zweymal sagen. Den Geringen aber biete die Gleichheit an, und den Gleichen den Vorrang.
Man soll keine Feindschaft verachten, son- dern das Ende einer jeden wünschen. Dieser Wunsch wenn er mit Klugheit wirkt, enthält die Pflichten der Versöhnlichkeit. Die Verachtung oder der Schein derselben reizt zu grösserer Beleidigung. Der einfältigste und schwächste Feind kann uns in gewissen Zeiten schaden.
Die meisten Menschen, besonders arme Ver- wandte und Bekannte, fodern zu grosse Dienstfer- tigkeit von Andern. Aber zuweilen ist es ein klei- neres Uebel, kühnere Prätensionen zu erfüllen, als die Zahl der Feinde und Verläumder zu vermehren.
Verhüte die Nothwendigkeit der Processe. Sie sind kostbar, quälend und ein Anlaß zu bey- derseitigen Sünden. Auch darum enthalte dich aller Schimpfwörter und aller schwer erweislichen Beschuldigung. Mache alle deine wichtigen Ab- reden mit Andern schriftlich. Und in Kleinigkei- ten gieb lieber nach, wenn du zu grössern Schaden deiner eignen Person und deines Gegners das Recht suchen würdest. Erbiete dich nicht, Zeuge zu seyn, in Sachen, worüber derjenige, der dich dazu verlangt, eigentlich gar nicht rechten sollte.
§. 45.
Die Sittenlehre
zweymal ſagen. Den Geringen aber biete die Gleichheit an, und den Gleichen den Vorrang.
Man ſoll keine Feindſchaft verachten, ſon- dern das Ende einer jeden wuͤnſchen. Dieſer Wunſch wenn er mit Klugheit wirkt, enthaͤlt die Pflichten der Verſoͤhnlichkeit. Die Verachtung oder der Schein derſelben reizt zu groͤſſerer Beleidigung. Der einfaͤltigſte und ſchwaͤchſte Feind kann uns in gewiſſen Zeiten ſchaden.
Die meiſten Menſchen, beſonders arme Ver- wandte und Bekannte, fodern zu groſſe Dienſtfer- tigkeit von Andern. Aber zuweilen iſt es ein klei- neres Uebel, kühnere Prätenſionen zu erfuͤllen, als die Zahl der Feinde und Verlaͤumder zu vermehren.
Verhuͤte die Nothwendigkeit der Proceſſe. Sie ſind koſtbar, quaͤlend und ein Anlaß zu bey- derſeitigen Suͤnden. Auch darum enthalte dich aller Schimpfwoͤrter und aller ſchwer erweislichen Beſchuldigung. Mache alle deine wichtigen Ab- reden mit Andern ſchriftlich. Und in Kleinigkei- ten gieb lieber nach, wenn du zu groͤſſern Schaden deiner eignen Perſon und deines Gegners das Recht ſuchen wuͤrdeſt. Erbiete dich nicht, Zeuge zu ſeyn, in Sachen, woruͤber derjenige, der dich dazu verlangt, eigentlich gar nicht rechten ſollte.
§. 45.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0122"n="98"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die Sittenlehre</hi></fw><lb/>
zweymal ſagen. Den Geringen aber biete die<lb/>
Gleichheit an, und den Gleichen den Vorrang.</p><lb/><p>Man ſoll keine <hirendition="#fr">Feindſchaft verachten,</hi>ſon-<lb/>
dern das Ende einer jeden wuͤnſchen. Dieſer Wunſch<lb/>
wenn er mit Klugheit wirkt, enthaͤlt die Pflichten<lb/>
der Verſoͤhnlichkeit. Die Verachtung oder der<lb/>
Schein derſelben reizt zu groͤſſerer <choice><sic>Beleidignng</sic><corr>Beleidigung</corr></choice>.<lb/>
Der einfaͤltigſte und ſchwaͤchſte Feind kann uns in<lb/>
gewiſſen Zeiten ſchaden.</p><lb/><p>Die meiſten Menſchen, beſonders arme Ver-<lb/>
wandte und Bekannte, fodern zu groſſe Dienſtfer-<lb/>
tigkeit von Andern. Aber zuweilen iſt es ein klei-<lb/>
neres Uebel, <hirendition="#fr">kühnere Prätenſionen</hi> zu erfuͤllen,<lb/>
als die Zahl der Feinde und Verlaͤumder zu<lb/>
vermehren.</p><lb/><p>Verhuͤte die <hirendition="#fr">Nothwendigkeit der Proceſſe.</hi><lb/>
Sie ſind koſtbar, quaͤlend und ein Anlaß zu bey-<lb/>
derſeitigen Suͤnden. Auch darum enthalte dich<lb/>
aller Schimpfwoͤrter und aller ſchwer erweislichen<lb/>
Beſchuldigung. Mache alle deine wichtigen Ab-<lb/>
reden mit Andern ſchriftlich. Und in Kleinigkei-<lb/>
ten gieb lieber nach, wenn du zu groͤſſern Schaden<lb/>
deiner eignen Perſon und deines Gegners das<lb/>
Recht ſuchen wuͤrdeſt. Erbiete dich nicht, Zeuge<lb/>
zu ſeyn, in Sachen, woruͤber derjenige, der dich dazu<lb/>
verlangt, eigentlich gar nicht rechten ſollte.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">§. 45.</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[98/0122]
Die Sittenlehre
zweymal ſagen. Den Geringen aber biete die
Gleichheit an, und den Gleichen den Vorrang.
Man ſoll keine Feindſchaft verachten, ſon-
dern das Ende einer jeden wuͤnſchen. Dieſer Wunſch
wenn er mit Klugheit wirkt, enthaͤlt die Pflichten
der Verſoͤhnlichkeit. Die Verachtung oder der
Schein derſelben reizt zu groͤſſerer Beleidigung.
Der einfaͤltigſte und ſchwaͤchſte Feind kann uns in
gewiſſen Zeiten ſchaden.
Die meiſten Menſchen, beſonders arme Ver-
wandte und Bekannte, fodern zu groſſe Dienſtfer-
tigkeit von Andern. Aber zuweilen iſt es ein klei-
neres Uebel, kühnere Prätenſionen zu erfuͤllen,
als die Zahl der Feinde und Verlaͤumder zu
vermehren.
Verhuͤte die Nothwendigkeit der Proceſſe.
Sie ſind koſtbar, quaͤlend und ein Anlaß zu bey-
derſeitigen Suͤnden. Auch darum enthalte dich
aller Schimpfwoͤrter und aller ſchwer erweislichen
Beſchuldigung. Mache alle deine wichtigen Ab-
reden mit Andern ſchriftlich. Und in Kleinigkei-
ten gieb lieber nach, wenn du zu groͤſſern Schaden
deiner eignen Perſon und deines Gegners das
Recht ſuchen wuͤrdeſt. Erbiete dich nicht, Zeuge
zu ſeyn, in Sachen, woruͤber derjenige, der dich dazu
verlangt, eigentlich gar nicht rechten ſollte.
§. 45.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/122>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.