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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Gefahr liefe, sich in schwankende Phantom-Welten zu ver-
lieren.

Und dieser Gesellschaftsgedanke nun wird uns die
geistigen Schöpfungen, die psychischen Thaten des Mensch-
heitsgeistes vorführen, in den religiösen Vorstellungen, in
den Grundideen rechtlicher Institutionen und in allen Bedin-
gungen des socialen Lebens, wie es sich bald in weit-
greifenden Ergebnissen fühlbar machen muss, -- denn welche
Wissenschaft könnte es für den Menschen geben, ohne sich
in der einen oder andern Weise mit der Wissenschaft von
dem Menschen zu berühren?

Die weiten und grossen Horizonte, wie sie unsere kosmo-
politische Weltstellung verlangt, jene geographische Er-
weiterung des Gesichtskreises, wie schon häufig von Klarer-
schauenden und Weiterblickenden zum Schaden unserer
gesellschaftlichen Wohlfahrt bedauernd vermisst, sie werden
durch die Ethnologie, die dem Menschen nächstliegende
Popularisirung der Geographie, am naturgemässesten herbei-
geführt, und zum Besten des Kaufmann, Fabrikanten, Diplo-
maten, Gelehrten realisirt werden, um aus der früher, so zu
sagen, mit Brettern vernagelten Welt continentaler Klein-
staaterei den Ausblick in das Universum aufzuöffnen.

Die Ethnologie gehört dadurch jener Zeitströmung an,
die von der rein philosophisch--logischen Bildung einer
realistischeren Unterrichtsform zustrebt.

Nicht allerdings, wie es manchmal in vielleicht wohl-
gemeintem Eifer geschieht, darf des Classischen hohe Be-
deutung irgendwie geschmälert werden, und am Wenigsten
würde dies der Ethnologie anstehen, die so oft Gelegenheit
hat, für eigene Controlle ihrer, weil allzu jung, noch unstäten
Principien, auf die sorgsamen Detailarbeiten classischer Li-
teratur zurückzukommen und die schwerwiegende Verdichtung
der beiden kleinen Halbinseln abzuschätzen, die so diminutiv
sie extensiv erscheinen mögen, dennoch durch ihre Intensivität
das Uebrige gleichwiegen und in Schatten stellen. In ihnen,

Gefahr liefe, sich in schwankende Phantom-Welten zu ver-
lieren.

Und dieser Gesellschaftsgedanke nun wird uns die
geistigen Schöpfungen, die psychischen Thaten des Mensch-
heitsgeistes vorführen, in den religiösen Vorstellungen, in
den Grundideen rechtlicher Institutionen und in allen Bedin-
gungen des socialen Lebens, wie es sich bald in weit-
greifenden Ergebnissen fühlbar machen muss, — denn welche
Wissenschaft könnte es für den Menschen geben, ohne sich
in der einen oder andern Weise mit der Wissenschaft von
dem Menschen zu berühren?

Die weiten und grossen Horizonte, wie sie unsere kosmo-
politische Weltstellung verlangt, jene geographische Er-
weiterung des Gesichtskreises, wie schon häufig von Klarer-
schauenden und Weiterblickenden zum Schaden unserer
gesellschaftlichen Wohlfahrt bedauernd vermisst, sie werden
durch die Ethnologie, die dem Menschen nächstliegende
Popularisirung der Geographie, am naturgemässesten herbei-
geführt, und zum Besten des Kaufmann, Fabrikanten, Diplo-
maten, Gelehrten realisirt werden, um aus der früher, so zu
sagen, mit Brettern vernagelten Welt continentaler Klein-
staaterei den Ausblick in das Universum aufzuöffnen.

Die Ethnologie gehört dadurch jener Zeitströmung an,
die von der rein philosophisch--logischen Bildung einer
realistischeren Unterrichtsform zustrebt.

Nicht allerdings, wie es manchmal in vielleicht wohl-
gemeintem Eifer geschieht, darf des Classischen hohe Be-
deutung irgendwie geschmälert werden, und am Wenigsten
würde dies der Ethnologie anstehen, die so oft Gelegenheit
hat, für eigene Controlle ihrer, weil allzu jung, noch unstäten
Principien, auf die sorgsamen Detailarbeiten classischer Li-
teratur zurückzukommen und die schwerwiegende Verdichtung
der beiden kleinen Halbinseln abzuschätzen, die so diminutiv
sie extensiv erscheinen mögen, dennoch durch ihre Intensivität
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[173/0207] Gefahr liefe, sich in schwankende Phantom-Welten zu ver- lieren. Und dieser Gesellschaftsgedanke nun wird uns die geistigen Schöpfungen, die psychischen Thaten des Mensch- heitsgeistes vorführen, in den religiösen Vorstellungen, in den Grundideen rechtlicher Institutionen und in allen Bedin- gungen des socialen Lebens, wie es sich bald in weit- greifenden Ergebnissen fühlbar machen muss, — denn welche Wissenschaft könnte es für den Menschen geben, ohne sich in der einen oder andern Weise mit der Wissenschaft von dem Menschen zu berühren? Die weiten und grossen Horizonte, wie sie unsere kosmo- politische Weltstellung verlangt, jene geographische Er- weiterung des Gesichtskreises, wie schon häufig von Klarer- schauenden und Weiterblickenden zum Schaden unserer gesellschaftlichen Wohlfahrt bedauernd vermisst, sie werden durch die Ethnologie, die dem Menschen nächstliegende Popularisirung der Geographie, am naturgemässesten herbei- geführt, und zum Besten des Kaufmann, Fabrikanten, Diplo- maten, Gelehrten realisirt werden, um aus der früher, so zu sagen, mit Brettern vernagelten Welt continentaler Klein- staaterei den Ausblick in das Universum aufzuöffnen. Die Ethnologie gehört dadurch jener Zeitströmung an, die von der rein philosophisch--logischen Bildung einer realistischeren Unterrichtsform zustrebt. Nicht allerdings, wie es manchmal in vielleicht wohl- gemeintem Eifer geschieht, darf des Classischen hohe Be- deutung irgendwie geschmälert werden, und am Wenigsten würde dies der Ethnologie anstehen, die so oft Gelegenheit hat, für eigene Controlle ihrer, weil allzu jung, noch unstäten Principien, auf die sorgsamen Detailarbeiten classischer Li- teratur zurückzukommen und die schwerwiegende Verdichtung der beiden kleinen Halbinseln abzuschätzen, die so diminutiv sie extensiv erscheinen mögen, dennoch durch ihre Intensivität das Uebrige gleichwiegen und in Schatten stellen. In ihnen,

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/207>, abgerufen am 24.11.2024.