Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.krieg hinarbeitete. Die religiöse Weihe aber gab diesem Bunde Luther. "Sobald Luther erhaben wird, wird er praktisch", schrieb Chamberlain und er selbst unterstrich den Satz und fügte hinzu, dass der praktische Geist nach seinem Dafürhalten sogar "die Achse dieser gewaltigen Persönlichkeit ausmacht". ("Deutsches Wesen", S. 51, Martin Luther, ein ergänzender Abschnitt zu den "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts"). 94) Fernau, "Das Königtum ist der Krieg", S. 54. 95) Mehring, "Geschichte der deutschen Sozialdemokratie", Bd. II, S. 217. (Brief an Wagener.) 96) Die politische Sackgasse, in die Bismarcks zentralisistische Machtromantik führte, hat unter Deutschen seit Konstantin Frantz besonders Prof. Fr. W. Förster systematisch bekämpft. (Vergl. "Bismarcks Werk im Lichte der grossdeutschen Kritik" in der "Friedenswarte" Bern, Januar 1916): "Die rein individualistische Grossmachttheorie ist nur eine kurze Phase, eine Verwirrung, sie konnte nur in jenem Interregnum aufkommen, in dem die mittel- alterliche Vorstellung der civitas humana zerfallen war, ohne dass neue grosse weltorganisatorische Ideen an ihre Stelle ge- treten wären. .. Diese Entwicklung kann nun allerdings nicht durch blosse politische Vorschläge in Gang gebracht werden. Es kommt vielmehr darauf an, dass die junge Generation in Deutschland sich gründlich von der Bezauberung freimacht, mit der die falsche Romantik der neuen Reichsgründung die Seelen der älteren Generation umsponnen, deren ganzes Denken über völkerpolitische Probleme verengt und es im Namen der Real- politik den realsten Tatsachen und Bedürfnissen der neueren Weltentwicklung entfremdet hat". 97) Zitate aus Emil Ludwig, "Bismarck", S. Fischer Verlag, Berlin 1917, S. 19/28. 98) Die Parallele zwischen dem jungen Bismarck und dem jungen Rimbaud liegt sehr nahe. Auch Rimbaud ist in seiner Jugend ein "Desperato des Instinkts"; von seinen gallischen Vorfahren hat er die "Idolatrie und die Liebe zum Sakrileg". Christus ist ihm ein "eternel voleur des energies", Moral "une faiblesse de cervelle". Germanisch und barbarisch, sagte man von ihm, brachen seine Verse in die französische Kultur ein. "Ich war niemals aus diesem Volke, war niemals Christ. Ich bin von der Rasse, die beim Todesurteil sang; ich verstehe die Ge- setze nicht, habe keine Moral, bin ein roher Mensch". (So Rim- baud, und fast ebenso Bismarck) Aber -- und hier trennen sich die Wege dieser beiden so verwandten Geister -- Rimbaud findet: krieg hinarbeitete. Die religiöse Weihe aber gab diesem Bunde Luther. „Sobald Luther erhaben wird, wird er praktisch“, schrieb Chamberlain und er selbst unterstrich den Satz und fügte hinzu, dass der praktische Geist nach seinem Dafürhalten sogar „die Achse dieser gewaltigen Persönlichkeit ausmacht“. („Deutsches Wesen“, S. 51, Martin Luther, ein ergänzender Abschnitt zu den „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“). 94) Fernau, „Das Königtum ist der Krieg“, S. 54. 95) Mehring, „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie“, Bd. II, S. 217. (Brief an Wagener.) 96) Die politische Sackgasse, in die Bismarcks zentralisistische Machtromantik führte, hat unter Deutschen seit Konstantin Frantz besonders Prof. Fr. W. Förster systematisch bekämpft. (Vergl. „Bismarcks Werk im Lichte der grossdeutschen Kritik“ in der „Friedenswarte“ Bern, Januar 1916): „Die rein individualistische Grossmachttheorie ist nur eine kurze Phase, eine Verwirrung, sie konnte nur in jenem Interregnum aufkommen, in dem die mittel- alterliche Vorstellung der civitas humana zerfallen war, ohne dass neue grosse weltorganisatorische Ideen an ihre Stelle ge- treten wären. .. Diese Entwicklung kann nun allerdings nicht durch blosse politische Vorschläge in Gang gebracht werden. Es kommt vielmehr darauf an, dass die junge Generation in Deutschland sich gründlich von der Bezauberung freimacht, mit der die falsche Romantik der neuen Reichsgründung die Seelen der älteren Generation umsponnen, deren ganzes Denken über völkerpolitische Probleme verengt und es im Namen der Real- politik den realsten Tatsachen und Bedürfnissen der neueren Weltentwicklung entfremdet hat“. 97) Zitate aus Emil Ludwig, „Bismarck“, S. Fischer Verlag, Berlin 1917, S. 19/28. 98) Die Parallele zwischen dem jungen Bismarck und dem jungen Rimbaud liegt sehr nahe. Auch Rimbaud ist in seiner Jugend ein „Desperato des Instinkts“; von seinen gallischen Vorfahren hat er die „Idolatrie und die Liebe zum Sakrileg“. Christus ist ihm ein „éternel voleur des énergies“, Moral „une faiblesse de cervelle“. Germanisch und barbarisch, sagte man von ihm, brachen seine Verse in die französische Kultur ein. „Ich war niemals aus diesem Volke, war niemals Christ. Ich bin von der Rasse, die beim Todesurteil sang; ich verstehe die Ge- setze nicht, habe keine Moral, bin ein roher Mensch“. (So Rim- baud, und fast ebenso Bismarck) Aber — und hier trennen sich die Wege dieser beiden so verwandten Geister — Rimbaud findet: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <note xml:id="id93b93d" prev="id93d" place="end" n="93)"><pb facs="#f0323" n="315"/> krieg hinarbeitete. 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⁹³⁾ krieg hinarbeitete. Die religiöse Weihe aber gab diesem Bunde
Luther. „Sobald Luther erhaben wird, wird er praktisch“, schrieb
Chamberlain und er selbst unterstrich den Satz und fügte hinzu,
dass der praktische Geist nach seinem Dafürhalten sogar „die
Achse dieser gewaltigen Persönlichkeit ausmacht“. („Deutsches
Wesen“, S. 51, Martin Luther, ein ergänzender Abschnitt zu den
„Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“).
⁹⁴⁾ Fernau, „Das Königtum ist der Krieg“, S. 54.
⁹⁵⁾ Mehring, „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie“,
Bd. II, S. 217. (Brief an Wagener.)
⁹⁶⁾ Die politische Sackgasse, in die Bismarcks zentralisistische
Machtromantik führte, hat unter Deutschen seit Konstantin Frantz
besonders Prof. Fr. W. Förster systematisch bekämpft. (Vergl.
„Bismarcks Werk im Lichte der grossdeutschen Kritik“ in der
„Friedenswarte“ Bern, Januar 1916): „Die rein individualistische
Grossmachttheorie ist nur eine kurze Phase, eine Verwirrung, sie
konnte nur in jenem Interregnum aufkommen, in dem die mittel-
alterliche Vorstellung der civitas humana zerfallen war, ohne
dass neue grosse weltorganisatorische Ideen an ihre Stelle ge-
treten wären. .. Diese Entwicklung kann nun allerdings nicht
durch blosse politische Vorschläge in Gang gebracht werden.
Es kommt vielmehr darauf an, dass die junge Generation in
Deutschland sich gründlich von der Bezauberung freimacht, mit
der die falsche Romantik der neuen Reichsgründung die Seelen
der älteren Generation umsponnen, deren ganzes Denken über
völkerpolitische Probleme verengt und es im Namen der Real-
politik den realsten Tatsachen und Bedürfnissen der neueren
Weltentwicklung entfremdet hat“.
⁹⁷⁾ Zitate aus Emil Ludwig, „Bismarck“, S. Fischer Verlag,
Berlin 1917, S. 19/28.
⁹⁸⁾ Die Parallele zwischen dem jungen Bismarck und dem
jungen Rimbaud liegt sehr nahe. Auch Rimbaud ist in seiner
Jugend ein „Desperato des Instinkts“; von seinen gallischen
Vorfahren hat er die „Idolatrie und die Liebe zum Sakrileg“.
Christus ist ihm ein „éternel voleur des énergies“, Moral „une
faiblesse de cervelle“. Germanisch und barbarisch, sagte man
von ihm, brachen seine Verse in die französische Kultur ein.
„Ich war niemals aus diesem Volke, war niemals Christ. Ich bin
von der Rasse, die beim Todesurteil sang; ich verstehe die Ge-
setze nicht, habe keine Moral, bin ein roher Mensch“. (So Rim-
baud, und fast ebenso Bismarck) Aber — und hier trennen sich
die Wege dieser beiden so verwandten Geister — Rimbaud findet:
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