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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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geschichte sind, aus denen, da in ihnen die Wurzeln der
organischen Entwicklung eingebettet liegen, die Ethnologie
jetzt in ihrer Reife hervorgetreten ist.

Zuerst, wie eben genannt, diese geographische Umge-
staltung, die in Verbindung mit der astronomischen, das gäo-
centrische System in ein heliocentrisches verwandelte, den
gesammten Globus in der ganzen Weite seiner Ausdehnung
aufschliessend, und dadurch von allen Seiten sich mehrendes
Material für eine neue Weltanschauung herbeiführte. Dann,
als naturgemäss daraus folgend, die inductive Reform, die
in dem dogmatischen Scholasticismus keine Befriedigung
weiter findend, sich der realistischen Auffassung zuwandte,
und weiterhin die sozialen Bestrebungen unserer Zeit, um die
Wohlfahrt des Einzelnen als Ziel der Gesellschaft, und die
Wohlfahrt der Gesellschaft im gemeinsamen Verbande der
Einzelnen, auf die naturgemässe Lehren vom menschlichen
Dasein zu gründen, unter Betrachtung des Menschen als
Gesellschaftswesen (dem genetischen Princip gemäss: aus dem
Werden erklärt und verstanden). Die Erfolge unserer natur-
wissenschaftlichen Weltanschauung sind vor Allem der In-
ductions-Methode zuzuschreiben. Nachdem dieselbe ihre
Siegesbahn betreten, die sie im allmähligen Fortschritt vom
Anorganischen zum Organischen geführt, -- als sie in der
Biologie auch die Physiologie bemeistert, da liess sich vor-
aussehen, dass sie nicht beim Körperlichen stehen bleiben
würde. An die Grenze der Physiologie gelangt, fand sie
sich der Philosophie gegenübergestellt, und dort entbrannte
jetzt der Streit um die Psychologie. Sollte sie fernerhin
den Naturwissenschaften angehören, sollte sie, wie früher,
eine metaphysische Wissenschaft bleiben? Diese Frage,
meine Herren, ist von den Philosophen selbst zuerst gestellt.
Sie wissen, es war Beneke der die Psychologie als Natur-
wissenschaft auszubilden dachte. Ihm ist darin Waitz ge-
folgt in seiner "Psychologie als Naturwissenschaft", und in
ähnlicher Weise sind die Arbeiten angelegt von Fries,

geschichte sind, aus denen, da in ihnen die Wurzeln der
organischen Entwicklung eingebettet liegen, die Ethnologie
jetzt in ihrer Reife hervorgetreten ist.

Zuerst, wie eben genannt, diese geographische Umge-
staltung, die in Verbindung mit der astronomischen, das gäo-
centrische System in ein heliocentrisches verwandelte, den
gesammten Globus in der ganzen Weite seiner Ausdehnung
aufschliessend, und dadurch von allen Seiten sich mehrendes
Material für eine neue Weltanschauung herbeiführte. Dann,
als naturgemäss daraus folgend, die inductive Reform, die
in dem dogmatischen Scholasticismus keine Befriedigung
weiter findend, sich der realistischen Auffassung zuwandte,
und weiterhin die sozialen Bestrebungen unserer Zeit, um die
Wohlfahrt des Einzelnen als Ziel der Gesellschaft, und die
Wohlfahrt der Gesellschaft im gemeinsamen Verbande der
Einzelnen, auf die naturgemässe Lehren vom menschlichen
Dasein zu gründen, unter Betrachtung des Menschen als
Gesellschaftswesen (dem genetischen Princip gemäss: aus dem
Werden erklärt und verstanden). Die Erfolge unserer natur-
wissenschaftlichen Weltanschauung sind vor Allem der In-
ductions-Methode zuzuschreiben. Nachdem dieselbe ihre
Siegesbahn betreten, die sie im allmähligen Fortschritt vom
Anorganischen zum Organischen geführt, — als sie in der
Biologie auch die Physiologie bemeistert, da liess sich vor-
aussehen, dass sie nicht beim Körperlichen stehen bleiben
würde. An die Grenze der Physiologie gelangt, fand sie
sich der Philosophie gegenübergestellt, und dort entbrannte
jetzt der Streit um die Psychologie. Sollte sie fernerhin
den Naturwissenschaften angehören, sollte sie, wie früher,
eine metaphysische Wissenschaft bleiben? Diese Frage,
meine Herren, ist von den Philosophen selbst zuerst gestellt.
Sie wissen, es war Beneke der die Psychologie als Natur-
wissenschaft auszubilden dachte. Ihm ist darin Waitz ge-
folgt in seiner „Psychologie als Naturwissenschaft“, und in
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[171/0205] geschichte sind, aus denen, da in ihnen die Wurzeln der organischen Entwicklung eingebettet liegen, die Ethnologie jetzt in ihrer Reife hervorgetreten ist. Zuerst, wie eben genannt, diese geographische Umge- staltung, die in Verbindung mit der astronomischen, das gäo- centrische System in ein heliocentrisches verwandelte, den gesammten Globus in der ganzen Weite seiner Ausdehnung aufschliessend, und dadurch von allen Seiten sich mehrendes Material für eine neue Weltanschauung herbeiführte. Dann, als naturgemäss daraus folgend, die inductive Reform, die in dem dogmatischen Scholasticismus keine Befriedigung weiter findend, sich der realistischen Auffassung zuwandte, und weiterhin die sozialen Bestrebungen unserer Zeit, um die Wohlfahrt des Einzelnen als Ziel der Gesellschaft, und die Wohlfahrt der Gesellschaft im gemeinsamen Verbande der Einzelnen, auf die naturgemässe Lehren vom menschlichen Dasein zu gründen, unter Betrachtung des Menschen als Gesellschaftswesen (dem genetischen Princip gemäss: aus dem Werden erklärt und verstanden). Die Erfolge unserer natur- wissenschaftlichen Weltanschauung sind vor Allem der In- ductions-Methode zuzuschreiben. Nachdem dieselbe ihre Siegesbahn betreten, die sie im allmähligen Fortschritt vom Anorganischen zum Organischen geführt, — als sie in der Biologie auch die Physiologie bemeistert, da liess sich vor- aussehen, dass sie nicht beim Körperlichen stehen bleiben würde. An die Grenze der Physiologie gelangt, fand sie sich der Philosophie gegenübergestellt, und dort entbrannte jetzt der Streit um die Psychologie. Sollte sie fernerhin den Naturwissenschaften angehören, sollte sie, wie früher, eine metaphysische Wissenschaft bleiben? Diese Frage, meine Herren, ist von den Philosophen selbst zuerst gestellt. Sie wissen, es war Beneke der die Psychologie als Natur- wissenschaft auszubilden dachte. Ihm ist darin Waitz ge- folgt in seiner „Psychologie als Naturwissenschaft“, und in ähnlicher Weise sind die Arbeiten angelegt von Fries,

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/205>, abgerufen am 27.11.2024.