Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Nachdem eine derartige Sitte zur Gewohnheit geworden,
formulirte sie sich, mit der Verknöcherung zum Dogma, als
unverbrüchliches Princip, das nicht weit genug getrieben
werden konnte.

Weil es sich praktisch erwiesen hatte, in eine andere
Horde oder Phratrie zu heirathen, so durften jetzt die Mit-
glieder der eigenen nicht mehr untereinander heirathen, an-
fangs nur, weil es gegen den Brauch verstossen haben würde,
dann weil ein Verbot entgegenstand, und indem so das Heirathen
in der Verwandtschaft, unter Simulirung dieser, abgewiesen,
und immer weitere Grade absorbirt wurden, traf dies Veto
schliesslich alle, die denselben Namen führten, bei den Maya,
oder (als hsing der chia) bei den Chinesen.

Der Uebergang von der mütterlichen zur väterlichen
Geschlechtsfolge wird sich in historischer Entwicklung voll-
ziehen, indem eine aristokratische Kaste, die ohne Frauen
(oder mit ungenügender Zahl derselben) eingewandert, durch
das Schwert oder (gleich den Brahmanen) durch geistige
Ueberlegenheit zur Herrschaft gekommen ist, und nun, wenn
die Noth zu Frauen aus den verachteten Schichten der Ein-
geborenen zwingt, nicht zu deren Niveau, wie leicht begreif-
lich, die Kinder degradiren will, sondern sie in das Ge-
schlecht des Vaters*) erhebt. Dies, zur Gewohnheit gewor-
den, galt denn auch zwischen ebenbürtigen Geschlechtern.

Und mit solchem Vater an der Spitze der Familie, wird
dann in dieser die patria postestas**) geübt, in Rom sowohl
(wie anderswo), oder in freieren Gestaltungen.

*) Bei den schottischen Clan folgten die Kinder in der männlichen
Linie, während die männlichen Mitglieder blieben, die der weiblichen in
der Clan des Vaters traten.
**) All the sons together with their wives and families are in subordi-
nation to the father and obey his authority. They possess no property of their
own (bei Khonds). A la mort de l'ancetre commun le regime de la puis-
sance paternelle absolue disparaissait et les descendants recouvraient leur
liberte, quant a leurs biens et a leur personnes (in Annam), während die
Verpflichtung zum Ahnen-Cultus auf Einen überging, der dann als Haupt

Nachdem eine derartige Sitte zur Gewohnheit geworden,
formulirte sie sich, mit der Verknöcherung zum Dogma, als
unverbrüchliches Princip, das nicht weit genug getrieben
werden konnte.

Weil es sich praktisch erwiesen hatte, in eine andere
Horde oder Phratrie zu heirathen, so durften jetzt die Mit-
glieder der eigenen nicht mehr untereinander heirathen, an-
fangs nur, weil es gegen den Brauch verstossen haben würde,
dann weil ein Verbot entgegenstand, und indem so das Heirathen
in der Verwandtschaft, unter Simulirung dieser, abgewiesen,
und immer weitere Grade absorbirt wurden, traf dies Veto
schliesslich alle, die denselben Namen führten, bei den Maya,
oder (als hsing der chia) bei den Chinesen.

Der Uebergang von der mütterlichen zur väterlichen
Geschlechtsfolge wird sich in historischer Entwicklung voll-
ziehen, indem eine aristokratische Kaste, die ohne Frauen
(oder mit ungenügender Zahl derselben) eingewandert, durch
das Schwert oder (gleich den Brahmanen) durch geistige
Ueberlegenheit zur Herrschaft gekommen ist, und nun, wenn
die Noth zu Frauen aus den verachteten Schichten der Ein-
geborenen zwingt, nicht zu deren Niveau, wie leicht begreif-
lich, die Kinder degradiren will, sondern sie in das Ge-
schlecht des Vaters*) erhebt. Dies, zur Gewohnheit gewor-
den, galt denn auch zwischen ebenbürtigen Geschlechtern.

Und mit solchem Vater an der Spitze der Familie, wird
dann in dieser die patria postestas**) geübt, in Rom sowohl
(wie anderswo), oder in freieren Gestaltungen.

*) Bei den schottischen Clan folgten die Kinder in der männlichen
Linie, während die männlichen Mitglieder blieben, die der weiblichen in
der Clan des Vaters traten.
**) All the sons together with their wives and families are in subordi-
nation to the father and obey his authority. They possess no property of their
own (bei Khonds). A la mort de l’ancêtre commun le régime de la puis-
sance paternelle absolue disparaissait et les descendants recouvraient leur
liberté, quant à leurs biens et à leur personnes (in Annam), während die
Verpflichtung zum Ahnen-Cultus auf Einen überging, der dann als Haupt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0135" n="101"/>
        <p>Nachdem eine derartige Sitte zur Gewohnheit geworden,<lb/>
formulirte sie sich, mit der Verknöcherung zum Dogma, als<lb/>
unverbrüchliches Princip, das nicht weit genug getrieben<lb/>
werden konnte.</p><lb/>
        <p>Weil es sich praktisch erwiesen hatte, in eine andere<lb/>
Horde oder Phratrie zu heirathen, so durften jetzt die Mit-<lb/>
glieder der eigenen nicht mehr untereinander heirathen, an-<lb/>
fangs nur, weil es gegen den Brauch verstossen haben würde,<lb/>
dann weil ein Verbot entgegenstand, und indem so das Heirathen<lb/>
in der Verwandtschaft, unter Simulirung dieser, abgewiesen,<lb/>
und immer weitere Grade absorbirt wurden, traf dies Veto<lb/>
schliesslich alle, die denselben Namen führten, bei den Maya,<lb/>
oder (als hsing der chia) bei den Chinesen.</p><lb/>
        <p>Der Uebergang von der mütterlichen zur väterlichen<lb/>
Geschlechtsfolge wird sich in historischer Entwicklung voll-<lb/>
ziehen, indem eine aristokratische Kaste, die ohne Frauen<lb/>
(oder mit ungenügender Zahl derselben) eingewandert, durch<lb/>
das Schwert oder (gleich den Brahmanen) durch geistige<lb/>
Ueberlegenheit zur Herrschaft gekommen ist, und nun, wenn<lb/>
die Noth zu Frauen aus den verachteten Schichten der Ein-<lb/>
geborenen zwingt, nicht zu deren Niveau, wie leicht begreif-<lb/>
lich, die Kinder degradiren will, sondern sie in das Ge-<lb/>
schlecht des Vaters<note place="foot" n="*)">Bei den schottischen Clan folgten die Kinder in der männlichen<lb/>
Linie, während die männlichen Mitglieder blieben, die der weiblichen in<lb/>
der Clan des Vaters traten.</note> erhebt. Dies, zur Gewohnheit gewor-<lb/>
den, galt denn auch zwischen ebenbürtigen Geschlechtern.</p><lb/>
        <p>Und mit solchem Vater an der Spitze der Familie, wird<lb/>
dann in dieser die patria postestas<note xml:id="seg2pn_20_1" next="#seg2pn_20_2" place="foot" n="**)">All the sons together with their wives and families are in subordi-<lb/>
nation to the father and obey his authority. They possess no property of their<lb/>
own (bei Khonds). A la mort de l&#x2019;ancêtre commun le régime de la puis-<lb/>
sance paternelle absolue disparaissait et les descendants recouvraient leur<lb/>
liberté, quant à leurs biens et à leur personnes (in Annam), während die<lb/>
Verpflichtung zum Ahnen-Cultus auf Einen überging, der dann als Haupt</note> geübt, in Rom sowohl<lb/>
(wie anderswo), oder in freieren Gestaltungen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0135] Nachdem eine derartige Sitte zur Gewohnheit geworden, formulirte sie sich, mit der Verknöcherung zum Dogma, als unverbrüchliches Princip, das nicht weit genug getrieben werden konnte. Weil es sich praktisch erwiesen hatte, in eine andere Horde oder Phratrie zu heirathen, so durften jetzt die Mit- glieder der eigenen nicht mehr untereinander heirathen, an- fangs nur, weil es gegen den Brauch verstossen haben würde, dann weil ein Verbot entgegenstand, und indem so das Heirathen in der Verwandtschaft, unter Simulirung dieser, abgewiesen, und immer weitere Grade absorbirt wurden, traf dies Veto schliesslich alle, die denselben Namen führten, bei den Maya, oder (als hsing der chia) bei den Chinesen. Der Uebergang von der mütterlichen zur väterlichen Geschlechtsfolge wird sich in historischer Entwicklung voll- ziehen, indem eine aristokratische Kaste, die ohne Frauen (oder mit ungenügender Zahl derselben) eingewandert, durch das Schwert oder (gleich den Brahmanen) durch geistige Ueberlegenheit zur Herrschaft gekommen ist, und nun, wenn die Noth zu Frauen aus den verachteten Schichten der Ein- geborenen zwingt, nicht zu deren Niveau, wie leicht begreif- lich, die Kinder degradiren will, sondern sie in das Ge- schlecht des Vaters *) erhebt. Dies, zur Gewohnheit gewor- den, galt denn auch zwischen ebenbürtigen Geschlechtern. Und mit solchem Vater an der Spitze der Familie, wird dann in dieser die patria postestas **) geübt, in Rom sowohl (wie anderswo), oder in freieren Gestaltungen. *) Bei den schottischen Clan folgten die Kinder in der männlichen Linie, während die männlichen Mitglieder blieben, die der weiblichen in der Clan des Vaters traten. **) All the sons together with their wives and families are in subordi- nation to the father and obey his authority. They possess no property of their own (bei Khonds). A la mort de l’ancêtre commun le régime de la puis- sance paternelle absolue disparaissait et les descendants recouvraient leur liberté, quant à leurs biens et à leur personnes (in Annam), während die Verpflichtung zum Ahnen-Cultus auf Einen überging, der dann als Haupt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/135
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/135>, abgerufen am 27.11.2024.