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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Den Pflichten des Todtencult konnte man sich nicht ent-
ziehen, nicht nur persönlicher Gefahren wegen (weil der in
seinen Rechten geschädigte Abgeschiedene mit Krankheit schla-
gen würde), sondern auch im Hinblick auf allgemeines Bestes.
Einen gentilicischen Cult untergehen zu lassen, war als
nefas gebrandmarkt, denn solcher Verlust traf das Ganze,
durch Ausfall von Verbündeten*), die sonst mit in den Kampf
gezogen wären, wie die streitbaren Vorfahren der Amakosa
(oder Ajax bei den Locrern). Je mehr unsichtbare Mächte
durch lege artis und rite vollzogene Culte in den Dienst
der Stadt gebannt waren, desto klarer war der Gewinn, und
deshalb wurden auch die evocirten Götter heimgebracht, oder
die besiegten, wenn es sein musste, in Ketten. Lag doch
selbst Ares in Ketten zu Sparta, um dort zu bleiben, und
die Athener waren verständig genug der Nike ihre Flügel
zu beschneiden, damit sie nicht fortfliege. Religionem eam,
quae in metu et caerimonia deorum est, appellant pietatem.

Religiosi dies dicuntur tristi omine impeditique (Cicero),
wie die Trauerfesttage. Religiosi dies dicuntur tristi omine,
infames, impeditique, in quibus et res divinas facere et rem
quampiam novam exordiri temperandum est, quos multitudo
imperitorum prave et perperam nefastos appellant (s. Gellius).

So hatte der Mensch diese trübe bedrückende Last
religiöser Verpflichtungen zu übernehmen, und blieb auch
nach der Klärung reinerer Götterverehrung, von ihnen be-
schwert, in den Ueberbleibseln des Aberglaubens. Super-
stitiosi vocantur (von supersto), aut ii qui superstitem me-
moriam defunctorum colunt, aut qui parentibus suis super-
stites colebant imagines eorum domi, tanquam deos Penates
(s. Lact.), in orthodox gerügter Rivalität.

*) "The gods are our allies", rühren sich die Fijier auf jeder Seite der
Kriegspartheien (wie auch wohl sonst). Als vor der Schlacht jede Cohorte
der Maori eifrig zu ihren Göttern betete, fuhr der geschäftig umhereilende
Häuptling seinen müssig dastehenden Pakeha unter der Frage an, weshalb
er nicht sein "prayer-book" herausnähme und mithülfe.

Den Pflichten des Todtencult konnte man sich nicht ent-
ziehen, nicht nur persönlicher Gefahren wegen (weil der in
seinen Rechten geschädigte Abgeschiedene mit Krankheit schla-
gen würde), sondern auch im Hinblick auf allgemeines Bestes.
Einen gentilicischen Cult untergehen zu lassen, war als
nefas gebrandmarkt, denn solcher Verlust traf das Ganze,
durch Ausfall von Verbündeten*), die sonst mit in den Kampf
gezogen wären, wie die streitbaren Vorfahren der Amakosa
(oder Ajax bei den Locrern). Je mehr unsichtbare Mächte
durch lege artis und rite vollzogene Culte in den Dienst
der Stadt gebannt waren, desto klarer war der Gewinn, und
deshalb wurden auch die evocirten Götter heimgebracht, oder
die besiegten, wenn es sein musste, in Ketten. Lag doch
selbst Ares in Ketten zu Sparta, um dort zu bleiben, und
die Athener waren verständig genug der Nike ihre Flügel
zu beschneiden, damit sie nicht fortfliege. Religionem eam,
quae in metu et caerimonia deorum est, appellant pietatem.

Religiosi dies dicuntur tristi omine impeditique (Cicero),
wie die Trauerfesttage. Religiosi dies dicuntur tristi omine,
infames, impeditique, in quibus et res divinas facere et rem
quampiam novam exordiri temperandum est, quos multitudo
imperitorum prave et perperam nefastos appellant (s. Gellius).

So hatte der Mensch diese trübe bedrückende Last
religiöser Verpflichtungen zu übernehmen, und blieb auch
nach der Klärung reinerer Götterverehrung, von ihnen be-
schwert, in den Ueberbleibseln des Aberglaubens. Super-
stitiosi vocantur (von supersto), aut ii qui superstitem me-
moriam defunctorum colunt, aut qui parentibus suis super-
stites colebant imagines eorum domi, tanquam deos Penates
(s. Lact.), in orthodox gerügter Rivalität.

*) „The gods are our allies“, rühren sich die Fijier auf jeder Seite der
Kriegspartheien (wie auch wohl sonst). Als vor der Schlacht jede Cohorte
der Maori eifrig zu ihren Göttern betete, fuhr der geschäftig umhereilende
Häuptling seinen müssig dastehenden Pakeha unter der Frage an, weshalb
er nicht sein „prayer-book“ herausnähme und mithülfe.
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[63/0097] Den Pflichten des Todtencult konnte man sich nicht ent- ziehen, nicht nur persönlicher Gefahren wegen (weil der in seinen Rechten geschädigte Abgeschiedene mit Krankheit schla- gen würde), sondern auch im Hinblick auf allgemeines Bestes. Einen gentilicischen Cult untergehen zu lassen, war als nefas gebrandmarkt, denn solcher Verlust traf das Ganze, durch Ausfall von Verbündeten *), die sonst mit in den Kampf gezogen wären, wie die streitbaren Vorfahren der Amakosa (oder Ajax bei den Locrern). Je mehr unsichtbare Mächte durch lege artis und rite vollzogene Culte in den Dienst der Stadt gebannt waren, desto klarer war der Gewinn, und deshalb wurden auch die evocirten Götter heimgebracht, oder die besiegten, wenn es sein musste, in Ketten. Lag doch selbst Ares in Ketten zu Sparta, um dort zu bleiben, und die Athener waren verständig genug der Nike ihre Flügel zu beschneiden, damit sie nicht fortfliege. Religionem eam, quae in metu et caerimonia deorum est, appellant pietatem. Religiosi dies dicuntur tristi omine impeditique (Cicero), wie die Trauerfesttage. Religiosi dies dicuntur tristi omine, infames, impeditique, in quibus et res divinas facere et rem quampiam novam exordiri temperandum est, quos multitudo imperitorum prave et perperam nefastos appellant (s. Gellius). So hatte der Mensch diese trübe bedrückende Last religiöser Verpflichtungen zu übernehmen, und blieb auch nach der Klärung reinerer Götterverehrung, von ihnen be- schwert, in den Ueberbleibseln des Aberglaubens. Super- stitiosi vocantur (von supersto), aut ii qui superstitem me- moriam defunctorum colunt, aut qui parentibus suis super- stites colebant imagines eorum domi, tanquam deos Penates (s. Lact.), in orthodox gerügter Rivalität. *) „The gods are our allies“, rühren sich die Fijier auf jeder Seite der Kriegspartheien (wie auch wohl sonst). Als vor der Schlacht jede Cohorte der Maori eifrig zu ihren Göttern betete, fuhr der geschäftig umhereilende Häuptling seinen müssig dastehenden Pakeha unter der Frage an, weshalb er nicht sein „prayer-book“ herausnähme und mithülfe.

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/97>, abgerufen am 25.11.2024.