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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Polyandrische Verhältnisse entstehen, wie unter leicht-
lebigen Nairs im Anschluss italienischer Cicisbeat, dann auch
wieder unter Kargheit der Lebensbedürfnisse, bei Einschrän-
kung auf eine gemeinsame Haushälterin gewissermaassen,
unter gleichzeitiger Stumpfheit der Sensualität, wie sich in
der tibetischen*) Hinneigung zum Cölibat zeigt.

Ein durchgreifendes Gepräge wird der Stellung der Frau
in der Gesellschaft dann durch die, die Gestaltung derselben
begleitenden, Geschicke aufgedrückt werden, ob sie, als Beute
der Eroberer, wodurch die einheimischen Männer des Landes
erschlagen, durch das Thatsächliche selbst in Knechtschaft
herabgedrückt ist (vielleicht, wie bei Cariben, die eigene
Sprache bewahrend), oder ob, wenn die an die früher von
ihnen verwüsteten Küsten als Flüchtlinge anlangenden Wi-
kinger, es als Gunst, als Gnade so zu sagen, betrachten
müssen, wenn die Honoratioren des Landes diesen früher ge-
fürchtet und gehassten, -- aber früher, wie später berühmten --
Helden ihre Töchter zur Ehe anbieten, sie beim Festmahl
wählen lassen (wie bei Phocäer in Massilia) oder im Bogen-
wettkampf erschiessen (wie von Chutia-Prinzen in Sudya**).

der Mann, wenn sein Weib schwanger, keine Gemeinschaft mit ihr pflegen,
weil solches fleischlich" (Pinto).
*) Bei Tibetern heirathen verschiedene Brüder eine Frau und bei
den Nairs verschiedene Männer ohne Verwandtschaft. Bei den Namburi-
Brahmanen darf nur der älteste Bruder heirathen (um den Grundbesitz
zusammenzuhalten), während die jüngeren auf freien Verkehr hingewiesen
sind, besonders mit Nair-Mädchen (die verschiedene Liebhaber gleichzeitig
unterhalten mögen). Wie in Ceylon (meist unter Brüdern) besteht Polyan-
drie in Kashmir, Tibet, sowie den Sivalik-Bergen, dann in Sylhet und
Kachar, unter den Coorg von Mysore, den Toda der Neilgherry, sowie den
Nairs u. s. w. Bei den Veddah wurde früher die jüngere Schwester ge-
heirathet, und dies galt, als "the proper marriage", während die Heirath
mit der älteren Schwester verboten war (s. Bailey). Wer bei den Crows
die älteste Tochter heirathet, hat ein Anrecht auf alle Schwestern.
**) Dabei ergaben sich, oft im weitern Zutritt priesterlicher Weihen,
Bräuche, wie der Confarreatio, oder das Connubium (nuptiae), neben dem

Polyandrische Verhältnisse entstehen, wie unter leicht-
lebigen Nairs im Anschluss italienischer Cicisbeat, dann auch
wieder unter Kargheit der Lebensbedürfnisse, bei Einschrän-
kung auf eine gemeinsame Haushälterin gewissermaassen,
unter gleichzeitiger Stumpfheit der Sensualität, wie sich in
der tibetischen*) Hinneigung zum Cölibat zeigt.

Ein durchgreifendes Gepräge wird der Stellung der Frau
in der Gesellschaft dann durch die, die Gestaltung derselben
begleitenden, Geschicke aufgedrückt werden, ob sie, als Beute
der Eroberer, wodurch die einheimischen Männer des Landes
erschlagen, durch das Thatsächliche selbst in Knechtschaft
herabgedrückt ist (vielleicht, wie bei Cariben, die eigene
Sprache bewahrend), oder ob, wenn die an die früher von
ihnen verwüsteten Küsten als Flüchtlinge anlangenden Wi-
kinger, es als Gunst, als Gnade so zu sagen, betrachten
müssen, wenn die Honoratioren des Landes diesen früher ge-
fürchtet und gehassten, — aber früher, wie später berühmten —
Helden ihre Töchter zur Ehe anbieten, sie beim Festmahl
wählen lassen (wie bei Phocäer in Massilia) oder im Bogen-
wettkampf erschiessen (wie von Chutia-Prinzen in Sudya**).

der Mann, wenn sein Weib schwanger, keine Gemeinschaft mit ihr pflegen,
weil solches fleischlich“ (Pinto).
*) Bei Tibetern heirathen verschiedene Brüder eine Frau und bei
den Nairs verschiedene Männer ohne Verwandtschaft. Bei den Namburi-
Brahmanen darf nur der älteste Bruder heirathen (um den Grundbesitz
zusammenzuhalten), während die jüngeren auf freien Verkehr hingewiesen
sind, besonders mit Nair-Mädchen (die verschiedene Liebhaber gleichzeitig
unterhalten mögen). Wie in Ceylon (meist unter Brüdern) besteht Polyan-
drie in Kashmir, Tibet, sowie den Sivalik-Bergen, dann in Sylhet und
Kachar, unter den Coorg von Mysore, den Toda der Neilgherry, sowie den
Nairs u. s. w. Bei den Veddah wurde früher die jüngere Schwester ge-
heirathet, und dies galt, als „the proper marriage“, während die Heirath
mit der älteren Schwester verboten war (s. Bailey). Wer bei den Crows
die älteste Tochter heirathet, hat ein Anrecht auf alle Schwestern.
**) Dabei ergaben sich, oft im weitern Zutritt priesterlicher Weihen,
Bräuche, wie der Confarreatio, oder das Connubium (nuptiae), neben dem
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[94/0128] Polyandrische Verhältnisse entstehen, wie unter leicht- lebigen Nairs im Anschluss italienischer Cicisbeat, dann auch wieder unter Kargheit der Lebensbedürfnisse, bei Einschrän- kung auf eine gemeinsame Haushälterin gewissermaassen, unter gleichzeitiger Stumpfheit der Sensualität, wie sich in der tibetischen *) Hinneigung zum Cölibat zeigt. Ein durchgreifendes Gepräge wird der Stellung der Frau in der Gesellschaft dann durch die, die Gestaltung derselben begleitenden, Geschicke aufgedrückt werden, ob sie, als Beute der Eroberer, wodurch die einheimischen Männer des Landes erschlagen, durch das Thatsächliche selbst in Knechtschaft herabgedrückt ist (vielleicht, wie bei Cariben, die eigene Sprache bewahrend), oder ob, wenn die an die früher von ihnen verwüsteten Küsten als Flüchtlinge anlangenden Wi- kinger, es als Gunst, als Gnade so zu sagen, betrachten müssen, wenn die Honoratioren des Landes diesen früher ge- fürchtet und gehassten, — aber früher, wie später berühmten — Helden ihre Töchter zur Ehe anbieten, sie beim Festmahl wählen lassen (wie bei Phocäer in Massilia) oder im Bogen- wettkampf erschiessen (wie von Chutia-Prinzen in Sudya **). **) *) Bei Tibetern heirathen verschiedene Brüder eine Frau und bei den Nairs verschiedene Männer ohne Verwandtschaft. Bei den Namburi- Brahmanen darf nur der älteste Bruder heirathen (um den Grundbesitz zusammenzuhalten), während die jüngeren auf freien Verkehr hingewiesen sind, besonders mit Nair-Mädchen (die verschiedene Liebhaber gleichzeitig unterhalten mögen). Wie in Ceylon (meist unter Brüdern) besteht Polyan- drie in Kashmir, Tibet, sowie den Sivalik-Bergen, dann in Sylhet und Kachar, unter den Coorg von Mysore, den Toda der Neilgherry, sowie den Nairs u. s. w. Bei den Veddah wurde früher die jüngere Schwester ge- heirathet, und dies galt, als „the proper marriage“, während die Heirath mit der älteren Schwester verboten war (s. Bailey). Wer bei den Crows die älteste Tochter heirathet, hat ein Anrecht auf alle Schwestern. **) Dabei ergaben sich, oft im weitern Zutritt priesterlicher Weihen, Bräuche, wie der Confarreatio, oder das Connubium (nuptiae), neben dem **) der Mann, wenn sein Weib schwanger, keine Gemeinschaft mit ihr pflegen, weil solches fleischlich“ (Pinto).

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/128>, abgerufen am 24.11.2024.