Glauben heißt in der gemeinsten Bedeutung etwas für wahr halten. Wird es aber dem Wissen entgegen gesetzt; so unterscheidet man beydes auf zweyerley Art. Erstlich, daß der Glaube den Beyfall bedeutet, welchen man den Zeugnissen und fremden Belehrungen giebt, und daß das Wissen nur Statt findet in dem Beyfalle, womit wir unsre eigne Erfahrungen, unsre eigne Empfindungen, die an sich unlaugbaren Grundsätze, und die richti- gen Folgen dieser Wahrheiten, annehmen. Oder zweytens der Unterschied des Glaubens und Wissens ist dieser, daß das erste mit einigem Zweifel verbunden seyn kann, das letztere aber nicht. Jn der letzten Bedeutung heißt das Glau- ben auch Meynen.
Eine Religion ist eine Sammlung von Lehr- sätzen, die das Gewissen betreffen, und von vielen als ein Ganzes für wahr gehalten werden.
Wer gar keinen Begriff von dem unsichtbaren Richter hat, oder das Daseyn desselben läugnet, der hat kein Gewissen, solglich keine Religion, und wird ein Atheist genannt. Von dieser Art sind einige wilde Nationen, und vielleicht selbst in unsern Gegenden viele ganz einfältige und unbe- lehrte Menschen, einige verirrte Grübler, welche wegen der Unbegreiflichkeit das Daseyn Gottes
läugnen,
beſonders in moraliſchen ꝛc.
§. 64.
Glauben heißt in der gemeinſten Bedeutung etwas fuͤr wahr halten. Wird es aber dem Wiſſen entgegen geſetzt; ſo unterſcheidet man beydes auf zweyerley Art. Erſtlich, daß der Glaube den Beyfall bedeutet, welchen man den Zeugniſſen und fremden Belehrungen giebt, und daß das Wiſſen nur Statt findet in dem Beyfalle, womit wir unſre eigne Erfahrungen, unſre eigne Empfindungen, die an ſich unlaugbaren Grundſaͤtze, und die richti- gen Folgen dieſer Wahrheiten, annehmen. Oder zweytens der Unterſchied des Glaubens und Wiſſens iſt dieſer, daß das erſte mit einigem Zweifel verbunden ſeyn kann, das letztere aber nicht. Jn der letzten Bedeutung heißt das Glau- ben auch Meynen.
Eine Religion iſt eine Sammlung von Lehr- ſaͤtzen, die das Gewiſſen betreffen, und von vielen als ein Ganzes fuͤr wahr gehalten werden.
Wer gar keinen Begriff von dem unſichtbaren Richter hat, oder das Daſeyn deſſelben laͤugnet, der hat kein Gewiſſen, ſolglich keine Religion, und wird ein Atheiſt genannt. Von dieſer Art ſind einige wilde Nationen, und vielleicht ſelbſt in unſern Gegenden viele ganz einfaͤltige und unbe- lehrte Menſchen, einige verirrte Gruͤbler, welche wegen der Unbegreiflichkeit das Daſeyn Gottes
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beſonders in moraliſchen ꝛc.
§. 64.
Glauben heißt in der gemeinſten Bedeutung
etwas fuͤr wahr halten. Wird es aber dem Wiſſen
entgegen geſetzt; ſo unterſcheidet man beydes auf
zweyerley Art. Erſtlich, daß der Glaube den
Beyfall bedeutet, welchen man den Zeugniſſen und
fremden Belehrungen giebt, und daß das Wiſſen
nur Statt findet in dem Beyfalle, womit wir unſre
eigne Erfahrungen, unſre eigne Empfindungen,
die an ſich unlaugbaren Grundſaͤtze, und die richti-
gen Folgen dieſer Wahrheiten, annehmen. Oder
zweytens der Unterſchied des Glaubens und
Wiſſens iſt dieſer, daß das erſte mit einigem
Zweifel verbunden ſeyn kann, das letztere aber
nicht. Jn der letzten Bedeutung heißt das Glau-
ben auch Meynen.
Eine Religion iſt eine Sammlung von Lehr-
ſaͤtzen, die das Gewiſſen betreffen, und von vielen
als ein Ganzes fuͤr wahr gehalten werden.
Wer gar keinen Begriff von dem unſichtbaren
Richter hat, oder das Daſeyn deſſelben laͤugnet,
der hat kein Gewiſſen, ſolglich keine Religion,
und wird ein Atheiſt genannt. Von dieſer Art
ſind einige wilde Nationen, und vielleicht ſelbſt in
unſern Gegenden viele ganz einfaͤltige und unbe-
lehrte Menſchen, einige verirrte Gruͤbler, welche
wegen der Unbegreiflichkeit das Daſeyn Gottes
laͤugnen,
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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/183>, abgerufen am 23.02.2025.
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