Franzosen im Ganzen aber schrieb er: "Die Kehrseite der Münze ist die nicht genugsam durch überlegte Grundsätze gezügelte Lebhaftigkeit, und bei hellsehender Vernunft ein Leichtsinn, gewisse Formen, bloss weil sie alt oder auch nur übermässig gepriesen worden, wenn man sich gleich dabei wohl befunden hat, nicht lange bestehen zu lassen, und ein ansteckender Freiheitsgeist ..." 73).
Auch Fichte bemühte sich um die junge französische Republik; indem er den Sicherheitsstandpunkt geltend machte. "Der Hauptgrundsatz jeder Staatslehre, die sich selbst versteht, ist enthalten in folgenden Worten Mac- chiavells: Jedweder, der eine Republik (oder überhaupt einen Staat) errichtet und demselben Gesetze gibt, muss voraus- setzen, dass alle Menschen bösartig sind, und dass ohne alle Ausnahme sie alsbald ihre innere Bösartigkeit auslassen werden, sobald sie dazu eine sichere Gelegenheit finden" 74). (Die Professoren also auch?) Was die Freiheit betrifft, so findet sie Fichte am besten garantiert "im Gesetz" und "nur von den Deutschen, die seit Jahrtausenden für diesen grossen Zweck da sind und ihm langsam entgegenreifen; .. ein anderes Element für diese Entwicklung ist in der Menschheit nicht da" 75).
Wilhelm von Humboldt, gebürtig zu Potsdam, eilte auf die Kunde von der französischen Revolution nach Paris. In seiner Schrift "Ueber die Grenze der Wirksamkeit des Staates" verarbeitete er in preussischem Sinne den Rousseau- schen Satz, dass das demokratische Massenrecht den einzelnen Menschen auch "zwingen könne, frei zu sein" 76); indem er nämlich, wie Herr Moeller van den Bruck mitteilt, "die sittliche Freiheit" heranzog, die er als Kantianer mit- brachte, und von der Rousseau gesagt hatte, dass sie nicht zu den Aufgaben seiner Arbeit gehöre 77).
Die deutschen Bearbeitungen Rousseaus sind interessant. Sie lassen die philosophische Mystifikation auf der Tat ertappen. Rousseau setzte an den Anfang seines "Contrat
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Franzosen im Ganzen aber schrieb er: „Die Kehrseite der Münze ist die nicht genugsam durch überlegte Grundsätze gezügelte Lebhaftigkeit, und bei hellsehender Vernunft ein Leichtsinn, gewisse Formen, bloss weil sie alt oder auch nur übermässig gepriesen worden, wenn man sich gleich dabei wohl befunden hat, nicht lange bestehen zu lassen, und ein ansteckender Freiheitsgeist ...“ 73).
Auch Fichte bemühte sich um die junge französische Republik; indem er den Sicherheitsstandpunkt geltend machte. „Der Hauptgrundsatz jeder Staatslehre, die sich selbst versteht, ist enthalten in folgenden Worten Mac- chiavells: Jedweder, der eine Republik (oder überhaupt einen Staat) errichtet und demselben Gesetze gibt, muss voraus- setzen, dass alle Menschen bösartig sind, und dass ohne alle Ausnahme sie alsbald ihre innere Bösartigkeit auslassen werden, sobald sie dazu eine sichere Gelegenheit finden“ 74). (Die Professoren also auch?) Was die Freiheit betrifft, so findet sie Fichte am besten garantiert „im Gesetz“ und „nur von den Deutschen, die seit Jahrtausenden für diesen grossen Zweck da sind und ihm langsam entgegenreifen; .. ein anderes Element für diese Entwicklung ist in der Menschheit nicht da“ 75).
Wilhelm von Humboldt, gebürtig zu Potsdam, eilte auf die Kunde von der französischen Revolution nach Paris. In seiner Schrift „Ueber die Grenze der Wirksamkeit des Staates“ verarbeitete er in preussischem Sinne den Rousseau- schen Satz, dass das demokratische Massenrecht den einzelnen Menschen auch „zwingen könne, frei zu sein“ 76); indem er nämlich, wie Herr Moeller van den Bruck mitteilt, „die sittliche Freiheit“ heranzog, die er als Kantianer mit- brachte, und von der Rousseau gesagt hatte, dass sie nicht zu den Aufgaben seiner Arbeit gehöre 77).
Die deutschen Bearbeitungen Rousseaus sind interessant. Sie lassen die philosophische Mystifikation auf der Tat ertappen. Rousseau setzte an den Anfang seines „Contrat
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Franzosen im Ganzen aber schrieb er: „Die Kehrseite der
Münze ist die nicht genugsam durch überlegte Grundsätze
gezügelte Lebhaftigkeit, und bei hellsehender Vernunft ein
Leichtsinn, gewisse Formen, bloss weil sie alt oder auch nur
übermässig gepriesen worden, wenn man sich gleich dabei
wohl befunden hat, nicht lange bestehen zu lassen, und ein
ansteckender Freiheitsgeist ...“
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Auch Fichte bemühte sich um die junge französische
Republik; indem er den Sicherheitsstandpunkt geltend
machte. „Der Hauptgrundsatz jeder Staatslehre, die sich
selbst versteht, ist enthalten in folgenden Worten Mac-
chiavells: Jedweder, der eine Republik (oder überhaupt einen
Staat) errichtet und demselben Gesetze gibt, muss voraus-
setzen, dass alle Menschen bösartig sind, und dass ohne
alle Ausnahme sie alsbald ihre innere Bösartigkeit auslassen
werden, sobald sie dazu eine sichere Gelegenheit finden“
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(Die Professoren also auch?) Was die Freiheit betrifft, so
findet sie Fichte am besten garantiert „im Gesetz“ und
„nur von den Deutschen, die seit Jahrtausenden für diesen
grossen Zweck da sind und ihm langsam entgegenreifen; ..
ein anderes Element für diese Entwicklung ist in der
Menschheit nicht da“
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Wilhelm von Humboldt, gebürtig zu Potsdam, eilte
auf die Kunde von der französischen Revolution nach Paris.
In seiner Schrift „Ueber die Grenze der Wirksamkeit des
Staates“ verarbeitete er in preussischem Sinne den Rousseau-
schen Satz, dass das demokratische Massenrecht den einzelnen
Menschen auch „zwingen könne, frei zu sein“
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er nämlich, wie Herr Moeller van den Bruck mitteilt,
„die sittliche Freiheit“ heranzog, die er als Kantianer mit-
brachte, und von der Rousseau gesagt hatte, dass sie
nicht zu den Aufgaben seiner Arbeit gehöre
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Die deutschen Bearbeitungen Rousseaus sind interessant.
Sie lassen die philosophische Mystifikation auf der Tat
ertappen. Rousseau setzte an den Anfang seines „Contrat
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/89>, abgerufen am 03.07.2024.
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