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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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schuf Friedrich Wilhelm, der Grosse Kurfürst, den miles
perpetuus, das stehende Heer. Die Horde fand jetzt ein
Unterkommen. Pflicht aber wurde "verdammte Pflicht
und Schuldigkeit", aus billiger Anerkennung der kurfürst-
lichen Güte.

Der miles perpetuus ist ein tief verworfenes Geschöpf;
er kann seinem Herrgott danken, dass der Kurfürst ihn
nicht aufknüpft, sondern ihn zu lebenslänglichem "Dienst"
begnadigt. Der Kurfürst freilich ist kein gar gelinder Herr.
Aufs Strengste geht er gegen Insubordination, Raufen und
Balgen seiner Offiziere vor: Duellanten und Sekundanten
bestraft er mit dem Tode. Durch hinreichenden und "regel-
mässig ausgezahlten" Sold indessen fesselt er Mannschaft
und Offiziere an sich. Auch durch die Macht seiner
"christlichen" Persönlichkeit.

Der preussische Militarismus in seinen Grundlagen ist
eine Institution "praktischen Christentums". Das ist hinreichend
ersichtlich. Die von Gott eingesetzte Obrigkeit begnadigt
den Sünder. Es ist ein religiöser Militarismus. Bei einer
Exaltierung des Bussbegriffes liesse sich daraus ein preussischer
Militärkatholizismus abstrahieren. Soweit sind wir noch nicht
gekommen, weil es an produktiven Köpfen fehlt. Aber wenn
Herr Scheler sich einmal damit beschäftigen wollte, liesse
sich denken, dass man Katholizismus in diesem Punkte
sogar mit Preussentum vereinigen kann. Dann würde es
Freiwillige geben aus Dandysmus.

Die "verdammte" Pflicht und Schuldigkeit besagt, dass
es hier eine Hölle gab ohne Entrinnen. Das Exerzieren des
miles perpetuus und die Exerzitien der Jesuiten treffen sich
in punkto menschlicher Erbärmlichkeit, Nullität und Zer-
knirschung. Kaserne, Kloster und Zuchthaus wetteifern in
Pauperismus, schlechter Kost und Verachtung des mensch-
lichen Stolzes. Die militärischen "Generales Observations"
jenes Soldatennarren Friedrich Wilhelm I. und die "Geist-
lichen Bussübungen" des Ignatius Loyola berühren einander

schuf Friedrich Wilhelm, der Grosse Kurfürst, den miles
perpetuus, das stehende Heer. Die Horde fand jetzt ein
Unterkommen. Pflicht aber wurde „verdammte Pflicht
und Schuldigkeit“, aus billiger Anerkennung der kurfürst-
lichen Güte.

Der miles perpetuus ist ein tief verworfenes Geschöpf;
er kann seinem Herrgott danken, dass der Kurfürst ihn
nicht aufknüpft, sondern ihn zu lebenslänglichem „Dienst“
begnadigt. Der Kurfürst freilich ist kein gar gelinder Herr.
Aufs Strengste geht er gegen Insubordination, Raufen und
Balgen seiner Offiziere vor: Duellanten und Sekundanten
bestraft er mit dem Tode. Durch hinreichenden und „regel-
mässig ausgezahlten“ Sold indessen fesselt er Mannschaft
und Offiziere an sich. Auch durch die Macht seiner
„christlichen“ Persönlichkeit.

Der preussische Militarismus in seinen Grundlagen ist
eine Institution „praktischen Christentums“. Das ist hinreichend
ersichtlich. Die von Gott eingesetzte Obrigkeit begnadigt
den Sünder. Es ist ein religiöser Militarismus. Bei einer
Exaltierung des Bussbegriffes liesse sich daraus ein preussischer
Militärkatholizismus abstrahieren. Soweit sind wir noch nicht
gekommen, weil es an produktiven Köpfen fehlt. Aber wenn
Herr Scheler sich einmal damit beschäftigen wollte, liesse
sich denken, dass man Katholizismus in diesem Punkte
sogar mit Preussentum vereinigen kann. Dann würde es
Freiwillige geben aus Dandysmus.

Die „verdammte“ Pflicht und Schuldigkeit besagt, dass
es hier eine Hölle gab ohne Entrinnen. Das Exerzieren des
miles perpetuus und die Exerzitien der Jesuiten treffen sich
in punkto menschlicher Erbärmlichkeit, Nullität und Zer-
knirschung. Kaserne, Kloster und Zuchthaus wetteifern in
Pauperismus, schlechter Kost und Verachtung des mensch-
lichen Stolzes. Die militärischen „Generales Observations“
jenes Soldatennarren Friedrich Wilhelm I. und die „Geist-
lichen Bussübungen“ des Ignatius Loyola berühren einander

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[84/0092] schuf Friedrich Wilhelm, der Grosse Kurfürst, den miles perpetuus, das stehende Heer. Die Horde fand jetzt ein Unterkommen. Pflicht aber wurde „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“, aus billiger Anerkennung der kurfürst- lichen Güte. Der miles perpetuus ist ein tief verworfenes Geschöpf; er kann seinem Herrgott danken, dass der Kurfürst ihn nicht aufknüpft, sondern ihn zu lebenslänglichem „Dienst“ begnadigt. Der Kurfürst freilich ist kein gar gelinder Herr. Aufs Strengste geht er gegen Insubordination, Raufen und Balgen seiner Offiziere vor: Duellanten und Sekundanten bestraft er mit dem Tode. Durch hinreichenden und „regel- mässig ausgezahlten“ Sold indessen fesselt er Mannschaft und Offiziere an sich. Auch durch die Macht seiner „christlichen“ Persönlichkeit. Der preussische Militarismus in seinen Grundlagen ist eine Institution „praktischen Christentums“. Das ist hinreichend ersichtlich. Die von Gott eingesetzte Obrigkeit begnadigt den Sünder. Es ist ein religiöser Militarismus. Bei einer Exaltierung des Bussbegriffes liesse sich daraus ein preussischer Militärkatholizismus abstrahieren. Soweit sind wir noch nicht gekommen, weil es an produktiven Köpfen fehlt. Aber wenn Herr Scheler sich einmal damit beschäftigen wollte, liesse sich denken, dass man Katholizismus in diesem Punkte sogar mit Preussentum vereinigen kann. Dann würde es Freiwillige geben aus Dandysmus. Die „verdammte“ Pflicht und Schuldigkeit besagt, dass es hier eine Hölle gab ohne Entrinnen. Das Exerzieren des miles perpetuus und die Exerzitien der Jesuiten treffen sich in punkto menschlicher Erbärmlichkeit, Nullität und Zer- knirschung. Kaserne, Kloster und Zuchthaus wetteifern in Pauperismus, schlechter Kost und Verachtung des mensch- lichen Stolzes. Die militärischen „Generales Observations“ jenes Soldatennarren Friedrich Wilhelm I. und die „Geist- lichen Bussübungen“ des Ignatius Loyola berühren einander

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/92>, abgerufen am 28.11.2024.