Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

suchte, in unabhängigere Beleuchtung gestellt, dass Entwick-
lungsvorgängen (wie bei Nägeli's Gewebezellen aus der Scheitel-
zelle) allgemeinere Anwendung gegeben, sondern in dem
vornehmlich, worin über das soweit sicher Constatirte weiter
hinausgegangen wurde, als die Bewahrung des Schwerpunkts
erlaubte (bis zu eigener Negirung*) in Einführung philosophi-
scher Zersetzungskerne aus dem Absoluten**) in die natur-

*) Die Fortpflanzung der Pflanze beruht darauf, dass sie eine spe-
cifisch ähnliche zeugt (nach Jungius), und Erlaubniss von Variationen über
erlaubte Variationsweite hinaus, müsste damit vim afferre vitae suae (im
Selbstmord).
**) Wie weit wir (unter festgehaltener Deutlichkeit des Gedankenkreis)
in der Entstehung der Materie (des anorganisch Vorhandenem) zurückzu-
schreiten suchen, wir würden stets ein Letztes, als Gegebenes (wie in
der Mathematik) zu setzen haben, sei es in Atomen eines mechanischen
Nebeneinander, sei es in chemischem Hervorwickeln aus nebligen Horizonten.
In Evolution der Welt aus solcher Materie, als vorläufig anfangloser, lässt
sich ein bestimmter Anfang dann für das Leben (im Organischen) fixiren,
nämlich (nach scheidend anordnenden Verwandtschaften elementarer Kräfte)
der, Leben ermöglichende, Moment richtiger Wechselbeziehung zwischen
Tellurischen und Solarischen, indem nach der einen Seite Uebermaass des
Kalten, nach der andern Uebermaass der Wärme desjenigen unmöglich
machen würde, was, nach irdischen Verhältnissen, vom Menschen als Leben
verstanden wird. Dieses Leben, als (im Gegensatz zum Anorganischen)
innerlich bewegt (in Entwicklung und Zerfall) zeigt (bald directe, bald in-
directe) Beziehung zu dem Wechsel von Tag und Nacht, im Umlauf der
Sonne (für Jahrespflanzen) oder denen des Mondes. Als höchste Blüthe
des Lebens befreit sich das Geistige durch seine, Ahnungen eines
anfangslos Unendlichen und Ewigen ermöglichende, Gedanken von den
Schranken in Raum in Zeit. In dem mythologisch vergleichenden Studium
der Ethnologie erlangen wir einen erschöpfenden Ueberblick über alle
(in buntester Mannigfaltigkeit spielenden) Möglichkeiten einer Schöpfungs-
erklärung, ohne je (wie durch die Denkgesetze verboten) über einen
provisorisch ersten Anfang hinausgelangend, der meist durch Suppo-
nirung eines jenseitigen (oder ausserweltlichen) Gottes, (der bei weiter-
gehender Reflexion sich selbst wieder aufs Neue, als das nur letzte End-
glied unabsehbarer Vorreihen ergeben würde), verdeckt, oder sonst, mit
Wiederholung stetiger Auswicklungen des Späteren und Früheren, im Kreise
herumgeführt wird. Da unsere wissenschaftlichen Systeme erst innerhalb

suchte, in unabhängigere Beleuchtung gestellt, dass Entwick-
lungsvorgängen (wie bei Nägeli’s Gewebezellen aus der Scheitel-
zelle) allgemeinere Anwendung gegeben, sondern in dem
vornehmlich, worin über das soweit sicher Constatirte weiter
hinausgegangen wurde, als die Bewahrung des Schwerpunkts
erlaubte (bis zu eigener Negirung*) in Einführung philosophi-
scher Zersetzungskerne aus dem Absoluten**) in die natur-

*) Die Fortpflanzung der Pflanze beruht darauf, dass sie eine spe-
cifisch ähnliche zeugt (nach Jungius), und Erlaubniss von Variationen über
erlaubte Variationsweite hinaus, müsste damit vim afferre vitae suae (im
Selbstmord).
**) Wie weit wir (unter festgehaltener Deutlichkeit des Gedankenkreis)
in der Entstehung der Materie (des anorganisch Vorhandenem) zurückzu-
schreiten suchen, wir würden stets ein Letztes, als Gegebenes (wie in
der Mathematik) zu setzen haben, sei es in Atomen eines mechanischen
Nebeneinander, sei es in chemischem Hervorwickeln aus nebligen Horizonten.
In Evolution der Welt aus solcher Materie, als vorläufig anfangloser, lässt
sich ein bestimmter Anfang dann für das Leben (im Organischen) fixiren,
nämlich (nach scheidend anordnenden Verwandtschaften elementarer Kräfte)
der, Leben ermöglichende, Moment richtiger Wechselbeziehung zwischen
Tellurischen und Solarischen, indem nach der einen Seite Uebermaass des
Kalten, nach der andern Uebermaass der Wärme desjenigen unmöglich
machen würde, was, nach irdischen Verhältnissen, vom Menschen als Leben
verstanden wird. Dieses Leben, als (im Gegensatz zum Anorganischen)
innerlich bewegt (in Entwicklung und Zerfall) zeigt (bald directe, bald in-
directe) Beziehung zu dem Wechsel von Tag und Nacht, im Umlauf der
Sonne (für Jahrespflanzen) oder denen des Mondes. Als höchste Blüthe
des Lebens befreit sich das Geistige durch seine, Ahnungen eines
anfangslos Unendlichen und Ewigen ermöglichende, Gedanken von den
Schranken in Raum in Zeit. In dem mythologisch vergleichenden Studium
der Ethnologie erlangen wir einen erschöpfenden Ueberblick über alle
(in buntester Mannigfaltigkeit spielenden) Möglichkeiten einer Schöpfungs-
erklärung, ohne je (wie durch die Denkgesetze verboten) über einen
provisorisch ersten Anfang hinausgelangend, der meist durch Suppo-
nirung eines jenseitigen (oder ausserweltlichen) Gottes, (der bei weiter-
gehender Reflexion sich selbst wieder aufs Neue, als das nur letzte End-
glied unabsehbarer Vorreihen ergeben würde), verdeckt, oder sonst, mit
Wiederholung stetiger Auswicklungen des Späteren und Früheren, im Kreise
herumgeführt wird. Da unsere wissenschaftlichen Systeme erst innerhalb
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0160" n="126"/>
suchte, in unabhängigere Beleuchtung gestellt, dass Entwick-<lb/>
lungsvorgängen (wie bei Nägeli&#x2019;s Gewebezellen aus der Scheitel-<lb/>
zelle) allgemeinere Anwendung gegeben, sondern <hi rendition="#g">in dem</hi><lb/>
vornehmlich, worin über das soweit sicher Constatirte <hi rendition="#g">weiter</hi><lb/>
hinausgegangen wurde, <hi rendition="#g">als</hi> die Bewahrung des Schwerpunkts<lb/>
erlaubte (bis zu eigener Negirung<note place="foot" n="*)">Die Fortpflanzung der Pflanze beruht darauf, dass sie eine spe-<lb/>
cifisch ähnliche zeugt (nach Jungius), und Erlaubniss von Variationen über<lb/>
erlaubte Variationsweite hinaus, müsste damit vim afferre vitae suae (im<lb/>
Selbstmord).</note> in Einführung philosophi-<lb/>
scher Zersetzungskerne aus dem Absoluten<note xml:id="seg2pn_30_1" next="#seg2pn_30_2" place="foot" n="**)">Wie weit wir (unter festgehaltener Deutlichkeit des Gedankenkreis)<lb/>
in der Entstehung der Materie (des anorganisch Vorhandenem) zurückzu-<lb/>
schreiten suchen, wir würden stets ein Letztes, als Gegebenes (wie in<lb/>
der Mathematik) zu setzen haben, sei es in Atomen eines mechanischen<lb/>
Nebeneinander, sei es in chemischem Hervorwickeln aus nebligen Horizonten.<lb/>
In Evolution der Welt aus solcher Materie, als vorläufig anfangloser, lässt<lb/>
sich ein bestimmter Anfang dann für das Leben (im Organischen) fixiren,<lb/>
nämlich (nach scheidend anordnenden Verwandtschaften elementarer Kräfte)<lb/>
der, Leben ermöglichende, Moment richtiger Wechselbeziehung zwischen<lb/>
Tellurischen und Solarischen, indem nach der einen Seite Uebermaass des<lb/>
Kalten, nach der andern Uebermaass der Wärme desjenigen unmöglich<lb/>
machen würde, was, nach irdischen Verhältnissen, vom Menschen als Leben<lb/>
verstanden wird. Dieses Leben, als (im Gegensatz zum Anorganischen)<lb/>
innerlich bewegt (in Entwicklung und Zerfall) zeigt (bald directe, bald in-<lb/>
directe) Beziehung zu dem Wechsel von Tag und Nacht, im Umlauf der<lb/>
Sonne (für Jahrespflanzen) oder denen des Mondes. Als höchste Blüthe<lb/>
des Lebens befreit sich das Geistige durch seine, Ahnungen eines<lb/>
anfangslos Unendlichen und Ewigen ermöglichende, Gedanken von den<lb/>
Schranken in Raum in Zeit. In dem mythologisch vergleichenden Studium<lb/>
der Ethnologie erlangen wir einen erschöpfenden Ueberblick über alle<lb/>
(in buntester Mannigfaltigkeit spielenden) Möglichkeiten einer Schöpfungs-<lb/>
erklärung, ohne je (wie durch die Denkgesetze verboten) über einen<lb/>
provisorisch ersten Anfang hinausgelangend, der meist durch Suppo-<lb/>
nirung eines jenseitigen (oder ausserweltlichen) Gottes, (der bei weiter-<lb/>
gehender Reflexion sich selbst wieder aufs Neue, als das nur letzte End-<lb/>
glied unabsehbarer Vorreihen ergeben würde), verdeckt, oder sonst, mit<lb/>
Wiederholung stetiger Auswicklungen des Späteren und Früheren, im Kreise<lb/>
herumgeführt wird. Da unsere wissenschaftlichen Systeme erst innerhalb</note> in die natur-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0160] suchte, in unabhängigere Beleuchtung gestellt, dass Entwick- lungsvorgängen (wie bei Nägeli’s Gewebezellen aus der Scheitel- zelle) allgemeinere Anwendung gegeben, sondern in dem vornehmlich, worin über das soweit sicher Constatirte weiter hinausgegangen wurde, als die Bewahrung des Schwerpunkts erlaubte (bis zu eigener Negirung *) in Einführung philosophi- scher Zersetzungskerne aus dem Absoluten **) in die natur- *) Die Fortpflanzung der Pflanze beruht darauf, dass sie eine spe- cifisch ähnliche zeugt (nach Jungius), und Erlaubniss von Variationen über erlaubte Variationsweite hinaus, müsste damit vim afferre vitae suae (im Selbstmord). **) Wie weit wir (unter festgehaltener Deutlichkeit des Gedankenkreis) in der Entstehung der Materie (des anorganisch Vorhandenem) zurückzu- schreiten suchen, wir würden stets ein Letztes, als Gegebenes (wie in der Mathematik) zu setzen haben, sei es in Atomen eines mechanischen Nebeneinander, sei es in chemischem Hervorwickeln aus nebligen Horizonten. In Evolution der Welt aus solcher Materie, als vorläufig anfangloser, lässt sich ein bestimmter Anfang dann für das Leben (im Organischen) fixiren, nämlich (nach scheidend anordnenden Verwandtschaften elementarer Kräfte) der, Leben ermöglichende, Moment richtiger Wechselbeziehung zwischen Tellurischen und Solarischen, indem nach der einen Seite Uebermaass des Kalten, nach der andern Uebermaass der Wärme desjenigen unmöglich machen würde, was, nach irdischen Verhältnissen, vom Menschen als Leben verstanden wird. Dieses Leben, als (im Gegensatz zum Anorganischen) innerlich bewegt (in Entwicklung und Zerfall) zeigt (bald directe, bald in- directe) Beziehung zu dem Wechsel von Tag und Nacht, im Umlauf der Sonne (für Jahrespflanzen) oder denen des Mondes. Als höchste Blüthe des Lebens befreit sich das Geistige durch seine, Ahnungen eines anfangslos Unendlichen und Ewigen ermöglichende, Gedanken von den Schranken in Raum in Zeit. In dem mythologisch vergleichenden Studium der Ethnologie erlangen wir einen erschöpfenden Ueberblick über alle (in buntester Mannigfaltigkeit spielenden) Möglichkeiten einer Schöpfungs- erklärung, ohne je (wie durch die Denkgesetze verboten) über einen provisorisch ersten Anfang hinausgelangend, der meist durch Suppo- nirung eines jenseitigen (oder ausserweltlichen) Gottes, (der bei weiter- gehender Reflexion sich selbst wieder aufs Neue, als das nur letzte End- glied unabsehbarer Vorreihen ergeben würde), verdeckt, oder sonst, mit Wiederholung stetiger Auswicklungen des Späteren und Früheren, im Kreise herumgeführt wird. Da unsere wissenschaftlichen Systeme erst innerhalb

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/160
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/160>, abgerufen am 22.12.2024.