Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Rahel ist klein, ziemlich stark, von Taille keine
Spur. Ein graues Kleid hing wie ein Sack um ihre
Gestalt, nur von einer Gürtelschnur lose gehalten, deren
Enden nachschleiften. Die dunkelbraunen Haare schienen
nur so in aller Eile hinaufgewirbelt zu sein, von einem
Kamm gehalten, der immer herabzustürzen drohte. Einige
wilde kleine Locken schmückten ihre schöne Stirne, und
freundlich blickende, tiefblaue Augen, von langen Wimpern
beschattet, milderten die scharfen jüdischen Züge; die ganze
Physiognomie athmete Wohlwollen und hohe Intelligenz.
Ich entschuldigte auch bald die vernachlässigte Toilette,
denn trotz der größten Lebendigkeit, der geistreichsten
Reden, sah Rahel doch momentan -- wie ermüdet aus,
und eine gewisse Wehmuth umschleierte dann ihre Züge.
Ganz eigenthümliche Bemerkungen überraschten und fessel¬
ten mich, Lachen und Scherzen wechselten bei der seltenen
Frau oft blitzschnell mit ernsten Betrachtungen und
Rührung.

So behauptete Frau von Varnhagen, daß sie erst
beim Anblick ihrer Schwägerin, Madame Robert, und der
Madame Neumann, meiner Kollegin in Karlsruhe, die
Erzählung von des Grafen von Gleichen beiden Frauen
begriffen habe: -- von der weißen und der rothen Rose!
Ludwig Robert Torno's Frau, mit römischem Gesicht,
ernst, marmorblaß, mit rabenschwarzem Haar und großen,
dunklen Augen, gleiche einer Juno; -- die Neumann,
rosig blühend, blond, mit schelmischen Augen und zier¬
licher Gestalt, sei ein heiterer Maitag ... Plötzlich

Rahel iſt klein, ziemlich ſtark, von Taille keine
Spur. Ein graues Kleid hing wie ein Sack um ihre
Geſtalt, nur von einer Gürtelſchnur loſe gehalten, deren
Enden nachſchleiften. Die dunkelbraunen Haare ſchienen
nur ſo in aller Eile hinaufgewirbelt zu ſein, von einem
Kamm gehalten, der immer herabzuſtürzen drohte. Einige
wilde kleine Locken ſchmückten ihre ſchöne Stirne, und
freundlich blickende, tiefblaue Augen, von langen Wimpern
beſchattet, milderten die ſcharfen jüdiſchen Züge; die ganze
Phyſiognomie athmete Wohlwollen und hohe Intelligenz.
Ich entſchuldigte auch bald die vernachläſſigte Toilette,
denn trotz der größten Lebendigkeit, der geiſtreichſten
Reden, ſah Rahel doch momentan — wie ermüdet aus,
und eine gewiſſe Wehmuth umſchleierte dann ihre Züge.
Ganz eigenthümliche Bemerkungen überraſchten und feſſel¬
ten mich, Lachen und Scherzen wechſelten bei der ſeltenen
Frau oft blitzſchnell mit ernſten Betrachtungen und
Rührung.

So behauptete Frau von Varnhagen, daß ſie erſt
beim Anblick ihrer Schwägerin, Madame Robert, und der
Madame Neumann, meiner Kollegin in Karlsruhe, die
Erzählung von des Grafen von Gleichen beiden Frauen
begriffen habe: — von der weißen und der rothen Roſe!
Ludwig Robert Torno's Frau, mit römiſchem Geſicht,
ernſt, marmorblaß, mit rabenſchwarzem Haar und großen,
dunklen Augen, gleiche einer Juno; — die Neumann,
roſig blühend, blond, mit ſchelmiſchen Augen und zier¬
licher Geſtalt, ſei ein heiterer Maitag … Plötzlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0116" n="88"/>
        <p>Rahel i&#x017F;t klein, ziemlich &#x017F;tark, von Taille keine<lb/>
Spur. Ein graues Kleid hing wie ein Sack um ihre<lb/>
Ge&#x017F;talt, nur von einer Gürtel&#x017F;chnur lo&#x017F;e gehalten, deren<lb/>
Enden nach&#x017F;chleiften. Die dunkelbraunen Haare &#x017F;chienen<lb/>
nur &#x017F;o in aller Eile hinaufgewirbelt zu &#x017F;ein, von einem<lb/>
Kamm gehalten, der immer herabzu&#x017F;türzen drohte. Einige<lb/>
wilde kleine Locken &#x017F;chmückten ihre &#x017F;chöne Stirne, und<lb/>
freundlich blickende, tiefblaue Augen, von langen Wimpern<lb/>
be&#x017F;chattet, milderten die &#x017F;charfen jüdi&#x017F;chen Züge; die ganze<lb/>
Phy&#x017F;iognomie athmete Wohlwollen und hohe Intelligenz.<lb/>
Ich ent&#x017F;chuldigte auch bald die vernachlä&#x017F;&#x017F;igte Toilette,<lb/>
denn trotz der größten Lebendigkeit, der gei&#x017F;treich&#x017F;ten<lb/>
Reden, &#x017F;ah Rahel doch momentan &#x2014; wie ermüdet aus,<lb/>
und eine gewi&#x017F;&#x017F;e Wehmuth um&#x017F;chleierte dann ihre Züge.<lb/>
Ganz eigenthümliche Bemerkungen überra&#x017F;chten und fe&#x017F;&#x017F;el¬<lb/>
ten mich, Lachen und Scherzen wech&#x017F;elten bei der &#x017F;eltenen<lb/>
Frau oft blitz&#x017F;chnell mit ern&#x017F;ten Betrachtungen und<lb/>
Rührung.</p><lb/>
        <p>So behauptete Frau von Varnhagen, daß &#x017F;ie er&#x017F;t<lb/>
beim Anblick ihrer Schwägerin, Madame Robert, und der<lb/>
Madame Neumann, meiner Kollegin in Karlsruhe, die<lb/>
Erzählung von des Grafen von Gleichen beiden Frauen<lb/>
begriffen habe: &#x2014; von der weißen und der rothen Ro&#x017F;e!<lb/>
Ludwig Robert Torno's Frau, mit römi&#x017F;chem Ge&#x017F;icht,<lb/>
ern&#x017F;t, marmorblaß, mit raben&#x017F;chwarzem Haar und großen,<lb/>
dunklen Augen, gleiche einer Juno; &#x2014; die Neumann,<lb/>
ro&#x017F;ig blühend, blond, mit &#x017F;chelmi&#x017F;chen Augen und zier¬<lb/>
licher Ge&#x017F;talt, &#x017F;ei ein heiterer Maitag &#x2026; Plötzlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0116] Rahel iſt klein, ziemlich ſtark, von Taille keine Spur. Ein graues Kleid hing wie ein Sack um ihre Geſtalt, nur von einer Gürtelſchnur loſe gehalten, deren Enden nachſchleiften. Die dunkelbraunen Haare ſchienen nur ſo in aller Eile hinaufgewirbelt zu ſein, von einem Kamm gehalten, der immer herabzuſtürzen drohte. Einige wilde kleine Locken ſchmückten ihre ſchöne Stirne, und freundlich blickende, tiefblaue Augen, von langen Wimpern beſchattet, milderten die ſcharfen jüdiſchen Züge; die ganze Phyſiognomie athmete Wohlwollen und hohe Intelligenz. Ich entſchuldigte auch bald die vernachläſſigte Toilette, denn trotz der größten Lebendigkeit, der geiſtreichſten Reden, ſah Rahel doch momentan — wie ermüdet aus, und eine gewiſſe Wehmuth umſchleierte dann ihre Züge. Ganz eigenthümliche Bemerkungen überraſchten und feſſel¬ ten mich, Lachen und Scherzen wechſelten bei der ſeltenen Frau oft blitzſchnell mit ernſten Betrachtungen und Rührung. So behauptete Frau von Varnhagen, daß ſie erſt beim Anblick ihrer Schwägerin, Madame Robert, und der Madame Neumann, meiner Kollegin in Karlsruhe, die Erzählung von des Grafen von Gleichen beiden Frauen begriffen habe: — von der weißen und der rothen Roſe! Ludwig Robert Torno's Frau, mit römiſchem Geſicht, ernſt, marmorblaß, mit rabenſchwarzem Haar und großen, dunklen Augen, gleiche einer Juno; — die Neumann, roſig blühend, blond, mit ſchelmiſchen Augen und zier¬ licher Geſtalt, ſei ein heiterer Maitag … Plötzlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/116
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/116>, abgerufen am 22.11.2024.