Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

verhandlungen für das Zustandekommen des "Fürstenbunds"
(Programm: Sicherheit und Ehre der Kronen).

Auch Karl August von Weimar fand sich hineingezogen,
und da er den Ehrgeiz zeigte, in der grossen Politik eine
Rolle zu spielen, sah Goethe seine künstlerischen Hoffnungen
vereitelt. Im zimtbraunen Bratenrock, chapeau bas, Degen
an der Seite, komplimentierend wie der steifste Hofjunker,
erscheint Johann Wolfgang 1789 in Mainz. "An Begeisterung
für ein hohes Ideal glaube ich in Goethe nicht mehr",
schreibt Huber an Körner. Und als derselbe Goethe 1792
zur verbündeten Armee nach Frankreich geht -- er liess
gerade sein Wohnhaus herrschaftlich umbauen -- wird er
geschildert: "Proportioniert dick, breitschulterig. Gesicht voll,
mit ziemlich hängenden Backen" 68).

Kant schrieb eine Abhandlung über das "Radikal Böse"
(1792), offenbar gegen die Hebertisten, und veröffentlichte,
erst als die Revolution Europa bedrohte, 1796 seinen
Entwurf "Zum ewigen Frieden". 1790 hatte er den Krieg
noch eine "erhabene" Erscheinung genannt 69). Nach Kants
vorsichtiger Terminologie soll damit eine "über Menschen-
macht" erhabene Erscheinung gemeint sein, aber was will
man? Selbst ein so witziger Kopf wie Herr Scheler hat das
Wort missverstanden 70).

In seinem Friedensentwurf bezeichnete Kant als Vor-
aussetzung des "ewigen Friedens" die republikanische Ver-
fassung, und an anderer Stelle seiner Schriften sprach er
sogar, wie die "Frankfurter Zeitung" nach hundertdreissig
Jahren glückstrahlend entdeckt hat, vom parlamentarischen
System. Man könnte demnach nicht sagen, Kant sei den
Ereignissen taub gegenübergestanden, wenn Fichte nicht
darüber belehrte, was man zu damaliger Zeit in der Ge-
lehrtenrepublik unter Republik verstand 71). A priori -- das
ist's, apriori -- bestritt Kant die Möglichkeit einer Landung
Bonapartes in Ägypten; selbst dann noch, als die Zeitungen
sie längst schon als glücklich beendet meldeten 72). Von den

verhandlungen für das Zustandekommen des „Fürstenbunds“
(Programm: Sicherheit und Ehre der Kronen).

Auch Karl August von Weimar fand sich hineingezogen,
und da er den Ehrgeiz zeigte, in der grossen Politik eine
Rolle zu spielen, sah Goethe seine künstlerischen Hoffnungen
vereitelt. Im zimtbraunen Bratenrock, chapeau bas, Degen
an der Seite, komplimentierend wie der steifste Hofjunker,
erscheint Johann Wolfgang 1789 in Mainz. „An Begeisterung
für ein hohes Ideal glaube ich in Goethe nicht mehr“,
schreibt Huber an Körner. Und als derselbe Goethe 1792
zur verbündeten Armee nach Frankreich geht — er liess
gerade sein Wohnhaus herrschaftlich umbauen — wird er
geschildert: „Proportioniert dick, breitschulterig. Gesicht voll,
mit ziemlich hängenden Backen“ 68).

Kant schrieb eine Abhandlung über das „Radikal Böse“
(1792), offenbar gegen die Hébertisten, und veröffentlichte,
erst als die Revolution Europa bedrohte, 1796 seinen
Entwurf „Zum ewigen Frieden“. 1790 hatte er den Krieg
noch eine „erhabene“ Erscheinung genannt 69). Nach Kants
vorsichtiger Terminologie soll damit eine „über Menschen-
macht“ erhabene Erscheinung gemeint sein, aber was will
man? Selbst ein so witziger Kopf wie Herr Scheler hat das
Wort missverstanden 70).

In seinem Friedensentwurf bezeichnete Kant als Vor-
aussetzung des „ewigen Friedens“ die republikanische Ver-
fassung, und an anderer Stelle seiner Schriften sprach er
sogar, wie die „Frankfurter Zeitung“ nach hundertdreissig
Jahren glückstrahlend entdeckt hat, vom parlamentarischen
System. Man könnte demnach nicht sagen, Kant sei den
Ereignissen taub gegenübergestanden, wenn Fichte nicht
darüber belehrte, was man zu damaliger Zeit in der Ge-
lehrtenrepublik unter Republik verstand 71). A priori — das
ist's, apriori — bestritt Kant die Möglichkeit einer Landung
Bonapartes in Ägypten; selbst dann noch, als die Zeitungen
sie längst schon als glücklich beendet meldeten 72). Von den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="80"/>
verhandlungen für das Zustandekommen des &#x201E;Fürstenbunds&#x201C;<lb/>
(Programm: Sicherheit und Ehre der Kronen).</p><lb/>
          <p>Auch Karl August von Weimar fand sich hineingezogen,<lb/>
und da er den Ehrgeiz zeigte, in der grossen Politik eine<lb/>
Rolle zu spielen, sah Goethe seine künstlerischen Hoffnungen<lb/>
vereitelt. Im zimtbraunen Bratenrock, chapeau bas, Degen<lb/>
an der Seite, komplimentierend wie der steifste Hofjunker,<lb/>
erscheint Johann Wolfgang 1789 in Mainz. &#x201E;An Begeisterung<lb/>
für ein hohes Ideal glaube ich in Goethe nicht mehr&#x201C;,<lb/>
schreibt Huber an Körner. Und als derselbe Goethe 1792<lb/>
zur verbündeten Armee nach Frankreich geht &#x2014; er liess<lb/>
gerade sein Wohnhaus herrschaftlich umbauen &#x2014; wird er<lb/>
geschildert: &#x201E;Proportioniert dick, breitschulterig. Gesicht voll,<lb/>
mit ziemlich hängenden Backen&#x201C; <note xml:id="id68b" next="id68b68b" place="end" n="68)"/>.</p><lb/>
          <p>Kant schrieb eine Abhandlung über das &#x201E;Radikal Böse&#x201C;<lb/>
(1792), offenbar gegen die Hébertisten, und veröffentlichte,<lb/>
erst als die Revolution Europa bedrohte, 1796 seinen<lb/>
Entwurf &#x201E;Zum ewigen Frieden&#x201C;. 1790 hatte er den Krieg<lb/>
noch eine &#x201E;erhabene&#x201C; Erscheinung genannt <note xml:id="id69b" next="id69b69b" place="end" n="69)"/>. Nach Kants<lb/>
vorsichtiger Terminologie soll damit eine &#x201E;über Menschen-<lb/>
macht&#x201C; erhabene Erscheinung gemeint sein, aber was will<lb/>
man? Selbst ein so witziger Kopf wie Herr Scheler hat das<lb/>
Wort missverstanden <note xml:id="id70b" next="id70b70b" place="end" n="70)"/>.</p><lb/>
          <p>In seinem Friedensentwurf bezeichnete Kant als Vor-<lb/>
aussetzung des &#x201E;ewigen Friedens&#x201C; die republikanische Ver-<lb/>
fassung, und an anderer Stelle seiner Schriften sprach er<lb/>
sogar, wie die &#x201E;Frankfurter Zeitung&#x201C; nach hundertdreissig<lb/>
Jahren glückstrahlend entdeckt hat, vom parlamentarischen<lb/>
System. Man könnte demnach nicht sagen, Kant sei den<lb/>
Ereignissen taub gegenübergestanden, wenn Fichte nicht<lb/>
darüber belehrte, was man zu damaliger Zeit in der Ge-<lb/>
lehrtenrepublik unter Republik verstand <note xml:id="id71b" next="id71b71b" place="end" n="71)"/>. A priori &#x2014; das<lb/>
ist's, apriori &#x2014; bestritt Kant die Möglichkeit einer Landung<lb/>
Bonapartes in Ägypten; selbst dann noch, als die Zeitungen<lb/>
sie längst schon als glücklich beendet meldeten <note xml:id="id72b" next="id72b72b" place="end" n="72)"/>. Von den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0088] verhandlungen für das Zustandekommen des „Fürstenbunds“ (Programm: Sicherheit und Ehre der Kronen). Auch Karl August von Weimar fand sich hineingezogen, und da er den Ehrgeiz zeigte, in der grossen Politik eine Rolle zu spielen, sah Goethe seine künstlerischen Hoffnungen vereitelt. Im zimtbraunen Bratenrock, chapeau bas, Degen an der Seite, komplimentierend wie der steifste Hofjunker, erscheint Johann Wolfgang 1789 in Mainz. „An Begeisterung für ein hohes Ideal glaube ich in Goethe nicht mehr“, schreibt Huber an Körner. Und als derselbe Goethe 1792 zur verbündeten Armee nach Frankreich geht — er liess gerade sein Wohnhaus herrschaftlich umbauen — wird er geschildert: „Proportioniert dick, breitschulterig. Gesicht voll, mit ziemlich hängenden Backen“ ⁶⁸⁾ . Kant schrieb eine Abhandlung über das „Radikal Böse“ (1792), offenbar gegen die Hébertisten, und veröffentlichte, erst als die Revolution Europa bedrohte, 1796 seinen Entwurf „Zum ewigen Frieden“. 1790 hatte er den Krieg noch eine „erhabene“ Erscheinung genannt ⁶⁹⁾ . Nach Kants vorsichtiger Terminologie soll damit eine „über Menschen- macht“ erhabene Erscheinung gemeint sein, aber was will man? Selbst ein so witziger Kopf wie Herr Scheler hat das Wort missverstanden ⁷⁰⁾ . In seinem Friedensentwurf bezeichnete Kant als Vor- aussetzung des „ewigen Friedens“ die republikanische Ver- fassung, und an anderer Stelle seiner Schriften sprach er sogar, wie die „Frankfurter Zeitung“ nach hundertdreissig Jahren glückstrahlend entdeckt hat, vom parlamentarischen System. Man könnte demnach nicht sagen, Kant sei den Ereignissen taub gegenübergestanden, wenn Fichte nicht darüber belehrte, was man zu damaliger Zeit in der Ge- lehrtenrepublik unter Republik verstand ⁷¹⁾ . A priori — das ist's, apriori — bestritt Kant die Möglichkeit einer Landung Bonapartes in Ägypten; selbst dann noch, als die Zeitungen sie längst schon als glücklich beendet meldeten ⁷²⁾ . Von den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/88
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/88>, abgerufen am 28.11.2024.