Ein Geist, dem die wahre Gottheit zukömmt, heißt in dem erhabensten Verstande ein Gott. Es war also von Ewigkeit zum wenigsten ein wahrer Gott.
Wir haben in dem Anschaun der Welt keinen Anlaß, mehr wahre Götter zu glauben. Der Glaube an einen einzigen ist unserm Verstande leichter weil es uns schon schwer ist, einen Gott, weit schwerer aber Unterschiede mehrerer wahren Götter, zu denken, welche wir doch alle erdichten müßten. Der Glaube, daß nur ein einziger wahrer Gott sey, ist auch den Wünschen einer nachdenken- den Seele am gemässesten. Denn alsdann kann die Seele ihm alles Gute zuschreiben, was sie genossen hat, genießt und hoffen kann; sie kann sich alsdann auch die ewige Güte, Weisheit und Macht mit mindern neuen Fragen und unauflös- lichen Geheimnissen vorstellen. Es ist also dem Verstande und der Neigung einer nachdenken- den Seele gleich anfangs leicht, der Mey- nung, daß nur ein einziger wahrer Gott sey, den Vorzug zu geben. Die Meynung von mehrern Göttern beunruhiget unsere Seele, wird sie immer beunruhigen, und wird doch nie- mals aus dem Anschaun der Welt weder Beweis, noch Wahrscheinlichkeit haben. Also sind wir un- sers Besten willen verbunden, den Gedanken, daß
nur
Eignes Nachdenken
Ein Geiſt, dem die wahre Gottheit zukoͤmmt, heißt in dem erhabenſten Verſtande ein Gott. Es war alſo von Ewigkeit zum wenigſten ein wahrer Gott.
Wir haben in dem Anſchaun der Welt keinen Anlaß, mehr wahre Goͤtter zu glauben. Der Glaube an einen einzigen iſt unſerm Verſtande leichter weil es uns ſchon ſchwer iſt, einen Gott, weit ſchwerer aber Unterſchiede mehrerer wahren Goͤtter, zu denken, welche wir doch alle erdichten muͤßten. Der Glaube, daß nur ein einziger wahrer Gott ſey, iſt auch den Wuͤnſchen einer nachdenken- den Seele am gemaͤſſeſten. Denn alsdann kann die Seele ihm alles Gute zuſchreiben, was ſie genoſſen hat, genießt und hoffen kann; ſie kann ſich alsdann auch die ewige Guͤte, Weisheit und Macht mit mindern neuen Fragen und unaufloͤs- lichen Geheimniſſen vorſtellen. Es iſt alſo dem Verſtande und der Neigung einer nachdenken- den Seele gleich anfangs leicht, der Mey- nung, daß nur ein einziger wahrer Gott ſey, den Vorzug zu geben. Die Meynung von mehrern Goͤttern beunruhiget unſere Seele, wird ſie immer beunruhigen, und wird doch nie- mals aus dem Anſchaun der Welt weder Beweis, noch Wahrſcheinlichkeit haben. Alſo ſind wir un- ſers Beſten willen verbunden, den Gedanken, daß
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Eignes Nachdenken
Ein Geiſt, dem die wahre Gottheit zukoͤmmt,
heißt in dem erhabenſten Verſtande ein Gott.
Es war alſo von Ewigkeit zum wenigſten ein
wahrer Gott.
Wir haben in dem Anſchaun der Welt keinen
Anlaß, mehr wahre Goͤtter zu glauben. Der
Glaube an einen einzigen iſt unſerm Verſtande
leichter weil es uns ſchon ſchwer iſt, einen Gott,
weit ſchwerer aber Unterſchiede mehrerer wahren
Goͤtter, zu denken, welche wir doch alle erdichten
muͤßten. Der Glaube, daß nur ein einziger wahrer
Gott ſey, iſt auch den Wuͤnſchen einer nachdenken-
den Seele am gemaͤſſeſten. Denn alsdann kann
die Seele ihm alles Gute zuſchreiben, was ſie
genoſſen hat, genießt und hoffen kann; ſie kann
ſich alsdann auch die ewige Guͤte, Weisheit und
Macht mit mindern neuen Fragen und unaufloͤs-
lichen Geheimniſſen vorſtellen. Es iſt alſo dem
Verſtande und der Neigung einer nachdenken-
den Seele gleich anfangs leicht, der Mey-
nung, daß nur ein einziger wahrer Gott
ſey, den Vorzug zu geben. Die Meynung
von mehrern Goͤttern beunruhiget unſere Seele,
wird ſie immer beunruhigen, und wird doch nie-
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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/34>, abgerufen am 22.07.2024.
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