Das Vermögen des Verstandes und Willens heißt auch geistig Leben. Die Seele lebt geistig, so lange sie ist: sie ist, so lange sie geistig lebt. Jm geistigen Leben besteht das Wesen der Seele. Sie würde aufhören zu seyn, wenn das geistige Leben aufhörte; sie hat angefangen zu seyn, als das geistige Leben anfing.
Der besondre Körper, welcher einer Seele die Wahrnehmung sinnlicher Eindrücke verschafft, und sich in manchen Bewegungen nach ihrem Willen richtet, heißt von derselben beseelt oder belebt. Die Seele beseelt oder belebt den Körper; der Körper wird von der Seele beseelt und belebt. Also erkennen wir den Unterschied unsrer Seele und unsers Körpers. Zum ganzen Menschen aber gehört eine menschliche Seele und ein von ihr belebter Körper.
Das Leben der Seele, und das Leben des Menschen sind Redensarten, welche nicht gleiche Bedeutungen haben. Das Leben der Seele ist ihr eigenthümlich und geistig, und wir können ncht überzeugt seyn, daß es eines Körpers bedarf. Das Leben des Menschen aber ist der Zustand einer menschlichen Seele und eines menschlichen Körpers, in welchem dieser von jener belebt wird.
So
Eignes Nachdenken
§. 4.
Das Vermoͤgen des Verſtandes und Willens heißt auch geiſtig Leben. Die Seele lebt geiſtig, ſo lange ſie iſt: ſie iſt, ſo lange ſie geiſtig lebt. Jm geiſtigen Leben beſteht das Weſen der Seele. Sie wuͤrde aufhoͤren zu ſeyn, wenn das geiſtige Leben aufhoͤrte; ſie hat angefangen zu ſeyn, als das geiſtige Leben anfing.
Der beſondre Koͤrper, welcher einer Seele die Wahrnehmung ſinnlicher Eindruͤcke verſchafft, und ſich in manchen Bewegungen nach ihrem Willen richtet, heißt von derſelben beſeelt oder belebt. Die Seele beſeelt oder belebt den Koͤrper; der Koͤrper wird von der Seele beſeelt und belebt. Alſo erkennen wir den Unterſchied unſrer Seele und unſers Körpers. Zum ganzen Menſchen aber gehoͤrt eine menſchliche Seele und ein von ihr belebter Koͤrper.
Das Leben der Seele, und das Leben des Menſchen ſind Redensarten, welche nicht gleiche Bedeutungen haben. Das Leben der Seele iſt ihr eigenthuͤmlich und geiſtig, und wir koͤnnen ncht uͤberzeugt ſeyn, daß es eines Koͤrpers bedarf. Das Leben des Menſchen aber iſt der Zuſtand einer menſchlichen Seele und eines menſchlichen Koͤrpers, in welchem dieſer von jener belebt wird.
So
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0028"n="4"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Eignes Nachdenken</hi></fw><lb/><divn="2"><head>§. 4.</head><lb/><p>Das Vermoͤgen des Verſtandes und Willens<lb/>
heißt auch <hirendition="#fr">geiſtig Leben.</hi> Die Seele lebt<lb/>
geiſtig, ſo lange ſie iſt: ſie iſt, ſo lange ſie geiſtig<lb/>
lebt. Jm <hirendition="#fr">geiſtigen Leben beſteht das Weſen<lb/>
der Seele.</hi> Sie wuͤrde aufhoͤren zu ſeyn, wenn<lb/>
das geiſtige Leben aufhoͤrte; ſie hat angefangen<lb/>
zu ſeyn, als das geiſtige Leben anfing.</p><lb/><p>Der beſondre Koͤrper, welcher einer Seele die<lb/>
Wahrnehmung ſinnlicher Eindruͤcke verſchafft, und<lb/>ſich in manchen Bewegungen nach ihrem Willen<lb/>
richtet, heißt von derſelben <hirendition="#fr">beſeelt</hi> oder <hirendition="#fr">belebt.</hi><lb/>
Die Seele beſeelt oder belebt den Koͤrper; der<lb/>
Koͤrper wird von der Seele beſeelt und belebt.<lb/>
Alſo <hirendition="#fr">erkennen wir den Unterſchied unſrer<lb/>
Seele und unſers Körpers.</hi> Zum ganzen<lb/><hirendition="#fr">Menſchen</hi> aber gehoͤrt eine menſchliche Seele<lb/>
und ein von ihr belebter Koͤrper.</p><lb/><p>Das Leben der Seele, und das Leben des<lb/><hirendition="#fr">Menſchen</hi>ſind Redensarten, welche nicht gleiche<lb/>
Bedeutungen haben. <hirendition="#fr">Das Leben der Seele</hi><lb/>
iſt ihr eigenthuͤmlich und geiſtig, und wir koͤnnen<lb/>
ncht uͤberzeugt ſeyn, daß es eines Koͤrpers bedarf.<lb/><hirendition="#fr">Das Leben des Menſchen</hi> aber iſt der Zuſtand<lb/>
einer menſchlichen Seele und eines menſchlichen<lb/>
Koͤrpers, in welchem dieſer von jener belebt wird.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">So</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[4/0028]
Eignes Nachdenken
§. 4.
Das Vermoͤgen des Verſtandes und Willens
heißt auch geiſtig Leben. Die Seele lebt
geiſtig, ſo lange ſie iſt: ſie iſt, ſo lange ſie geiſtig
lebt. Jm geiſtigen Leben beſteht das Weſen
der Seele. Sie wuͤrde aufhoͤren zu ſeyn, wenn
das geiſtige Leben aufhoͤrte; ſie hat angefangen
zu ſeyn, als das geiſtige Leben anfing.
Der beſondre Koͤrper, welcher einer Seele die
Wahrnehmung ſinnlicher Eindruͤcke verſchafft, und
ſich in manchen Bewegungen nach ihrem Willen
richtet, heißt von derſelben beſeelt oder belebt.
Die Seele beſeelt oder belebt den Koͤrper; der
Koͤrper wird von der Seele beſeelt und belebt.
Alſo erkennen wir den Unterſchied unſrer
Seele und unſers Körpers. Zum ganzen
Menſchen aber gehoͤrt eine menſchliche Seele
und ein von ihr belebter Koͤrper.
Das Leben der Seele, und das Leben des
Menſchen ſind Redensarten, welche nicht gleiche
Bedeutungen haben. Das Leben der Seele
iſt ihr eigenthuͤmlich und geiſtig, und wir koͤnnen
ncht uͤberzeugt ſeyn, daß es eines Koͤrpers bedarf.
Das Leben des Menſchen aber iſt der Zuſtand
einer menſchlichen Seele und eines menſchlichen
Koͤrpers, in welchem dieſer von jener belebt wird.
So
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/28>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.