Kein einziger Trieb wird so oft und so plötzlich ein starker Affect, als der Geschlechtstrieb. Also ist es niemals erlaubt, die in den mehresten Fäl- len gemeinnützigen Regeln von der Bezwingung dieses Triebes, in einzelnen Fällen deswegen zu übertreten, weil wir die schädlichen Folgen nicht sehen. Wer für sich selbst Ausnahme machen will, ist in einem Affecte, der die Richtigkeit seines Urtheils verdächtig macht.
§. 36.
Uebertritt in keiner Handlung die Ehr- barkeit. Wende die Augen ab von entblößten Körpern, vornehmlich des andern Geschlechts. Entblösse dich selbst nicht im Beyseyn andrer, ohne die äusserste Noth. Meide nach Möglichkeit die Annäherung an Oerter, wo das andre Geschlecht, und selbst dein eignes, auf eine ungewöhnliche Weise entblößt erscheint. Gemählde und Bild- fäulen entblößter Personen haben wenigstens die halbe Wirkung, als die wirkliche Blösse. Meide also ihre Betrachtung, so bald sie in dir ein unru- higes Verlangen erregt, welches du nicht erfüllen darfst. Schlafe, wenn du es kannst, in einem besondern Bette, und nicht in einem Zimmer mit dem andern Geschlechte. Die Theile deines Leibes, welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar
zeigen
Die Sittenlehre
Kein einziger Trieb wird ſo oft und ſo ploͤtzlich ein ſtarker Affect, als der Geſchlechtstrieb. Alſo iſt es niemals erlaubt, die in den mehreſten Faͤl- len gemeinnuͤtzigen Regeln von der Bezwingung dieſes Triebes, in einzelnen Faͤllen deswegen zu uͤbertreten, weil wir die ſchaͤdlichen Folgen nicht ſehen. Wer fuͤr ſich ſelbſt Ausnahme machen will, iſt in einem Affecte, der die Richtigkeit ſeines Urtheils verdaͤchtig macht.
§. 36.
Uebertritt in keiner Handlung die Ehr- barkeit. Wende die Augen ab von entbloͤßten Koͤrpern, vornehmlich des andern Geſchlechts. Entbloͤſſe dich ſelbſt nicht im Beyſeyn andrer, ohne die aͤuſſerſte Noth. Meide nach Moͤglichkeit die Annaͤherung an Oerter, wo das andre Geſchlecht, und ſelbſt dein eignes, auf eine ungewoͤhnliche Weiſe entbloͤßt erſcheint. Gemaͤhlde und Bild- faͤulen entbloͤßter Perſonen haben wenigſtens die halbe Wirkung, als die wirkliche Bloͤſſe. Meide alſo ihre Betrachtung, ſo bald ſie in dir ein unru- higes Verlangen erregt, welches du nicht erfuͤllen darfſt. Schlafe, wenn du es kannſt, in einem beſondern Bette, und nicht in einem Zimmer mit dem andern Geſchlechte. Die Theile deines Leibes, welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar
zeigen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0096"n="72"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die Sittenlehre</hi></fw><lb/><p>Kein einziger Trieb wird ſo oft und ſo ploͤtzlich<lb/><hirendition="#fr">ein ſtarker Affect,</hi> als der Geſchlechtstrieb. Alſo<lb/>
iſt es niemals erlaubt, die in den mehreſten Faͤl-<lb/>
len gemeinnuͤtzigen Regeln von der Bezwingung<lb/>
dieſes Triebes, in einzelnen Faͤllen deswegen zu<lb/>
uͤbertreten, weil wir die ſchaͤdlichen Folgen nicht<lb/>ſehen. Wer fuͤr ſich ſelbſt Ausnahme machen will,<lb/>
iſt in einem Affecte, der die Richtigkeit ſeines<lb/>
Urtheils verdaͤchtig macht.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 36.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Uebertritt in keiner Handlung die Ehr-<lb/>
barkeit.</hi> Wende die Augen ab von entbloͤßten<lb/>
Koͤrpern, vornehmlich des andern Geſchlechts.<lb/>
Entbloͤſſe dich ſelbſt nicht im Beyſeyn andrer, ohne<lb/>
die aͤuſſerſte Noth. Meide nach Moͤglichkeit die<lb/>
Annaͤherung an Oerter, wo das andre Geſchlecht,<lb/>
und ſelbſt dein eignes, auf eine ungewoͤhnliche<lb/>
Weiſe entbloͤßt erſcheint. Gemaͤhlde und Bild-<lb/>
faͤulen entbloͤßter Perſonen haben wenigſtens die<lb/>
halbe Wirkung, als die wirkliche Bloͤſſe. Meide<lb/>
alſo ihre Betrachtung, ſo bald ſie in dir ein unru-<lb/>
higes Verlangen erregt, welches du nicht erfuͤllen<lb/>
darfſt. Schlafe, wenn du es kannſt, in einem<lb/>
beſondern Bette, und nicht in einem Zimmer mit<lb/>
dem andern Geſchlechte. Die Theile deines Leibes,<lb/>
welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zeigen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[72/0096]
Die Sittenlehre
Kein einziger Trieb wird ſo oft und ſo ploͤtzlich
ein ſtarker Affect, als der Geſchlechtstrieb. Alſo
iſt es niemals erlaubt, die in den mehreſten Faͤl-
len gemeinnuͤtzigen Regeln von der Bezwingung
dieſes Triebes, in einzelnen Faͤllen deswegen zu
uͤbertreten, weil wir die ſchaͤdlichen Folgen nicht
ſehen. Wer fuͤr ſich ſelbſt Ausnahme machen will,
iſt in einem Affecte, der die Richtigkeit ſeines
Urtheils verdaͤchtig macht.
§. 36.
Uebertritt in keiner Handlung die Ehr-
barkeit. Wende die Augen ab von entbloͤßten
Koͤrpern, vornehmlich des andern Geſchlechts.
Entbloͤſſe dich ſelbſt nicht im Beyſeyn andrer, ohne
die aͤuſſerſte Noth. Meide nach Moͤglichkeit die
Annaͤherung an Oerter, wo das andre Geſchlecht,
und ſelbſt dein eignes, auf eine ungewoͤhnliche
Weiſe entbloͤßt erſcheint. Gemaͤhlde und Bild-
faͤulen entbloͤßter Perſonen haben wenigſtens die
halbe Wirkung, als die wirkliche Bloͤſſe. Meide
alſo ihre Betrachtung, ſo bald ſie in dir ein unru-
higes Verlangen erregt, welches du nicht erfuͤllen
darfſt. Schlafe, wenn du es kannſt, in einem
beſondern Bette, und nicht in einem Zimmer mit
dem andern Geſchlechte. Die Theile deines Leibes,
welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar
zeigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/96>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.