sei etwas Zeitliches, seine Form etwas Vergängliches, Vorüber- gehendes; das Evangelium des Geistes sei das ewige Evangelium. Dann werde eine Gemeinschaft von Brüdern auf Erden sein, von Spiritualen, Söhnen des Geistes. Nach ihrem Geiste sei das lebendige Wasser jene Schrift, die nicht mit Tinte und Feder auf Papier geschrieben worden, sondern durch die Kraft des heiligen Geistes in das Buch des menschlichen Herzens. Wenn aber die Erhabenheit der himmlischen Dinge sich offenbare, werde alle irdische Hoheit zu schanden werden" 40). Einfluss auf Münzers Entwicklung hatte gewiss auch die Libertinagetradition der Dombauhütten. Und seinen Enthusiasmus nährten jene politischen Schwärmer von Zwickau, unter denen Niklas Storch eine besondere Stellung einnahm. Niklas Storch betrachtete die Errichtung des 1000jährigen Reiches als seine ihm vom Himmel gewordene Aufgabe. Er predigte von der nahen Verwüstung der Welt und von einem eintretenden Strafgericht, das alle Unfrommen, Gottlosen austilgen, die Welt mit Blut reinigen und nur die Guten übrig lassen werde 41). "Es schien fast", sagt Ranke, "als wollten sie selbst das Werk einer gewaltsamen Umkehr beginnen".
Münzer verwarf die Gottesgelehrsamkeit. "Was Bibel, Bubel, Babel", rief er aus, "man muss auf einen Winkel kriechen und mit Gott reden" 42). Er betonte die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott, der sich kundgebe in Erscheinungen, Träumen und Offenbarungen. Kirche und Staat sollten im Reiche der Freien und Heiligen ganz aufgehen und das wahre Priestertum, das des ganzen Menschengeschlechts, anheben.
Er entwirft die Methodik einer noch heute modernen geistigen Disziplin: Aufgabe alles Tuns sei, nach Verzicht auf alle Lüste und Vergnügungen, durch Einsamkeit und Zerknirschung, innige Betrachtung, sich Rechenschaft über den Grund seines Glaubens zu geben. Dem zerquälten und
sei etwas Zeitliches, seine Form etwas Vergängliches, Vorüber- gehendes; das Evangelium des Geistes sei das ewige Evangelium. Dann werde eine Gemeinschaft von Brüdern auf Erden sein, von Spiritualen, Söhnen des Geistes. Nach ihrem Geiste sei das lebendige Wasser jene Schrift, die nicht mit Tinte und Feder auf Papier geschrieben worden, sondern durch die Kraft des heiligen Geistes in das Buch des menschlichen Herzens. Wenn aber die Erhabenheit der himmlischen Dinge sich offenbare, werde alle irdische Hoheit zu schanden werden“ 40). Einfluss auf Münzers Entwicklung hatte gewiss auch die Libertinagetradition der Dombauhütten. Und seinen Enthusiasmus nährten jene politischen Schwärmer von Zwickau, unter denen Niklas Storch eine besondere Stellung einnahm. Niklas Storch betrachtete die Errichtung des 1000jährigen Reiches als seine ihm vom Himmel gewordene Aufgabe. Er predigte von der nahen Verwüstung der Welt und von einem eintretenden Strafgericht, das alle Unfrommen, Gottlosen austilgen, die Welt mit Blut reinigen und nur die Guten übrig lassen werde 41). „Es schien fast“, sagt Ranke, „als wollten sie selbst das Werk einer gewaltsamen Umkehr beginnen“.
Münzer verwarf die Gottesgelehrsamkeit. „Was Bibel, Bubel, Babel“, rief er aus, „man muss auf einen Winkel kriechen und mit Gott reden“ 42). Er betonte die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott, der sich kundgebe in Erscheinungen, Träumen und Offenbarungen. Kirche und Staat sollten im Reiche der Freien und Heiligen ganz aufgehen und das wahre Priestertum, das des ganzen Menschengeschlechts, anheben.
Er entwirft die Methodik einer noch heute modernen geistigen Disziplin: Aufgabe alles Tuns sei, nach Verzicht auf alle Lüste und Vergnügungen, durch Einsamkeit und Zerknirschung, innige Betrachtung, sich Rechenschaft über den Grund seines Glaubens zu geben. Dem zerquälten und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0048"n="40"/>
sei etwas Zeitliches, seine Form etwas Vergängliches, Vorüber-<lb/>
gehendes; das Evangelium des Geistes sei das ewige<lb/>
Evangelium. Dann werde eine Gemeinschaft von Brüdern<lb/>
auf Erden sein, von Spiritualen, Söhnen des Geistes.<lb/>
Nach ihrem Geiste sei das lebendige Wasser jene Schrift,<lb/>
die nicht mit Tinte und Feder auf Papier geschrieben worden,<lb/>
sondern durch die Kraft des heiligen Geistes in das Buch<lb/>
des menschlichen Herzens. Wenn aber die Erhabenheit<lb/>
der himmlischen Dinge sich offenbare, werde alle irdische<lb/>
Hoheit zu schanden werden“<notexml:id="id40a"next="id40a40a"place="end"n="40)"/>. Einfluss auf Münzers<lb/>
Entwicklung hatte gewiss auch die Libertinagetradition der<lb/>
Dombauhütten. Und seinen Enthusiasmus nährten jene<lb/>
politischen Schwärmer von Zwickau, unter denen Niklas<lb/>
Storch eine besondere Stellung einnahm. Niklas Storch<lb/>
betrachtete die Errichtung des 1000jährigen Reiches als<lb/>
seine ihm vom Himmel gewordene Aufgabe. Er predigte<lb/>
von der nahen Verwüstung der Welt und von einem<lb/>
eintretenden Strafgericht, das alle Unfrommen, Gottlosen<lb/>
austilgen, die Welt mit Blut reinigen und nur die Guten<lb/>
übrig lassen werde <notexml:id="id41a"next="id41a41a"place="end"n="41)"/>. „Es schien fast“, sagt Ranke, „als<lb/>
wollten sie selbst das Werk einer gewaltsamen Umkehr<lb/>
beginnen“.</p><lb/><p>Münzer verwarf die Gottesgelehrsamkeit. „Was Bibel,<lb/>
Bubel, Babel“, rief er aus, „man muss auf einen Winkel<lb/>
kriechen und mit Gott reden“<notexml:id="id42a"next="id42a42a"place="end"n="42)"/>. Er betonte die unmittelbare<lb/>
Gemeinschaft mit Gott, der sich kundgebe in Erscheinungen,<lb/>
Träumen und Offenbarungen. Kirche und Staat sollten im<lb/>
Reiche der Freien und Heiligen ganz aufgehen und das<lb/>
wahre Priestertum, das des ganzen Menschengeschlechts,<lb/>
anheben.</p><lb/><p>Er entwirft die Methodik einer noch heute modernen<lb/>
geistigen Disziplin: Aufgabe alles Tuns sei, nach Verzicht<lb/>
auf alle Lüste und Vergnügungen, durch Einsamkeit und<lb/>
Zerknirschung, innige Betrachtung, sich Rechenschaft über<lb/>
den Grund seines Glaubens zu geben. Dem zerquälten und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[40/0048]
sei etwas Zeitliches, seine Form etwas Vergängliches, Vorüber-
gehendes; das Evangelium des Geistes sei das ewige
Evangelium. Dann werde eine Gemeinschaft von Brüdern
auf Erden sein, von Spiritualen, Söhnen des Geistes.
Nach ihrem Geiste sei das lebendige Wasser jene Schrift,
die nicht mit Tinte und Feder auf Papier geschrieben worden,
sondern durch die Kraft des heiligen Geistes in das Buch
des menschlichen Herzens. Wenn aber die Erhabenheit
der himmlischen Dinge sich offenbare, werde alle irdische
Hoheit zu schanden werden“
⁴⁰⁾
. Einfluss auf Münzers
Entwicklung hatte gewiss auch die Libertinagetradition der
Dombauhütten. Und seinen Enthusiasmus nährten jene
politischen Schwärmer von Zwickau, unter denen Niklas
Storch eine besondere Stellung einnahm. Niklas Storch
betrachtete die Errichtung des 1000jährigen Reiches als
seine ihm vom Himmel gewordene Aufgabe. Er predigte
von der nahen Verwüstung der Welt und von einem
eintretenden Strafgericht, das alle Unfrommen, Gottlosen
austilgen, die Welt mit Blut reinigen und nur die Guten
übrig lassen werde
⁴¹⁾
. „Es schien fast“, sagt Ranke, „als
wollten sie selbst das Werk einer gewaltsamen Umkehr
beginnen“.
Münzer verwarf die Gottesgelehrsamkeit. „Was Bibel,
Bubel, Babel“, rief er aus, „man muss auf einen Winkel
kriechen und mit Gott reden“
⁴²⁾
. Er betonte die unmittelbare
Gemeinschaft mit Gott, der sich kundgebe in Erscheinungen,
Träumen und Offenbarungen. Kirche und Staat sollten im
Reiche der Freien und Heiligen ganz aufgehen und das
wahre Priestertum, das des ganzen Menschengeschlechts,
anheben.
Er entwirft die Methodik einer noch heute modernen
geistigen Disziplin: Aufgabe alles Tuns sei, nach Verzicht
auf alle Lüste und Vergnügungen, durch Einsamkeit und
Zerknirschung, innige Betrachtung, sich Rechenschaft über
den Grund seines Glaubens zu geben. Dem zerquälten und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/48>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.