was ich als Cordelia und in "Die Macht der Verhält¬ nisse" empfand.
Für Madame Unzelmann mußte ich die Cordelia spielen. Ich stehe im letzten Akt über Lear gebeugt, sein Erwachen erwartend: da erhebt sich Devrient, erkennt die verstoßene Tochter, sinkt langsam mit gefalteten Händen -- wie um Verzeihung stehend -- vor mir nieder, mit dem Ausdruck eines so unsäglichen Seelenschmerzes, mit einem Blick so voll Reue -- Liebe, daß ich nicht im Stande war, vor Mitgefühl und Erschütterung zu sprechen; es fehlte nicht viel, so wäre ich vor ihm niedergekniet und hätte das ehrwürdige Haupt geküßt und an mich gedrückt.
In Ludwig Robert's Trauerspiel "Die Macht der Verhältnisse", hat Devrient die Sterbeßene so dar¬ gestellt, daß selbst die sonst so ruhige Mad. Schröckh zitterte, weinte und eingestand: ihr Mann, der große, berühmte Fleck, habe niemals ergreifender gespielt. Ueberhaupt, theurer verehrter Lehrer, wie würde Sie diese Vor¬ stellung entzückt haben, wo Alles sich bestrebte, der Meister Beschort und Devrient würdig zu sein! Sie kannten ja Robert, den Bruder von Frau Rahel Varn¬ hagen in Karlsruhe; hat er Ihnen nie aus diesem bürger¬ lichen Trauerspiel vorgelesen?
Beschort giebt einen Präsidenten, stolz, herzlos -- einen Sohn, welcher Militär ist, anbetend, ihm Alles erlaubend. Der Präsident besitzt eine edle Gattin, eine liebenswerthe Tochter (Mad. Schröckh und ich), und auf
Erinnerungen etc. 8
was ich als Cordelia und in »Die Macht der Verhält¬ niſſe« empfand.
Für Madame Unzelmann mußte ich die Cordelia ſpielen. Ich ſtehe im letzten Akt über Lear gebeugt, ſein Erwachen erwartend: da erhebt ſich Devrient, erkennt die verſtoßene Tochter, ſinkt langſam mit gefalteten Händen — wie um Verzeihung ſtehend — vor mir nieder, mit dem Ausdruck eines ſo unſäglichen Seelenſchmerzes, mit einem Blick ſo voll Reue — Liebe, daß ich nicht im Stande war, vor Mitgefühl und Erſchütterung zu ſprechen; es fehlte nicht viel, ſo wäre ich vor ihm niedergekniet und hätte das ehrwürdige Haupt geküßt und an mich gedrückt.
In Ludwig Robert's Trauerſpiel »Die Macht der Verhältniſſe«, hat Devrient die Sterbeſzene ſo dar¬ geſtellt, daß ſelbſt die ſonſt ſo ruhige Mad. Schröckh zitterte, weinte und eingeſtand: ihr Mann, der große, berühmte Fleck, habe niemals ergreifender geſpielt. Ueberhaupt, theurer verehrter Lehrer, wie würde Sie dieſe Vor¬ ſtellung entzückt haben, wo Alles ſich beſtrebte, der Meiſter Beſchort und Devrient würdig zu ſein! Sie kannten ja Robert, den Bruder von Frau Rahel Varn¬ hagen in Karlsruhe; hat er Ihnen nie aus dieſem bürger¬ lichen Trauerſpiel vorgeleſen?
Beſchort giebt einen Präſidenten, ſtolz, herzlos — einen Sohn, welcher Militär iſt, anbetend, ihm Alles erlaubend. Der Präſident beſitzt eine edle Gattin, eine liebenswerthe Tochter (Mad. Schröckh und ich), und auf
Erinnerungen ꝛc. 8
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was ich als Cordelia und in »Die Macht der Verhält¬
niſſe« empfand.
Für Madame Unzelmann mußte ich die Cordelia
ſpielen. Ich ſtehe im letzten Akt über Lear gebeugt, ſein
Erwachen erwartend: da erhebt ſich Devrient, erkennt
die verſtoßene Tochter, ſinkt langſam mit gefalteten
Händen — wie um Verzeihung ſtehend — vor mir nieder,
mit dem Ausdruck eines ſo unſäglichen Seelenſchmerzes,
mit einem Blick ſo voll Reue — Liebe, daß ich nicht im
Stande war, vor Mitgefühl und Erſchütterung zu ſprechen;
es fehlte nicht viel, ſo wäre ich vor ihm niedergekniet
und hätte das ehrwürdige Haupt geküßt und an mich
gedrückt.
In Ludwig Robert's Trauerſpiel »Die Macht
der Verhältniſſe«, hat Devrient die Sterbeſzene ſo dar¬
geſtellt, daß ſelbſt die ſonſt ſo ruhige Mad. Schröckh zitterte,
weinte und eingeſtand: ihr Mann, der große, berühmte
Fleck, habe niemals ergreifender geſpielt. Ueberhaupt,
theurer verehrter Lehrer, wie würde Sie dieſe Vor¬
ſtellung entzückt haben, wo Alles ſich beſtrebte, der
Meiſter Beſchort und Devrient würdig zu ſein! Sie
kannten ja Robert, den Bruder von Frau Rahel Varn¬
hagen in Karlsruhe; hat er Ihnen nie aus dieſem bürger¬
lichen Trauerſpiel vorgeleſen?
Beſchort giebt einen Präſidenten, ſtolz, herzlos —
einen Sohn, welcher Militär iſt, anbetend, ihm Alles
erlaubend. Der Präſident beſitzt eine edle Gattin, eine
liebenswerthe Tochter (Mad. Schröckh und ich), und auf
Erinnerungen ꝛc. 8
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/141>, abgerufen am 25.11.2024.
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