Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

rechte. Keine Civitas dei ohne eine Civitas hominum! Die
neue Gemeinschaft soll dienen der Verbreitung eines Reichs
aller Menschen, die eines guten Willens sind.

Wenn das Wort von der deutschen Universalität wahr
ist, so mögen die Deutschen herauskommen aus ihrem
politischen Ghetto, um zu zeigen, was sie zu sagen haben.
Nicht aber mit der Trägheit prügelnder Waffen, sondern
mit der Energie klarer Gedanken. Nicht auf das Verant-
wortungsgefühl gegenüber der Menschheit kommt es an,
wie Prinz Max von Baden zu glauben scheint 6), sondern
auf die Verantwortung mit und inmitten der Menschheit.
Der Uebermensch muss dem Mitmenschen weichen. Nicht
Leiden schaffen, sondern Leiden beheben. Nur so besteht
die Hoffnung, dass das automatisch eingetretene Schicksal
einer automatisch gewordenen Welt, der Selbstbestimmung
des Einzelnen und damit der Freiheit weicht.

3.

Die konsistorialrätliche deutsche Reichsgeschichts-
schreibung hat verhindert, gerade über Luther nachzudenken,
und das beweist, wie notwendig es ist. Damals zu Luthers
Zeit, fand jenes Bündnis der deutschen Bourgeoisie mit
dem Feudalismus statt, das alle europäischen Revolutionen
überdauerte und heute Europa zu knebeln und niederzuwerfen
gewillt ist. Luther war dieses Bündnisses Prophet und
Herold. Durch seine Stellungnahme im Ablassstreit hat er
die Landstände, Fürsten und Magistrate brüderlich verbunden.
Indem er das Gewissen in den Schutz weltlicher Fürsten
stellte, half er jenen Staats-Pharisäismus schaffen, für den
das Gottesgnadentum, die gottgewollte Abhängigkeit und
die Phrase vom "praktischen Christentum" gleicherweise
Symbole sind. Durch sein despotisches Auftreten in den
Bauernkriegen aber verriet er die Sache des Volkes an den
Beamtenstaat.

rechte. Keine Civitas dei ohne eine Civitas hominum! Die
neue Gemeinschaft soll dienen der Verbreitung eines Reichs
aller Menschen, die eines guten Willens sind.

Wenn das Wort von der deutschen Universalität wahr
ist, so mögen die Deutschen herauskommen aus ihrem
politischen Ghetto, um zu zeigen, was sie zu sagen haben.
Nicht aber mit der Trägheit prügelnder Waffen, sondern
mit der Energie klarer Gedanken. Nicht auf das Verant-
wortungsgefühl gegenüber der Menschheit kommt es an,
wie Prinz Max von Baden zu glauben scheint 6), sondern
auf die Verantwortung mit und inmitten der Menschheit.
Der Uebermensch muss dem Mitmenschen weichen. Nicht
Leiden schaffen, sondern Leiden beheben. Nur so besteht
die Hoffnung, dass das automatisch eingetretene Schicksal
einer automatisch gewordenen Welt, der Selbstbestimmung
des Einzelnen und damit der Freiheit weicht.

3.

Die konsistorialrätliche deutsche Reichsgeschichts-
schreibung hat verhindert, gerade über Luther nachzudenken,
und das beweist, wie notwendig es ist. Damals zu Luthers
Zeit, fand jenes Bündnis der deutschen Bourgeoisie mit
dem Feudalismus statt, das alle europäischen Revolutionen
überdauerte und heute Europa zu knebeln und niederzuwerfen
gewillt ist. Luther war dieses Bündnisses Prophet und
Herold. Durch seine Stellungnahme im Ablassstreit hat er
die Landstände, Fürsten und Magistrate brüderlich verbunden.
Indem er das Gewissen in den Schutz weltlicher Fürsten
stellte, half er jenen Staats-Pharisäismus schaffen, für den
das Gottesgnadentum, die gottgewollte Abhängigkeit und
die Phrase vom „praktischen Christentum“ gleicherweise
Symbole sind. Durch sein despotisches Auftreten in den
Bauernkriegen aber verriet er die Sache des Volkes an den
Beamtenstaat.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="19"/>
rechte. Keine Civitas dei ohne eine Civitas hominum! Die<lb/>
neue Gemeinschaft soll dienen der Verbreitung eines Reichs<lb/>
aller Menschen, die eines guten Willens sind.</p><lb/>
          <p>Wenn das Wort von der deutschen Universalität wahr<lb/>
ist, so mögen die Deutschen herauskommen aus ihrem<lb/>
politischen Ghetto, um zu zeigen, was sie zu sagen haben.<lb/>
Nicht aber mit der Trägheit prügelnder Waffen, sondern<lb/>
mit der Energie klarer Gedanken. Nicht auf das Verant-<lb/>
wortungsgefühl <hi rendition="#i">gegenüber</hi> der Menschheit kommt es an,<lb/>
wie Prinz Max von Baden zu glauben scheint <note xml:id="id6a" next="id6a6a" place="end" n="6)"/>, sondern<lb/>
auf die Verantwortung <hi rendition="#i">mit</hi> und <hi rendition="#i">inmitten</hi> der Menschheit.<lb/>
Der Uebermensch muss dem Mitmenschen weichen. Nicht<lb/>
Leiden schaffen, sondern Leiden beheben. Nur so besteht<lb/>
die Hoffnung, dass das automatisch eingetretene Schicksal<lb/>
einer automatisch gewordenen Welt, der Selbstbestimmung<lb/>
des Einzelnen und damit der Freiheit weicht.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>3.</head><lb/>
          <p>Die konsistorialrätliche deutsche Reichsgeschichts-<lb/>
schreibung hat verhindert, gerade über Luther nachzudenken,<lb/>
und das beweist, wie notwendig es ist. Damals zu Luthers<lb/>
Zeit, fand jenes Bündnis der deutschen Bourgeoisie mit<lb/>
dem Feudalismus statt, das alle europäischen Revolutionen<lb/>
überdauerte und heute Europa zu knebeln und niederzuwerfen<lb/>
gewillt ist. Luther war dieses Bündnisses Prophet und<lb/>
Herold. Durch seine Stellungnahme im Ablassstreit hat er<lb/>
die Landstände, Fürsten und Magistrate brüderlich verbunden.<lb/>
Indem er das Gewissen in den Schutz weltlicher Fürsten<lb/>
stellte, half er jenen Staats-Pharisäismus schaffen, für den<lb/>
das Gottesgnadentum, die gottgewollte Abhängigkeit und<lb/>
die Phrase vom &#x201E;praktischen Christentum&#x201C; gleicherweise<lb/>
Symbole sind. Durch sein despotisches Auftreten in den<lb/>
Bauernkriegen aber verriet er die Sache des Volkes an den<lb/>
Beamtenstaat.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0027] rechte. Keine Civitas dei ohne eine Civitas hominum! Die neue Gemeinschaft soll dienen der Verbreitung eines Reichs aller Menschen, die eines guten Willens sind. Wenn das Wort von der deutschen Universalität wahr ist, so mögen die Deutschen herauskommen aus ihrem politischen Ghetto, um zu zeigen, was sie zu sagen haben. Nicht aber mit der Trägheit prügelnder Waffen, sondern mit der Energie klarer Gedanken. Nicht auf das Verant- wortungsgefühl gegenüber der Menschheit kommt es an, wie Prinz Max von Baden zu glauben scheint ⁶⁾ , sondern auf die Verantwortung mit und inmitten der Menschheit. Der Uebermensch muss dem Mitmenschen weichen. Nicht Leiden schaffen, sondern Leiden beheben. Nur so besteht die Hoffnung, dass das automatisch eingetretene Schicksal einer automatisch gewordenen Welt, der Selbstbestimmung des Einzelnen und damit der Freiheit weicht. 3. Die konsistorialrätliche deutsche Reichsgeschichts- schreibung hat verhindert, gerade über Luther nachzudenken, und das beweist, wie notwendig es ist. Damals zu Luthers Zeit, fand jenes Bündnis der deutschen Bourgeoisie mit dem Feudalismus statt, das alle europäischen Revolutionen überdauerte und heute Europa zu knebeln und niederzuwerfen gewillt ist. Luther war dieses Bündnisses Prophet und Herold. Durch seine Stellungnahme im Ablassstreit hat er die Landstände, Fürsten und Magistrate brüderlich verbunden. Indem er das Gewissen in den Schutz weltlicher Fürsten stellte, half er jenen Staats-Pharisäismus schaffen, für den das Gottesgnadentum, die gottgewollte Abhängigkeit und die Phrase vom „praktischen Christentum“ gleicherweise Symbole sind. Durch sein despotisches Auftreten in den Bauernkriegen aber verriet er die Sache des Volkes an den Beamtenstaat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/27
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/27>, abgerufen am 21.12.2024.