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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Bewegung gesetzt haben", sagt Mignet 66). Nun, das Jahr-
hundert war das der Aufklärung und der Humanität, und
die Guillotine war die Probe aufs Exempel. Was würde in
Deutschland wohl übrig bleiben, wenn erst die Phrasen
verschwänden? Die Revolution war elementarer Ausbruch des
Widerwillens gegen Rechthaberei und Bevormundung, gegen
Doktrin und Scholastik 67). Ihr blasphemisches Schlachten
war eine Form von Sichausleben lange vor Nietzsche.

Doch schon auch Wendepunkt. Eine universale Tat war
geschehen; jetzt konnte von vorne begonnen werden. Frank-
reich hatte mit Ernst gesprochen. England, Italien, Russland
nahmen das Wort auf. Die Vernunft war vergöttert und ein-
gesetzt, dem Menschenherzen war Raum geschaffen. Es war
doch einmal. Nun konnte die Heiligung wieder beginnen.
Europa sah Freiheit, restlose Freiheit, das Letzte nach aussen
gekehrt, das Himmlische und das Verruchte. An alle Nationen
der Welt ging die Aufforderung, für die Demokratie zu
werben. Ein apostolisches Tuch reiner und unreiner Tiere:
so stürmte die Trikolore.

Was haben die Deutschen getan, diesen beträchtlichen
Dingen gerecht zu werden? Die Bibel- und Professoren-
kränzchen? Der Superintendant und der Geheimrat, der Pro-
fessor und der Assessor? Wollen sie immer noch etwas
besonderes sein, immer sich noch vor der Welt verschliessen?

Alle scheint das Ereignis überrascht zu haben. Die
Philosophen pflegten nach England zu reisen, die Künstler
nach Italien. Niemand nach Paris. Der einzige Humboldt
nahm teil an einigen Sitzungen der Nationalversammlung
a titre d'espion, muss man gestehen, denn er ging dann
in preussische Dienste und sass auch im Wiener Kongress.

Die Chefs der intellektuellen Partei kannten die grosse
Revolution nur von Hörensagen. Voltaire hatte die Geister
beschäftigt, Rousseau die Gemüter. Aber wenn Friedrich II.
die Enzyklopädisten zu sich berief, -- wer traf sonst noch
mit ihnen zusammen? 1785 begannen Preussens Geheim-

Bewegung gesetzt haben“, sagt Mignet 66). Nun, das Jahr-
hundert war das der Aufklärung und der Humanität, und
die Guillotine war die Probe aufs Exempel. Was würde in
Deutschland wohl übrig bleiben, wenn erst die Phrasen
verschwänden? Die Revolution war elementarer Ausbruch des
Widerwillens gegen Rechthaberei und Bevormundung, gegen
Doktrin und Scholastik 67). Ihr blasphemisches Schlachten
war eine Form von Sichausleben lange vor Nietzsche.

Doch schon auch Wendepunkt. Eine universale Tat war
geschehen; jetzt konnte von vorne begonnen werden. Frank-
reich hatte mit Ernst gesprochen. England, Italien, Russland
nahmen das Wort auf. Die Vernunft war vergöttert und ein-
gesetzt, dem Menschenherzen war Raum geschaffen. Es war
doch einmal. Nun konnte die Heiligung wieder beginnen.
Europa sah Freiheit, restlose Freiheit, das Letzte nach aussen
gekehrt, das Himmlische und das Verruchte. An alle Nationen
der Welt ging die Aufforderung, für die Demokratie zu
werben. Ein apostolisches Tuch reiner und unreiner Tiere:
so stürmte die Trikolore.

Was haben die Deutschen getan, diesen beträchtlichen
Dingen gerecht zu werden? Die Bibel- und Professoren-
kränzchen? Der Superintendant und der Geheimrat, der Pro-
fessor und der Assessor? Wollen sie immer noch etwas
besonderes sein, immer sich noch vor der Welt verschliessen?

Alle scheint das Ereignis überrascht zu haben. Die
Philosophen pflegten nach England zu reisen, die Künstler
nach Italien. Niemand nach Paris. Der einzige Humboldt
nahm teil an einigen Sitzungen der Nationalversammlung
à titre d'espion, muss man gestehen, denn er ging dann
in preussische Dienste und sass auch im Wiener Kongress.

Die Chefs der intellektuellen Partei kannten die grosse
Revolution nur von Hörensagen. Voltaire hatte die Geister
beschäftigt, Rousseau die Gemüter. Aber wenn Friedrich II.
die Enzyklopädisten zu sich berief, — wer traf sonst noch
mit ihnen zusammen? 1785 begannen Preussens Geheim-

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[79/0087] Bewegung gesetzt haben“, sagt Mignet ⁶⁶⁾ . Nun, das Jahr- hundert war das der Aufklärung und der Humanität, und die Guillotine war die Probe aufs Exempel. Was würde in Deutschland wohl übrig bleiben, wenn erst die Phrasen verschwänden? Die Revolution war elementarer Ausbruch des Widerwillens gegen Rechthaberei und Bevormundung, gegen Doktrin und Scholastik ⁶⁷⁾ . Ihr blasphemisches Schlachten war eine Form von Sichausleben lange vor Nietzsche. Doch schon auch Wendepunkt. Eine universale Tat war geschehen; jetzt konnte von vorne begonnen werden. Frank- reich hatte mit Ernst gesprochen. England, Italien, Russland nahmen das Wort auf. Die Vernunft war vergöttert und ein- gesetzt, dem Menschenherzen war Raum geschaffen. Es war doch einmal. Nun konnte die Heiligung wieder beginnen. Europa sah Freiheit, restlose Freiheit, das Letzte nach aussen gekehrt, das Himmlische und das Verruchte. An alle Nationen der Welt ging die Aufforderung, für die Demokratie zu werben. Ein apostolisches Tuch reiner und unreiner Tiere: so stürmte die Trikolore. Was haben die Deutschen getan, diesen beträchtlichen Dingen gerecht zu werden? Die Bibel- und Professoren- kränzchen? Der Superintendant und der Geheimrat, der Pro- fessor und der Assessor? Wollen sie immer noch etwas besonderes sein, immer sich noch vor der Welt verschliessen? Alle scheint das Ereignis überrascht zu haben. Die Philosophen pflegten nach England zu reisen, die Künstler nach Italien. Niemand nach Paris. Der einzige Humboldt nahm teil an einigen Sitzungen der Nationalversammlung à titre d'espion, muss man gestehen, denn er ging dann in preussische Dienste und sass auch im Wiener Kongress. Die Chefs der intellektuellen Partei kannten die grosse Revolution nur von Hörensagen. Voltaire hatte die Geister beschäftigt, Rousseau die Gemüter. Aber wenn Friedrich II. die Enzyklopädisten zu sich berief, — wer traf sonst noch mit ihnen zusammen? 1785 begannen Preussens Geheim-

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/87>, abgerufen am 28.11.2024.