Karl Blum kam zu mir in fliegender Hast, im Auftrag des Kapellmeisters und Intendanten. "Sie müssen uns aus der Noth helfen! Singen Sie die Mathilde! -- Die hohen Herrschaften freuen sich, die Sontag und Bader in Joconde zu hören. Sie sind musikalisch, es geht gewiß. Wir wollen gleich beginnen ..." und Blum öffnete den Flügel, drückte mir die Noten in die Hand und schlug das Accompagnement an.
"Ich -- mit der Sontag vor dem Hofe singen?" rief ich außer mir. "Mir schwinden schon bei dem Ge¬ danken die Sinne -- und dazu noch über Hals und Kopf einstudiren? -- Fiasko machen -- stecken bleiben? -- lieber sterben ... "
Aber Blum bat so beharrlich, versuchte mich mit der Versicherung zu beruhigen, dem König würde ge¬ meldet werden, ich hätte nur aus Gefälligkeit gewagt, neben der Sontag zu singen -- in Berlin würde ja Joconde nicht wiederholt ... und dazwischen spielte er immer Bruchstücke der süßen, lockenden Melodieen, die Mathilde zu singen hatte ... Ich war überwunden und studirte auf Tod und Leben die Rolle ein. Die Proben gingen gut; aber während der Hauptprobe in Sans¬ souci stand ich doch zitternd und angstbeklommen da, denn der König wohnte mit Suite der Probe bei, dicht hinter dem Orchester.
Nach dem ersten Trio und Aktschluß -- stand plötzlich Friedrich Wilhelm der Gute vor mir auf der Bühne und sagte so recht mild, väterlich: "Sich nicht ängstigen
Karl Blum kam zu mir in fliegender Haſt, im Auftrag des Kapellmeiſters und Intendanten. »Sie müſſen uns aus der Noth helfen! Singen Sie die Mathilde! — Die hohen Herrſchaften freuen ſich, die Sontag und Bader in Joconde zu hören. Sie ſind muſikaliſch, es geht gewiß. Wir wollen gleich beginnen …« und Blum öffnete den Flügel, drückte mir die Noten in die Hand und ſchlug das Accompagnement an.
»Ich — mit der Sontag vor dem Hofe ſingen?« rief ich außer mir. »Mir ſchwinden ſchon bei dem Ge¬ danken die Sinne — und dazu noch über Hals und Kopf einſtudiren? — Fiasko machen — ſtecken bleiben? — lieber ſterben … «
Aber Blum bat ſo beharrlich, verſuchte mich mit der Verſicherung zu beruhigen, dem König würde ge¬ meldet werden, ich hätte nur aus Gefälligkeit gewagt, neben der Sontag zu ſingen — in Berlin würde ja Joconde nicht wiederholt … und dazwiſchen ſpielte er immer Bruchſtücke der ſüßen, lockenden Melodieen, die Mathilde zu ſingen hatte … Ich war überwunden und ſtudirte auf Tod und Leben die Rolle ein. Die Proben gingen gut; aber während der Hauptprobe in Sans¬ ſouci ſtand ich doch zitternd und angſtbeklommen da, denn der König wohnte mit Suite der Probe bei, dicht hinter dem Orcheſter.
Nach dem erſten Trio und Aktſchluß — ſtand plötzlich Friedrich Wilhelm der Gute vor mir auf der Bühne und ſagte ſo recht mild, väterlich: »Sich nicht ängſtigen
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Karl Blum kam zu mir in fliegender Haſt, im
Auftrag des Kapellmeiſters und Intendanten. »Sie müſſen
uns aus der Noth helfen! Singen Sie die Mathilde! —
Die hohen Herrſchaften freuen ſich, die Sontag und
Bader in Joconde zu hören. Sie ſind muſikaliſch, es
geht gewiß. Wir wollen gleich beginnen …« und Blum
öffnete den Flügel, drückte mir die Noten in die Hand
und ſchlug das Accompagnement an.
»Ich — mit der Sontag vor dem Hofe ſingen?«
rief ich außer mir. »Mir ſchwinden ſchon bei dem Ge¬
danken die Sinne — und dazu noch über Hals und
Kopf einſtudiren? — Fiasko machen — ſtecken bleiben?
— lieber ſterben … «
Aber Blum bat ſo beharrlich, verſuchte mich mit
der Verſicherung zu beruhigen, dem König würde ge¬
meldet werden, ich hätte nur aus Gefälligkeit gewagt,
neben der Sontag zu ſingen — in Berlin würde ja
Joconde nicht wiederholt … und dazwiſchen ſpielte er
immer Bruchſtücke der ſüßen, lockenden Melodieen, die
Mathilde zu ſingen hatte … Ich war überwunden und
ſtudirte auf Tod und Leben die Rolle ein. Die Proben
gingen gut; aber während der Hauptprobe in Sans¬
ſouci ſtand ich doch zitternd und angſtbeklommen da,
denn der König wohnte mit Suite der Probe bei, dicht
hinter dem Orcheſter.
Nach dem erſten Trio und Aktſchluß — ſtand plötzlich
Friedrich Wilhelm der Gute vor mir auf der Bühne
und ſagte ſo recht mild, väterlich: »Sich nicht ängſtigen
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/160>, abgerufen am 22.11.2024.
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