Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

an der Ordnung der Staatsaffären. Alle Weltfremdheit
deutscher Dichter, Gelehrter und Philosophen hat hier
ihren Ursprung. Die verächtliche Geringschätzung, mit der
noch heute der feudale deutsche Staatsmann auf die Vertreter
der Intelligenz seines Landes herabsieht, die ihn doch über-
wachen müssten, -- auch sie geht auf Luther zurück. Die
Naivität eines zweideutigen Doctoren der Theologie lieferte
das Volk zu endloser Massregelung auf Treu und Glauben
seinen Junkern, Beamten und Fürsten aus. Und die politisch-
soziale Unproduktivität aller deutschen Geistestaten bis auf
die heutige Zeit wurde höchste Verpflichtung.

Der Weimarer Kanzler Müller erzählt, Napoleon habe
1813 auf einem Ritt nach Eckardsberge geäussert: "Karl
der Fünfte würde klug getan haben, sich an die Spitze
der Reformation zu stellen; nach der damaligen Stimmung
würde es ihm leicht geworden sein, dadurch zur unum-
schränkten Herrschaft über ganz Deutschland zu gelangen" 17).
Gewiss, das lag nahe. Man darf aber aus diesen Worten
nicht schliessen, dass das Haus Habsburg nicht zu Luthers
Lebzeiten schon sein Wirken sehr aufmerksam verfolgte
und wenigstens auszubeuten gedachte. Jovial richtete Kaiser
Max, der Vorgänger Karls V., an den kursächsischen Rat
Degenhardt Pfeffinger die Gelegenheitsfrage: "Was macht
euer Mönch zu Wittenberg? Seine Sätze sind traun nicht
zu verachten". Und er gab den Rat, "man solle den Mönch
fleissig bewahren, denn es könne sich zutragen, dass man
seiner bedürfe" 18). Luther wurde zum Propagandisten der
unabhängigen Fürstengewalt und wenn die damaligen Kaiser
nach Bahrs Wort "die grosse Tat verschmähten", so ver-
schmähte man sie doch 1871 nicht, als die Zeiten reif
geworden; der Protestantismus wurde Geschäftsträger für
die diplomatischen Beziehungen preussischer Kaiser zum
lieben Gott. Die Polyphonie aber, aus der heraus Luther
den "tönenden Weg bahnte für ein Volk, das Genies
gebären wird", wurde eine Polyphonie der moralischen

an der Ordnung der Staatsaffären. Alle Weltfremdheit
deutscher Dichter, Gelehrter und Philosophen hat hier
ihren Ursprung. Die verächtliche Geringschätzung, mit der
noch heute der feudale deutsche Staatsmann auf die Vertreter
der Intelligenz seines Landes herabsieht, die ihn doch über-
wachen müssten, — auch sie geht auf Luther zurück. Die
Naivität eines zweideutigen Doctoren der Theologie lieferte
das Volk zu endloser Massregelung auf Treu und Glauben
seinen Junkern, Beamten und Fürsten aus. Und die politisch-
soziale Unproduktivität aller deutschen Geistestaten bis auf
die heutige Zeit wurde höchste Verpflichtung.

Der Weimarer Kanzler Müller erzählt, Napoleon habe
1813 auf einem Ritt nach Eckardsberge geäussert: „Karl
der Fünfte würde klug getan haben, sich an die Spitze
der Reformation zu stellen; nach der damaligen Stimmung
würde es ihm leicht geworden sein, dadurch zur unum-
schränkten Herrschaft über ganz Deutschland zu gelangen“ 17).
Gewiss, das lag nahe. Man darf aber aus diesen Worten
nicht schliessen, dass das Haus Habsburg nicht zu Luthers
Lebzeiten schon sein Wirken sehr aufmerksam verfolgte
und wenigstens auszubeuten gedachte. Jovial richtete Kaiser
Max, der Vorgänger Karls V., an den kursächsischen Rat
Degenhardt Pfeffinger die Gelegenheitsfrage: „Was macht
euer Mönch zu Wittenberg? Seine Sätze sind traun nicht
zu verachten“. Und er gab den Rat, „man solle den Mönch
fleissig bewahren, denn es könne sich zutragen, dass man
seiner bedürfe“ 18). Luther wurde zum Propagandisten der
unabhängigen Fürstengewalt und wenn die damaligen Kaiser
nach Bahrs Wort „die grosse Tat verschmähten“, so ver-
schmähte man sie doch 1871 nicht, als die Zeiten reif
geworden; der Protestantismus wurde Geschäftsträger für
die diplomatischen Beziehungen preussischer Kaiser zum
lieben Gott. Die Polyphonie aber, aus der heraus Luther
den „tönenden Weg bahnte für ein Volk, das Genies
gebären wird“, wurde eine Polyphonie der moralischen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0032" n="24"/>
an der Ordnung der Staatsaffären. Alle Weltfremdheit<lb/>
deutscher Dichter, Gelehrter und Philosophen hat hier<lb/>
ihren Ursprung. Die verächtliche Geringschätzung, mit der<lb/>
noch heute der feudale deutsche Staatsmann auf die Vertreter<lb/>
der Intelligenz seines Landes herabsieht, die ihn doch über-<lb/>
wachen müssten, &#x2014; auch sie geht auf Luther zurück. Die<lb/>
Naivität eines zweideutigen Doctoren der Theologie lieferte<lb/>
das Volk zu endloser Massregelung auf Treu und Glauben<lb/>
seinen Junkern, Beamten und Fürsten aus. Und die politisch-<lb/>
soziale Unproduktivität aller deutschen Geistestaten bis auf<lb/>
die heutige Zeit wurde höchste Verpflichtung.</p><lb/>
          <p>Der Weimarer Kanzler Müller erzählt, Napoleon habe<lb/>
1813 auf einem Ritt nach Eckardsberge geäussert: &#x201E;Karl<lb/>
der Fünfte würde klug getan haben, sich an die Spitze<lb/>
der Reformation zu stellen; nach der damaligen Stimmung<lb/>
würde es ihm leicht geworden sein, dadurch zur unum-<lb/>
schränkten Herrschaft über ganz Deutschland zu gelangen&#x201C; <note xml:id="id17a" next="id17a17a" place="end" n="17)"/>.<lb/>
Gewiss, das lag nahe. Man darf aber aus diesen Worten<lb/>
nicht schliessen, dass das Haus Habsburg nicht zu Luthers<lb/>
Lebzeiten schon sein Wirken sehr aufmerksam verfolgte<lb/>
und wenigstens auszubeuten gedachte. Jovial richtete Kaiser<lb/>
Max, der Vorgänger Karls V., an den kursächsischen Rat<lb/>
Degenhardt Pfeffinger die Gelegenheitsfrage: &#x201E;Was macht<lb/>
euer Mönch zu Wittenberg? Seine Sätze sind traun nicht<lb/>
zu verachten&#x201C;. Und er gab den Rat, &#x201E;man solle den Mönch<lb/>
fleissig bewahren, denn es könne sich zutragen, dass man<lb/>
seiner bedürfe&#x201C; <note xml:id="id18a" next="id18a18a" place="end" n="18)"/>. Luther wurde zum Propagandisten der<lb/>
unabhängigen Fürstengewalt und wenn die damaligen Kaiser<lb/>
nach Bahrs Wort &#x201E;die grosse Tat verschmähten&#x201C;, so ver-<lb/>
schmähte man sie doch 1871 nicht, als die Zeiten reif<lb/>
geworden; der Protestantismus wurde Geschäftsträger für<lb/>
die diplomatischen Beziehungen preussischer Kaiser zum<lb/>
lieben Gott. Die Polyphonie aber, aus der heraus Luther<lb/>
den &#x201E;tönenden Weg bahnte für ein Volk, das Genies<lb/>
gebären wird&#x201C;, wurde eine Polyphonie der moralischen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0032] an der Ordnung der Staatsaffären. Alle Weltfremdheit deutscher Dichter, Gelehrter und Philosophen hat hier ihren Ursprung. Die verächtliche Geringschätzung, mit der noch heute der feudale deutsche Staatsmann auf die Vertreter der Intelligenz seines Landes herabsieht, die ihn doch über- wachen müssten, — auch sie geht auf Luther zurück. Die Naivität eines zweideutigen Doctoren der Theologie lieferte das Volk zu endloser Massregelung auf Treu und Glauben seinen Junkern, Beamten und Fürsten aus. Und die politisch- soziale Unproduktivität aller deutschen Geistestaten bis auf die heutige Zeit wurde höchste Verpflichtung. Der Weimarer Kanzler Müller erzählt, Napoleon habe 1813 auf einem Ritt nach Eckardsberge geäussert: „Karl der Fünfte würde klug getan haben, sich an die Spitze der Reformation zu stellen; nach der damaligen Stimmung würde es ihm leicht geworden sein, dadurch zur unum- schränkten Herrschaft über ganz Deutschland zu gelangen“ ¹⁷⁾ . Gewiss, das lag nahe. Man darf aber aus diesen Worten nicht schliessen, dass das Haus Habsburg nicht zu Luthers Lebzeiten schon sein Wirken sehr aufmerksam verfolgte und wenigstens auszubeuten gedachte. Jovial richtete Kaiser Max, der Vorgänger Karls V., an den kursächsischen Rat Degenhardt Pfeffinger die Gelegenheitsfrage: „Was macht euer Mönch zu Wittenberg? Seine Sätze sind traun nicht zu verachten“. Und er gab den Rat, „man solle den Mönch fleissig bewahren, denn es könne sich zutragen, dass man seiner bedürfe“ ¹⁸⁾ . Luther wurde zum Propagandisten der unabhängigen Fürstengewalt und wenn die damaligen Kaiser nach Bahrs Wort „die grosse Tat verschmähten“, so ver- schmähte man sie doch 1871 nicht, als die Zeiten reif geworden; der Protestantismus wurde Geschäftsträger für die diplomatischen Beziehungen preussischer Kaiser zum lieben Gott. Die Polyphonie aber, aus der heraus Luther den „tönenden Weg bahnte für ein Volk, das Genies gebären wird“, wurde eine Polyphonie der moralischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/32
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/32>, abgerufen am 21.11.2024.