Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

den Begriff der Menschheit charakteristischen) Gesellschafts-
natur gemäss, in den Völkergedanken (worin sich rück-
schliessend erst wieder Theilstriche für die Einzelngedanken*),
nach ihren Verhältnisswerthen zum Ganzen, würden ziehen
lassen). "Das Vorstellen stellen wir gar nicht wieder vor,
sondern indem wir vorstellen, ist ohne Weiteres dadurch dem
Vorstellen gewiss, dass es vorstellt" (sagt Baumann), oder
(naturwissenschaftlich ausgedrückt), die Vorstellung**) ist das
aus dem zum Denken angeregten Geist, unter der Nothwendig-
keit organischer Gesetze, hervorspringende Erzeugniss, das
nach der Gewohnheit des, unter den Sinnen überwiegenden,
Sehorgans nach Aussen hin projicirt wird, und dort dem
geistigen Auge ebenso deutlich gegenübersteht, wie der
optische Gegenstand dem körperlichen. Das materielle Ding,
das in den Anreizen zu dieser Gestaltungsthätigkeit des
Geistes verborgen liegt, wird durch die Vorstellung als
solche, weder erklärt noch begriffen, und hat direct mit der-
selben, seiner Besonderheit nach, nicht viel mehr zu thun,
als die in den Magen eingeführte Speise mit den Ernährungs-
functionen, die sich aus den verschiedenartigsten Gerichten
überall dieselben Zellcomplexe bilden, wie sie den einzelnen
Gliedmaassen, ihrer speciellen Aufgabe nach, entsprechen,
obwohl bei Zusatz stärkerer Stoffe, narkotischer oder sonst
medicinischer, diese ausserdem ihre specifische Wirkung zu
äussern vermögen.

Aehnlich bei den Vorstellungen. Nachdem durch den
einfallenden (in der Majorität der Fälle die Netzhaut treffen-
den) Sinnesreiz der Denkapparat in dem Einzelnindividuum

*) Indem die "Verbreitung der Vorstellungen in der Gesellschaft ein
Hindurchgehen durch viele Privatbewusstsein von Einzelmenschen voraus-
setzt", folgte (s. Lindner): "dass die Elemente des socialen Bewusstseins
nicht Vorstellungen im psychologischen Sinne, sondern allgemeine Begriffe
oder Ideen sind".
**) Die Vorstellung bildet den Inhalt des Bewusstseins oder vielmehr
die Vorstellung ist der Act des Bewusstseins (s. Wundt).

den Begriff der Menschheit charakteristischen) Gesellschafts-
natur gemäss, in den Völkergedanken (worin sich rück-
schliessend erst wieder Theilstriche für die Einzelngedanken*),
nach ihren Verhältnisswerthen zum Ganzen, würden ziehen
lassen). „Das Vorstellen stellen wir gar nicht wieder vor,
sondern indem wir vorstellen, ist ohne Weiteres dadurch dem
Vorstellen gewiss, dass es vorstellt“ (sagt Baumann), oder
(naturwissenschaftlich ausgedrückt), die Vorstellung**) ist das
aus dem zum Denken angeregten Geist, unter der Nothwendig-
keit organischer Gesetze, hervorspringende Erzeugniss, das
nach der Gewohnheit des, unter den Sinnen überwiegenden,
Sehorgans nach Aussen hin projicirt wird, und dort dem
geistigen Auge ebenso deutlich gegenübersteht, wie der
optische Gegenstand dem körperlichen. Das materielle Ding,
das in den Anreizen zu dieser Gestaltungsthätigkeit des
Geistes verborgen liegt, wird durch die Vorstellung als
solche, weder erklärt noch begriffen, und hat direct mit der-
selben, seiner Besonderheit nach, nicht viel mehr zu thun,
als die in den Magen eingeführte Speise mit den Ernährungs-
functionen, die sich aus den verschiedenartigsten Gerichten
überall dieselben Zellcomplexe bilden, wie sie den einzelnen
Gliedmaassen, ihrer speciellen Aufgabe nach, entsprechen,
obwohl bei Zusatz stärkerer Stoffe, narkotischer oder sonst
medicinischer, diese ausserdem ihre specifische Wirkung zu
äussern vermögen.

Aehnlich bei den Vorstellungen. Nachdem durch den
einfallenden (in der Majorität der Fälle die Netzhaut treffen-
den) Sinnesreiz der Denkapparat in dem Einzelnindividuum

*) Indem die „Verbreitung der Vorstellungen in der Gesellschaft ein
Hindurchgehen durch viele Privatbewusstsein von Einzelmenschen voraus-
setzt“, folgte (s. Lindner): „dass die Elemente des socialen Bewusstseins
nicht Vorstellungen im psychologischen Sinne, sondern allgemeine Begriffe
oder Ideen sind“.
**) Die Vorstellung bildet den Inhalt des Bewusstseins oder vielmehr
die Vorstellung ist der Act des Bewusstseins (s. Wundt).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="15"/>
den Begriff der Menschheit charakteristischen) Gesellschafts-<lb/>
natur gemäss, in den Völkergedanken (worin sich rück-<lb/>
schliessend erst wieder Theilstriche für die Einzelngedanken<note place="foot" n="*)">Indem die &#x201E;Verbreitung der Vorstellungen in der Gesellschaft ein<lb/>
Hindurchgehen durch viele Privatbewusstsein von Einzelmenschen voraus-<lb/>
setzt&#x201C;, folgte (s. Lindner): &#x201E;dass die Elemente des socialen Bewusstseins<lb/>
nicht Vorstellungen im psychologischen Sinne, sondern allgemeine Begriffe<lb/>
oder Ideen sind&#x201C;.</note>,<lb/>
nach ihren Verhältnisswerthen zum Ganzen, würden ziehen<lb/>
lassen). &#x201E;Das Vorstellen stellen wir gar nicht wieder vor,<lb/>
sondern indem wir vorstellen, ist ohne Weiteres dadurch dem<lb/>
Vorstellen gewiss, dass es vorstellt&#x201C; (sagt Baumann), oder<lb/>
(naturwissenschaftlich ausgedrückt), die Vorstellung<note place="foot" n="**)">Die Vorstellung bildet den Inhalt des Bewusstseins oder vielmehr<lb/>
die Vorstellung ist der Act des Bewusstseins (s. Wundt).</note> ist das<lb/>
aus dem zum Denken angeregten Geist, unter der Nothwendig-<lb/>
keit organischer Gesetze, hervorspringende Erzeugniss, das<lb/>
nach der Gewohnheit des, unter den Sinnen überwiegenden,<lb/>
Sehorgans nach Aussen hin projicirt wird, und dort dem<lb/>
geistigen Auge ebenso deutlich gegenübersteht, wie der<lb/>
optische Gegenstand dem körperlichen. Das materielle Ding,<lb/>
das in den Anreizen zu dieser Gestaltungsthätigkeit des<lb/>
Geistes verborgen liegt, wird durch die Vorstellung als<lb/>
solche, weder erklärt noch begriffen, und hat direct mit der-<lb/>
selben, seiner Besonderheit nach, nicht viel mehr zu thun,<lb/>
als die in den Magen eingeführte Speise mit den Ernährungs-<lb/>
functionen, die sich aus den verschiedenartigsten Gerichten<lb/>
überall dieselben Zellcomplexe bilden, wie sie den einzelnen<lb/>
Gliedmaassen, ihrer speciellen Aufgabe nach, entsprechen,<lb/>
obwohl bei Zusatz stärkerer Stoffe, narkotischer oder sonst<lb/>
medicinischer, diese ausserdem ihre specifische Wirkung zu<lb/>
äussern vermögen.</p><lb/>
        <p>Aehnlich bei den Vorstellungen. Nachdem durch den<lb/>
einfallenden (in der Majorität der Fälle die Netzhaut treffen-<lb/>
den) Sinnesreiz der Denkapparat in dem Einzelnindividuum<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0049] den Begriff der Menschheit charakteristischen) Gesellschafts- natur gemäss, in den Völkergedanken (worin sich rück- schliessend erst wieder Theilstriche für die Einzelngedanken *), nach ihren Verhältnisswerthen zum Ganzen, würden ziehen lassen). „Das Vorstellen stellen wir gar nicht wieder vor, sondern indem wir vorstellen, ist ohne Weiteres dadurch dem Vorstellen gewiss, dass es vorstellt“ (sagt Baumann), oder (naturwissenschaftlich ausgedrückt), die Vorstellung **) ist das aus dem zum Denken angeregten Geist, unter der Nothwendig- keit organischer Gesetze, hervorspringende Erzeugniss, das nach der Gewohnheit des, unter den Sinnen überwiegenden, Sehorgans nach Aussen hin projicirt wird, und dort dem geistigen Auge ebenso deutlich gegenübersteht, wie der optische Gegenstand dem körperlichen. Das materielle Ding, das in den Anreizen zu dieser Gestaltungsthätigkeit des Geistes verborgen liegt, wird durch die Vorstellung als solche, weder erklärt noch begriffen, und hat direct mit der- selben, seiner Besonderheit nach, nicht viel mehr zu thun, als die in den Magen eingeführte Speise mit den Ernährungs- functionen, die sich aus den verschiedenartigsten Gerichten überall dieselben Zellcomplexe bilden, wie sie den einzelnen Gliedmaassen, ihrer speciellen Aufgabe nach, entsprechen, obwohl bei Zusatz stärkerer Stoffe, narkotischer oder sonst medicinischer, diese ausserdem ihre specifische Wirkung zu äussern vermögen. Aehnlich bei den Vorstellungen. Nachdem durch den einfallenden (in der Majorität der Fälle die Netzhaut treffen- den) Sinnesreiz der Denkapparat in dem Einzelnindividuum *) Indem die „Verbreitung der Vorstellungen in der Gesellschaft ein Hindurchgehen durch viele Privatbewusstsein von Einzelmenschen voraus- setzt“, folgte (s. Lindner): „dass die Elemente des socialen Bewusstseins nicht Vorstellungen im psychologischen Sinne, sondern allgemeine Begriffe oder Ideen sind“. **) Die Vorstellung bildet den Inhalt des Bewusstseins oder vielmehr die Vorstellung ist der Act des Bewusstseins (s. Wundt).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/49
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/49>, abgerufen am 21.11.2024.