daß Gräfin<lb/>
Roſſi zum »Theatervolk« zurückkehrte. Man behauptete:<lb/>
durch Verhältniſſe dazu gezwungen. Wer aber Gelegen¬<lb/>
heit hatte, ihre Leiſtungen, welche ja ſtets den Stempel<lb/>
der Begeiſterung trugen, zu bewundern, der war gewiß<lb/></p></div></body></text></TEI>
[150/0178]
wird die Gräfin brennende Sehnſucht empfinden, an
Ihrer Stelle ſein zu können, wenn ſie Ihre herrliche
Leiſtung bewundern muß!« — »Sie haben Recht!« rief
die Schröder freundlichſt. »Wer weiß, ob ſie uns nicht
beneidet, frei, unabhängig der göttlichen Kunſt leben zu
können!« Und mich umarmend flüſterte ſie, ganz fröh¬
lich geworden, noch: »Aber ſingen, ſingen will ich —
wie noch nie!« Sie hielt Wort und übertraf ſich ſelbſt.
Ich bemerkte, wie die Sontag aufmerkſam zuhörte,
immer bläſſer wurde, im vierten Akt oft Thränen trocknete
und hingeriſſen applaudirte. Die Schröder vernahm
das mit größter Genugthuung.
Graf Roſſi war als Geſandter von Petersburg
nach Berlin verſetzt. Seine Gattin hielt ſich auf der
Durchreiſe einige Zeit in Dresden auf.
Graf Roſſi hatte der »ſchönen Henriette« ſeine Liebe
in etwas extravaganter Weiſe zu erkennen gegeben.
Als die Sontag eines Abends aus der Oper nach
Hauſe fuhr, öffnete ihr Graf Roſſi — in Kutſcherlivrée
und mit der ſtattlichſten ſeiner ſieben berühmten Perrücken,
deren Haar von verſchiedener Länge war, um das —
Wachſen deſſelben nachzuahmen — den Wagenſchlag.
So wurde ſie die Geſandtin Gräfin Roſſi Excellenz!
Wilhelmine Schröder erlebte es noch, daß Gräfin
Roſſi zum »Theatervolk« zurückkehrte. Man behauptete:
durch Verhältniſſe dazu gezwungen. Wer aber Gelegen¬
heit hatte, ihre Leiſtungen, welche ja ſtets den Stempel
der Begeiſterung trugen, zu bewundern, der war gewiß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/178>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.