Himmel und Hölle über den Blocksberg geritten sein, ehe er einsieht, dass es vernünftiger ist, Dämme zu bauen als sich in Liebe und Krieg, Metaphysik und Kommerz vollbärtig auszuleben. "Faust" aber ist eine Persiflage; die Persiflage auf den Universalitätsprofessor. Er hat viel studiert, er ist Doctor von vier Fakultäten. Er kennt alles aus Büchern, vom Hörensagen. Der Teufel flüstert ihm Cochonnerien ins Ohr. Er macht einem Mädel ein Kind, führt griechische Tragödien auf und kommt in den Himmel, (nicht ohne vorher den Teufel betrogen zu haben). Das alles mit Tiefsinn und Gottvertrauen.
Ist die deutsche Humanität am Ende identisch mit der "moralischen Weltordnung"? Und die moralische Welt- ordnung mit der lutheranischen Orthodoxie? Seltsam! Die Deutschen glauben an solche Weltordnung nur, wenn sie von ihnen kommt. Wenn Präsident Wilson sie vorschlägt, lehnen sie ab. Gibt es das aber, eine moralische Weltordnung, und ist nicht gerade Voraussetzung jeder heroischen Moral eine immoralische Weltordnung? "Es ist gar nicht zweifelhaft", sagt Fichte, "sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der Grund aller andern Gewissheit, das einzige absolut giltige Objektive, dass es eine moralische Weltordnung gibt" 57). Und Schelling erklärt uns, warum und wieso: "Die ganze Welt ist mein moralisches Eigentum" und: "Mannigfache Erfahrungen in der moralischen Welt lehren mich, dass ich in einem Reich moralischer Wesen bin" 58). Das ist ja vortrefflich. Was bleibt da zu wünschen übrig? Eine Welt moralischer Biedermänner, die nicht den geringsten Zweifel haben, dass ihre Konspiration mit dem Absolutismus eine moralische Weltordnung ergibt, und die nur eine Sorge quält: auf welche schickliche Weise man das "radikal Böse", das natürlich von den Andern, den rebellischen Untertanen kommt, in die moralische Weltordnung einordnen könne 59). Kann man sich einen trostloseren Hochmut denken, ein fahrlässigeres und inhumaneres Verzichtleisten auf jede Moral-
Himmel und Hölle über den Blocksberg geritten sein, ehe er einsieht, dass es vernünftiger ist, Dämme zu bauen als sich in Liebe und Krieg, Metaphysik und Kommerz vollbärtig auszuleben. „Faust“ aber ist eine Persiflage; die Persiflage auf den Universalitätsprofessor. Er hat viel studiert, er ist Doctor von vier Fakultäten. Er kennt alles aus Büchern, vom Hörensagen. Der Teufel flüstert ihm Cochonnerien ins Ohr. Er macht einem Mädel ein Kind, führt griechische Tragödien auf und kommt in den Himmel, (nicht ohne vorher den Teufel betrogen zu haben). Das alles mit Tiefsinn und Gottvertrauen.
Ist die deutsche Humanität am Ende identisch mit der „moralischen Weltordnung“? Und die moralische Welt- ordnung mit der lutheranischen Orthodoxie? Seltsam! Die Deutschen glauben an solche Weltordnung nur, wenn sie von ihnen kommt. Wenn Präsident Wilson sie vorschlägt, lehnen sie ab. Gibt es das aber, eine moralische Weltordnung, und ist nicht gerade Voraussetzung jeder heroischen Moral eine immoralische Weltordnung? „Es ist gar nicht zweifelhaft“, sagt Fichte, „sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der Grund aller andern Gewissheit, das einzige absolut giltige Objektive, dass es eine moralische Weltordnung gibt“ 57). Und Schelling erklärt uns, warum und wieso: „Die ganze Welt ist mein moralisches Eigentum“ und: „Mannigfache Erfahrungen in der moralischen Welt lehren mich, dass ich in einem Reich moralischer Wesen bin“ 58). Das ist ja vortrefflich. Was bleibt da zu wünschen übrig? Eine Welt moralischer Biedermänner, die nicht den geringsten Zweifel haben, dass ihre Konspiration mit dem Absolutismus eine moralische Weltordnung ergibt, und die nur eine Sorge quält: auf welche schickliche Weise man das „radikal Böse“, das natürlich von den Andern, den rebellischen Untertanen kommt, in die moralische Weltordnung einordnen könne 59). Kann man sich einen trostloseren Hochmut denken, ein fahrlässigeres und inhumaneres Verzichtleisten auf jede Moral-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0081"n="73"/><lb/>
Himmel und Hölle über den Blocksberg geritten sein, ehe<lb/>
er einsieht, dass es vernünftiger ist, Dämme zu bauen als<lb/>
sich in Liebe und Krieg, Metaphysik und Kommerz vollbärtig<lb/>
auszuleben. „Faust“ aber ist eine <hirendition="#i">Persiflage</hi>; die Persiflage<lb/>
auf den Universalitätsprofessor. Er hat viel studiert, er ist<lb/>
Doctor von vier Fakultäten. Er kennt alles aus Büchern,<lb/>
vom Hörensagen. Der Teufel flüstert ihm Cochonnerien<lb/>
ins Ohr. Er macht einem Mädel ein Kind, führt griechische<lb/>
Tragödien auf und kommt in den Himmel, (nicht ohne<lb/>
vorher den Teufel betrogen zu haben). Das alles mit Tiefsinn<lb/>
und Gottvertrauen.</p><lb/><p>Ist die deutsche Humanität am Ende identisch mit<lb/>
der „moralischen Weltordnung“? Und die moralische Welt-<lb/>
ordnung mit der lutheranischen Orthodoxie? Seltsam! Die<lb/>
Deutschen glauben an solche Weltordnung nur, wenn sie<lb/>
von ihnen kommt. Wenn Präsident Wilson sie vorschlägt,<lb/>
lehnen sie ab. Gibt es das aber, eine moralische Weltordnung,<lb/>
und ist nicht gerade Voraussetzung jeder heroischen Moral<lb/>
eine immoralische Weltordnung? „Es ist gar nicht zweifelhaft“,<lb/>
sagt Fichte, „sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der<lb/>
Grund aller andern Gewissheit, das einzige absolut giltige<lb/>
Objektive, dass es eine moralische Weltordnung gibt“<notexml:id="id57b"next="id57b57b"place="end"n="57)"/>.<lb/>
Und Schelling erklärt uns, warum und wieso: „Die ganze<lb/>
Welt ist mein moralisches Eigentum“ und: „Mannigfache<lb/>
Erfahrungen in der moralischen Welt lehren mich, dass<lb/>
ich in einem Reich moralischer Wesen bin“<notexml:id="id58b"next="id58b58b"place="end"n="58)"/>. Das ist<lb/>
ja vortrefflich. Was bleibt da zu wünschen übrig? Eine<lb/>
Welt moralischer Biedermänner, die nicht den geringsten<lb/>
Zweifel haben, dass ihre Konspiration mit dem Absolutismus<lb/>
eine moralische Weltordnung ergibt, und die nur eine Sorge<lb/>
quält: auf welche schickliche Weise man das „radikal Böse“,<lb/>
das natürlich von den Andern, den rebellischen Untertanen<lb/>
kommt, in die moralische Weltordnung einordnen könne <notexml:id="id59b"next="id59b59b"place="end"n="59)"/>.<lb/>
Kann man sich einen trostloseren Hochmut denken, ein<lb/>
fahrlässigeres und inhumaneres Verzichtleisten auf jede Moral-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[73/0081]
Himmel und Hölle über den Blocksberg geritten sein, ehe
er einsieht, dass es vernünftiger ist, Dämme zu bauen als
sich in Liebe und Krieg, Metaphysik und Kommerz vollbärtig
auszuleben. „Faust“ aber ist eine Persiflage; die Persiflage
auf den Universalitätsprofessor. Er hat viel studiert, er ist
Doctor von vier Fakultäten. Er kennt alles aus Büchern,
vom Hörensagen. Der Teufel flüstert ihm Cochonnerien
ins Ohr. Er macht einem Mädel ein Kind, führt griechische
Tragödien auf und kommt in den Himmel, (nicht ohne
vorher den Teufel betrogen zu haben). Das alles mit Tiefsinn
und Gottvertrauen.
Ist die deutsche Humanität am Ende identisch mit
der „moralischen Weltordnung“? Und die moralische Welt-
ordnung mit der lutheranischen Orthodoxie? Seltsam! Die
Deutschen glauben an solche Weltordnung nur, wenn sie
von ihnen kommt. Wenn Präsident Wilson sie vorschlägt,
lehnen sie ab. Gibt es das aber, eine moralische Weltordnung,
und ist nicht gerade Voraussetzung jeder heroischen Moral
eine immoralische Weltordnung? „Es ist gar nicht zweifelhaft“,
sagt Fichte, „sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der
Grund aller andern Gewissheit, das einzige absolut giltige
Objektive, dass es eine moralische Weltordnung gibt“
⁵⁷⁾
.
Und Schelling erklärt uns, warum und wieso: „Die ganze
Welt ist mein moralisches Eigentum“ und: „Mannigfache
Erfahrungen in der moralischen Welt lehren mich, dass
ich in einem Reich moralischer Wesen bin“
⁵⁸⁾
. Das ist
ja vortrefflich. Was bleibt da zu wünschen übrig? Eine
Welt moralischer Biedermänner, die nicht den geringsten
Zweifel haben, dass ihre Konspiration mit dem Absolutismus
eine moralische Weltordnung ergibt, und die nur eine Sorge
quält: auf welche schickliche Weise man das „radikal Böse“,
das natürlich von den Andern, den rebellischen Untertanen
kommt, in die moralische Weltordnung einordnen könne
⁵⁹⁾
.
Kann man sich einen trostloseren Hochmut denken, ein
fahrlässigeres und inhumaneres Verzichtleisten auf jede Moral-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/81>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.