fragt niemanden, und allezeit mit Zweifel und in gelinden Ausdrücken.
Die Gesellschaft, welche wir andern vor- ziehn, theilt uns einigermassen ihre Ehre und Schande mit. Mancher wird geliebt oder gehaßt, wegen seiner gewöhnlichen Gesellschaft. Sey also vorsichtig in dieser Wahl.
Dringe dich nicht auf, in gefährlichen und mißfälligen Dingen, und vielleicht vergeblich, ein Rathgeber zu seyn, oder rede so, daß der andre deinen Rath selbst erfindet, ohne ihn dir zuschreiben zu können.
§. 44.
Verbirg deine längst begangne Fehler, wenn niemand nachfragt, und wenn sowohl die Ersetzung des Schadens, als deine Besserung, ohne Geständ- niß geschehen kann.
Versäume kein gewöhnliches Zeichen der Achtung gegen solche, von denen du wünschest, daß sie deine Achtung glauben. Condolire und gratulire nach Gewohnheit, und mit so gewählten Redensarten, daß sie Wahrheit anzeigen können, ohne mißfällig zu seyn. Bleibe keinen nöthigen Brief schuldig. Opfre lieber zuweilen eine Stunde der Schlafzeit.
Rede niemals gern von deinen Strei- tigkeiten mit andern. Verdirb dadurch kein
gesell-
Die Sittenlehre
fragt niemanden, und allezeit mit Zweifel und in gelinden Ausdruͤcken.
Die Geſellſchaft, welche wir andern vor- ziehn, theilt uns einigermaſſen ihre Ehre und Schande mit. Mancher wird geliebt oder gehaßt, wegen ſeiner gewoͤhnlichen Geſellſchaft. Sey alſo vorſichtig in dieſer Wahl.
Dringe dich nicht auf, in gefaͤhrlichen und mißfaͤlligen Dingen, und vielleicht vergeblich, ein Rathgeber zu ſeyn, oder rede ſo, daß der andre deinen Rath ſelbſt erfindet, ohne ihn dir zuſchreiben zu koͤnnen.
§. 44.
Verbirg deine längſt begangne Fehler, wenn niemand nachfragt, und wenn ſowohl die Erſetzung des Schadens, als deine Beſſerung, ohne Geſtaͤnd- niß geſchehen kann.
Verſaͤume kein gewoͤhnliches Zeichen der Achtung gegen ſolche, von denen du wuͤnſcheſt, daß ſie deine Achtung glauben. Condolire und gratulire nach Gewohnheit, und mit ſo gewaͤhlten Redensarten, daß ſie Wahrheit anzeigen koͤnnen, ohne mißfaͤllig zu ſeyn. Bleibe keinen noͤthigen Brief ſchuldig. Opfre lieber zuweilen eine Stunde der Schlafzeit.
Rede niemals gern von deinen Strei- tigkeiten mit andern. Verdirb dadurch kein
geſell-
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Die Sittenlehre
fragt niemanden, und allezeit mit Zweifel und in
gelinden Ausdruͤcken.
Die Geſellſchaft, welche wir andern vor-
ziehn, theilt uns einigermaſſen ihre Ehre und
Schande mit. Mancher wird geliebt oder gehaßt,
wegen ſeiner gewoͤhnlichen Geſellſchaft. Sey alſo
vorſichtig in dieſer Wahl.
Dringe dich nicht auf, in gefaͤhrlichen und
mißfaͤlligen Dingen, und vielleicht vergeblich, ein
Rathgeber zu ſeyn, oder rede ſo, daß der andre
deinen Rath ſelbſt erfindet, ohne ihn dir zuſchreiben
zu koͤnnen.
§. 44.
Verbirg deine längſt begangne Fehler, wenn
niemand nachfragt, und wenn ſowohl die Erſetzung
des Schadens, als deine Beſſerung, ohne Geſtaͤnd-
niß geſchehen kann.
Verſaͤume kein gewoͤhnliches Zeichen der
Achtung gegen ſolche, von denen du wuͤnſcheſt,
daß ſie deine Achtung glauben. Condolire und
gratulire nach Gewohnheit, und mit ſo gewaͤhlten
Redensarten, daß ſie Wahrheit anzeigen koͤnnen,
ohne mißfaͤllig zu ſeyn. Bleibe keinen noͤthigen
Brief ſchuldig. Opfre lieber zuweilen eine Stunde
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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/120>, abgerufen am 29.12.2024.
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