IV. Uebungen des Verstandes, besonders in moralischen Untersuchungen.
§. 52.
Du hast die vornehmsten Regeln des tugendhaf- ten und klugen Privatlebens gehört. Aber es ist noch nöthig, deinen Verstand zu üben, theils andre moralische Schriften zu verstehen, theils in besondern Fällen durch eignes Nachdenken die Regeln der Pflicht und Klugheit selbst zu erfinden.
Die ganz unversehenen Zufälle, durch welche die Beobachtung einer guten Regel zuweilen schädlich wird, müssen uns keine Reue verursachen, noch uns abhalten, nach denselben guten Regeln ferner zu handeln. Denn die meisten Regeln beruhen nur auf starke Wahrscheinlichkeiten, mit denen der unerforschbare Erfolg zuweilen nicht übereinstimmt.
Wenn sich aber vor der That ausserordentliche Umstände zeigen, durch welche die Beobachtung einer sonst gemeinnützigen Regel, nach unsrer Ein- sicht gewiß oder wahrscheinlicher Weise schädlich werden würde: so ist oft eine Ueberlegung nöthig, ob in einem solchen Nothfalle nicht eine Aus-
nahme
IV. Uebungen des Verſtandes, beſonders in moraliſchen Unterſuchungen.
§. 52.
Du haſt die vornehmſten Regeln des tugendhaf- ten und klugen Privatlebens gehoͤrt. Aber es iſt noch noͤthig, deinen Verſtand zu uͤben, theils andre moraliſche Schriften zu verſtehen, theils in beſondern Faͤllen durch eignes Nachdenken die Regeln der Pflicht und Klugheit ſelbſt zu erfinden.
Die ganz unverſehenen Zufälle, durch welche die Beobachtung einer guten Regel zuweilen ſchaͤdlich wird, muͤſſen uns keine Reue verurſachen, noch uns abhalten, nach denſelben guten Regeln ferner zu handeln. Denn die meiſten Regeln beruhen nur auf ſtarke Wahrſcheinlichkeiten, mit denen der unerforſchbare Erfolg zuweilen nicht uͤbereinſtimmt.
Wenn ſich aber vor der That auſſerordentliche Umſtaͤnde zeigen, durch welche die Beobachtung einer ſonſt gemeinnuͤtzigen Regel, nach unſrer Ein- ſicht gewiß oder wahrſcheinlicher Weiſe ſchaͤdlich werden wuͤrde: ſo iſt oft eine Ueberlegung noͤthig, ob in einem ſolchen Nothfalle nicht eine Aus-
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IV.
Uebungen des Verſtandes,
beſonders
in moraliſchen Unterſuchungen.
§. 52.
Du haſt die vornehmſten Regeln des tugendhaf-
ten und klugen Privatlebens gehoͤrt. Aber
es iſt noch noͤthig, deinen Verſtand zu uͤben,
theils andre moraliſche Schriften zu verſtehen,
theils in beſondern Faͤllen durch eignes Nachdenken
die Regeln der Pflicht und Klugheit ſelbſt zu
erfinden.
Die ganz unverſehenen Zufälle, durch
welche die Beobachtung einer guten Regel zuweilen
ſchaͤdlich wird, muͤſſen uns keine Reue verurſachen,
noch uns abhalten, nach denſelben guten Regeln
ferner zu handeln. Denn die meiſten Regeln
beruhen nur auf ſtarke Wahrſcheinlichkeiten, mit
denen der unerforſchbare Erfolg zuweilen nicht
uͤbereinſtimmt.
Wenn ſich aber vor der That auſſerordentliche
Umſtaͤnde zeigen, durch welche die Beobachtung
einer ſonſt gemeinnuͤtzigen Regel, nach unſrer Ein-
ſicht gewiß oder wahrſcheinlicher Weiſe ſchaͤdlich
werden wuͤrde: ſo iſt oft eine Ueberlegung noͤthig,
ob in einem ſolchen Nothfalle nicht eine Aus-
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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/148>, abgerufen am 23.02.2025.
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