Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768].

Bild:
<< vorherige Seite
Die Sittenlehre

Das allgemeine Verlangen nach Lust und Ver-
gnügen, und der allgemeine Abscheu vor Schmerz
und Verdruß, heißt Selbstliebe. Sie ist die
Triebfeder aller unsrer Handlungen.

Die Gewohnheit, aus Selbstliebe, vermittelst
der Unwissenheit oder des Jrrthums, uns selbst
zu schaden, oder vergebliche Mühe zu machen,
heißt Thorheit. Durch Laster und Sünden
suchen wir unser Verlangen oder unsre Selbstliebe
zu erfüllen, und schaden uns dennoch selbst. Also
gehören sie auch zu den Thorheiten.

Der Trieb einer lasterhaften und thörichten
Selbstliebe, heißt Eigenliebe, welche also gleich-
falls eine Thorheit ist, und um unsers eignen Be-
stens willen abgelegt oder bestritten werden muß.

Der Trieb zur liebreichen Tugend oder
zum gemeinnützigen Wandel ist nicht nur gewisser-
massen natürlich, sondern auch für denjenigen,
der die Folgen der Tugend kennt, der wichtigste
Theil der Selbstliebe.

§. 22.

Ein Verlangen und ein Abscheu, eine Hoff-
nung und eine Furcht, eine Freude und eine Trau-
rigkeit, welche so heftig sind, daß sie uns das
gewöhnliche Vermögen zur Ueberlegung der Hand-
lungen und zur Beurtheilung der Umstände rau-
ben, heissen Affecte.

Ver-
Die Sittenlehre

Das allgemeine Verlangen nach Luſt und Ver-
gnuͤgen, und der allgemeine Abſcheu vor Schmerz
und Verdruß, heißt Selbſtliebe. Sie iſt die
Triebfeder aller unſrer Handlungen.

Die Gewohnheit, aus Selbſtliebe, vermittelſt
der Unwiſſenheit oder des Jrrthums, uns ſelbſt
zu ſchaden, oder vergebliche Muͤhe zu machen,
heißt Thorheit. Durch Laſter und Suͤnden
ſuchen wir unſer Verlangen oder unſre Selbſtliebe
zu erfuͤllen, und ſchaden uns dennoch ſelbſt. Alſo
gehoͤren ſie auch zu den Thorheiten.

Der Trieb einer laſterhaften und thoͤrichten
Selbſtliebe, heißt Eigenliebe, welche alſo gleich-
falls eine Thorheit iſt, und um unſers eignen Be-
ſtens willen abgelegt oder beſtritten werden muß.

Der Trieb zur liebreichen Tugend oder
zum gemeinnuͤtzigen Wandel iſt nicht nur gewiſſer-
maſſen natuͤrlich, ſondern auch fuͤr denjenigen,
der die Folgen der Tugend kennt, der wichtigſte
Theil der Selbſtliebe.

§. 22.

Ein Verlangen und ein Abſcheu, eine Hoff-
nung und eine Furcht, eine Freude und eine Trau-
rigkeit, welche ſo heftig ſind, daß ſie uns das
gewoͤhnliche Vermoͤgen zur Ueberlegung der Hand-
lungen und zur Beurtheilung der Umſtaͤnde rau-
ben, heiſſen Affecte.

Ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0056" n="32"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Sittenlehre</hi> </fw><lb/>
          <p>Das allgemeine Verlangen nach Lu&#x017F;t und Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen, und der allgemeine Ab&#x017F;cheu vor Schmerz<lb/>
und Verdruß, heißt <hi rendition="#fr">Selb&#x017F;tliebe.</hi> Sie i&#x017F;t die<lb/>
Triebfeder aller un&#x017F;rer Handlungen.</p><lb/>
          <p>Die Gewohnheit, aus Selb&#x017F;tliebe, vermittel&#x017F;t<lb/>
der Unwi&#x017F;&#x017F;enheit oder des Jrrthums, uns &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu &#x017F;chaden, oder vergebliche Mu&#x0364;he zu machen,<lb/>
heißt <hi rendition="#fr">Thorheit.</hi> Durch La&#x017F;ter und Su&#x0364;nden<lb/>
&#x017F;uchen wir un&#x017F;er Verlangen oder un&#x017F;re Selb&#x017F;tliebe<lb/>
zu erfu&#x0364;llen, und &#x017F;chaden uns dennoch &#x017F;elb&#x017F;t. Al&#x017F;o<lb/>
geho&#x0364;ren &#x017F;ie auch zu den Thorheiten.</p><lb/>
          <p>Der Trieb einer la&#x017F;terhaften und tho&#x0364;richten<lb/>
Selb&#x017F;tliebe, heißt <hi rendition="#fr">Eigenliebe,</hi> welche al&#x017F;o gleich-<lb/>
falls eine Thorheit i&#x017F;t, und um un&#x017F;ers eignen Be-<lb/>
&#x017F;tens willen abgelegt oder be&#x017F;tritten werden muß.</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#fr">Trieb zur liebreichen Tugend</hi> oder<lb/>
zum gemeinnu&#x0364;tzigen Wandel i&#x017F;t nicht nur gewi&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;en natu&#x0364;rlich, &#x017F;ondern auch fu&#x0364;r denjenigen,<lb/>
der die Folgen der Tugend kennt, der wichtig&#x017F;te<lb/>
Theil der Selb&#x017F;tliebe.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 22.</head><lb/>
          <p>Ein Verlangen und ein Ab&#x017F;cheu, eine Hoff-<lb/>
nung und eine Furcht, eine Freude und eine Trau-<lb/>
rigkeit, welche &#x017F;o heftig &#x017F;ind, daß &#x017F;ie uns das<lb/>
gewo&#x0364;hnliche Vermo&#x0364;gen zur Ueberlegung der Hand-<lb/>
lungen und zur Beurtheilung der Um&#x017F;ta&#x0364;nde rau-<lb/>
ben, hei&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#fr">Affecte.</hi></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Ver-</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0056] Die Sittenlehre Das allgemeine Verlangen nach Luſt und Ver- gnuͤgen, und der allgemeine Abſcheu vor Schmerz und Verdruß, heißt Selbſtliebe. Sie iſt die Triebfeder aller unſrer Handlungen. Die Gewohnheit, aus Selbſtliebe, vermittelſt der Unwiſſenheit oder des Jrrthums, uns ſelbſt zu ſchaden, oder vergebliche Muͤhe zu machen, heißt Thorheit. Durch Laſter und Suͤnden ſuchen wir unſer Verlangen oder unſre Selbſtliebe zu erfuͤllen, und ſchaden uns dennoch ſelbſt. Alſo gehoͤren ſie auch zu den Thorheiten. Der Trieb einer laſterhaften und thoͤrichten Selbſtliebe, heißt Eigenliebe, welche alſo gleich- falls eine Thorheit iſt, und um unſers eignen Be- ſtens willen abgelegt oder beſtritten werden muß. Der Trieb zur liebreichen Tugend oder zum gemeinnuͤtzigen Wandel iſt nicht nur gewiſſer- maſſen natuͤrlich, ſondern auch fuͤr denjenigen, der die Folgen der Tugend kennt, der wichtigſte Theil der Selbſtliebe. §. 22. Ein Verlangen und ein Abſcheu, eine Hoff- nung und eine Furcht, eine Freude und eine Trau- rigkeit, welche ſo heftig ſind, daß ſie uns das gewoͤhnliche Vermoͤgen zur Ueberlegung der Hand- lungen und zur Beurtheilung der Umſtaͤnde rau- ben, heiſſen Affecte. Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/56
Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/56>, abgerufen am 22.12.2024.