Es ist dir oben gezeigt, mein Sohn, daß das Leben der Seele nach dem Tode nicht für unmög- lich zu halten sey, und daß eine nachdenkende Seele, unter der Bedingung (daß sie kein über- wiegendes Elend fürchtet) ein unvergängliches Leben wünsche. Wir wollen ferner untersuchen, ob kein ewiges Leben der menschlichen Seele glaubwürdig sey.
Erstlich, da die kleinsten Körperchen, unge- achtet aller Abänderungen, die sie leiden, dennoch nicht aufhören zu seyn; so ist es nicht glaublich, daß die andre Art der vor sich bestehenden Haupt- dinge (oder der Einheiten in der Natur) nehmlich die Geister oder Seelen, vernichtet werden. Kein Stäubchen vergeht, wie sollte ich denn denken, daß meine Seele daß ich selbst vergehe!
Zweytens, nur der Geister, nur der Seelen willen schuf Gott die Welt, und wird sie in Ewig- keit erhalten. Jn aller Ewigkeit wird die Welt niemals ohne lebendige Bewohner seyn können. Aus der Güte und Macht Gottes ist zu vermuthen, daß die Zahl derselben sich nicht vermindre, sondern vermehre. Die stärkste Art der Vermehrung aber ist, wenn auch diejenigen Seelen, die einmal da sind, im Leben bleiben.
Drittens
Eignes Nachdenken
§. 13.
Es iſt dir oben gezeigt, mein Sohn, daß das Leben der Seele nach dem Tode nicht fuͤr unmoͤg- lich zu halten ſey, und daß eine nachdenkende Seele, unter der Bedingung (daß ſie kein uͤber- wiegendes Elend fuͤrchtet) ein unvergaͤngliches Leben wuͤnſche. Wir wollen ferner unterſuchen, ob kein ewiges Leben der menſchlichen Seele glaubwürdig ſey.
Erſtlich, da die kleinſten Koͤrperchen, unge- achtet aller Abaͤnderungen, die ſie leiden, dennoch nicht aufhoͤren zu ſeyn; ſo iſt es nicht glaublich, daß die andre Art der vor ſich beſtehenden Haupt- dinge (oder der Einheiten in der Natur) nehmlich die Geiſter oder Seelen, vernichtet werden. Kein Staͤubchen vergeht, wie ſollte ich denn denken, daß meine Seele daß ich ſelbſt vergehe!
Zweytens, nur der Geiſter, nur der Seelen willen ſchuf Gott die Welt, und wird ſie in Ewig- keit erhalten. Jn aller Ewigkeit wird die Welt niemals ohne lebendige Bewohner ſeyn koͤnnen. Aus der Guͤte und Macht Gottes iſt zu vermuthen, daß die Zahl derſelben ſich nicht vermindre, ſondern vermehre. Die ſtaͤrkſte Art der Vermehrung aber iſt, wenn auch diejenigen Seelen, die einmal da ſind, im Leben bleiben.
Drittens
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Eignes Nachdenken
§. 13.
Es iſt dir oben gezeigt, mein Sohn, daß das
Leben der Seele nach dem Tode nicht fuͤr unmoͤg-
lich zu halten ſey, und daß eine nachdenkende
Seele, unter der Bedingung (daß ſie kein uͤber-
wiegendes Elend fuͤrchtet) ein unvergaͤngliches
Leben wuͤnſche. Wir wollen ferner unterſuchen,
ob kein ewiges Leben der menſchlichen Seele
glaubwürdig ſey.
Erſtlich, da die kleinſten Koͤrperchen, unge-
achtet aller Abaͤnderungen, die ſie leiden, dennoch
nicht aufhoͤren zu ſeyn; ſo iſt es nicht glaublich,
daß die andre Art der vor ſich beſtehenden Haupt-
dinge (oder der Einheiten in der Natur) nehmlich
die Geiſter oder Seelen, vernichtet werden. Kein
Staͤubchen vergeht, wie ſollte ich denn denken, daß
meine Seele daß ich ſelbſt vergehe!
Zweytens, nur der Geiſter, nur der Seelen
willen ſchuf Gott die Welt, und wird ſie in Ewig-
keit erhalten. Jn aller Ewigkeit wird die Welt
niemals ohne lebendige Bewohner ſeyn koͤnnen.
Aus der Guͤte und Macht Gottes iſt zu vermuthen,
daß die Zahl derſelben ſich nicht vermindre, ſondern
vermehre. Die ſtaͤrkſte Art der Vermehrung aber
iſt, wenn auch diejenigen Seelen, die einmal da
ſind, im Leben bleiben.
Drittens
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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/40>, abgerufen am 23.02.2025.
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